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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Ist das Papstthum unverbesserlich -- nun wohl, so lasse man es, wie
es ist! -- Dies ist in der That die Consequenz, welche die radikalen soge¬
nannten Freidenker, wie sie in den verschiedensten Schichten des italienischen
Volkes so oft vorkommen, entweder ziehen oder zu ziehen nach ihren Prä¬
missen jeden Augenblick bereit sind. Gegen diese sogenannten Freidenker
wendet sich Mariano in dem zweiten und dritten seiner Briefe mit besonders
eindringlichen Darlegungen. Das Thema der ersten gegen die Freidenker er¬
richteten Ausführung ist, daß nur eine vollkommene Oberflächlichkeit sich in
den Gedanken ergeben kann, das Papstthum in alle Ewigkeit mit seinem in
die italienische Volksnatur so tief htneinwirkenden schädlichen Einfluß bestehen
zu lassen. Was Mariano in diesem Zusammenhang gegen das Papstthum
sagt, ist eine Anklage von solcher Heftigkeit, deren Eindruck durch den sonoren
Klang der italienischen Sprache noch verstärkt wird, daß man sich wundern
muß, was am Sitze des Papstthums heute gegen dasselbe gedruckt werden
darf. In Deutschland müssen wir uns trotz des Culturkampfes vor dem rück¬
sichtslosen Ausdruck solcher Beschuldigungen scheuen. Wir laufen Gefahr,
unter die Anklage gestellt zu werden, den konfessionellen Frieden haben stören
zu wollen.

Es folgen von der Sprache Mariano's hier einige Probe: "Der päpst¬
liche Katholicismus in Italien ist eine verdorbene, ausgeartete und ent¬
stellte Religion. Ist sie nicht geradezu Jrrreligion, so ist sie darum nichts
weniger Aberglaube und Heuchelei. Der päpstliche Katholicismus, Schritt
für Schritt alles inneren Sinnes beraubt, jeder geistigen Thätigkett entfremdet,
ist gänzlich erstarrt und materialisirt in beschränkter Natürlichkeit, in äußer¬
lichen und sinnlichen Uebungen. Er hat die Geister träge gemacht, die er in
rein materielle Formen eingefangen. Er hat das Gewissen in Unwissenheit
geschlagen und fesselt in Aberglauben, in blindem und geistigem Gehorsam
gegen das äußerliche und despotische Gebot des Priesters.--Alle be¬
klagen diese Stumpfheit voll Entsetzen, aber sie ist natürlich. Wenn der
Geist verkrüppelt und gleichsam gelähmt wird in seinem innersten Kern, in
welchem die Keime und Quellen seines Lebens und seiner vielfachen Entfal¬
tungen liegen, was Wunder, wenn Alles aufhört, alles Interesse für die ver¬
schiedenen Aeußerungen der intellektuellen und moralischen Thätigkeit schweigt,
erloschen, erschöpft und gleichsam todt?" Im Gegensatz zu diesem Einfluß
des Papstthums faßt Mariano nach einer längeren Ausführung die Aufgabe
der Regeneration Italiens in dem Wort zusammen: "Mit einem Wort, wir
müssen streben nach einer Reform, nach einer Umwandlung des religiösen
Gewissens im Volke."

In der zweiten gegen die Freidenker gerichteten Ausführung, welche sich
im dritten Briefe findet, zeigt Mariano das gänzliche Unvermögen dieser


Ist das Papstthum unverbesserlich — nun wohl, so lasse man es, wie
es ist! — Dies ist in der That die Consequenz, welche die radikalen soge¬
nannten Freidenker, wie sie in den verschiedensten Schichten des italienischen
Volkes so oft vorkommen, entweder ziehen oder zu ziehen nach ihren Prä¬
missen jeden Augenblick bereit sind. Gegen diese sogenannten Freidenker
wendet sich Mariano in dem zweiten und dritten seiner Briefe mit besonders
eindringlichen Darlegungen. Das Thema der ersten gegen die Freidenker er¬
richteten Ausführung ist, daß nur eine vollkommene Oberflächlichkeit sich in
den Gedanken ergeben kann, das Papstthum in alle Ewigkeit mit seinem in
die italienische Volksnatur so tief htneinwirkenden schädlichen Einfluß bestehen
zu lassen. Was Mariano in diesem Zusammenhang gegen das Papstthum
sagt, ist eine Anklage von solcher Heftigkeit, deren Eindruck durch den sonoren
Klang der italienischen Sprache noch verstärkt wird, daß man sich wundern
muß, was am Sitze des Papstthums heute gegen dasselbe gedruckt werden
darf. In Deutschland müssen wir uns trotz des Culturkampfes vor dem rück¬
sichtslosen Ausdruck solcher Beschuldigungen scheuen. Wir laufen Gefahr,
unter die Anklage gestellt zu werden, den konfessionellen Frieden haben stören
zu wollen.

Es folgen von der Sprache Mariano's hier einige Probe: „Der päpst¬
liche Katholicismus in Italien ist eine verdorbene, ausgeartete und ent¬
stellte Religion. Ist sie nicht geradezu Jrrreligion, so ist sie darum nichts
weniger Aberglaube und Heuchelei. Der päpstliche Katholicismus, Schritt
für Schritt alles inneren Sinnes beraubt, jeder geistigen Thätigkett entfremdet,
ist gänzlich erstarrt und materialisirt in beschränkter Natürlichkeit, in äußer¬
lichen und sinnlichen Uebungen. Er hat die Geister träge gemacht, die er in
rein materielle Formen eingefangen. Er hat das Gewissen in Unwissenheit
geschlagen und fesselt in Aberglauben, in blindem und geistigem Gehorsam
gegen das äußerliche und despotische Gebot des Priesters.--Alle be¬
klagen diese Stumpfheit voll Entsetzen, aber sie ist natürlich. Wenn der
Geist verkrüppelt und gleichsam gelähmt wird in seinem innersten Kern, in
welchem die Keime und Quellen seines Lebens und seiner vielfachen Entfal¬
tungen liegen, was Wunder, wenn Alles aufhört, alles Interesse für die ver¬
schiedenen Aeußerungen der intellektuellen und moralischen Thätigkeit schweigt,
erloschen, erschöpft und gleichsam todt?" Im Gegensatz zu diesem Einfluß
des Papstthums faßt Mariano nach einer längeren Ausführung die Aufgabe
der Regeneration Italiens in dem Wort zusammen: „Mit einem Wort, wir
müssen streben nach einer Reform, nach einer Umwandlung des religiösen
Gewissens im Volke."

In der zweiten gegen die Freidenker gerichteten Ausführung, welche sich
im dritten Briefe findet, zeigt Mariano das gänzliche Unvermögen dieser


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[0439] Ist das Papstthum unverbesserlich — nun wohl, so lasse man es, wie es ist! — Dies ist in der That die Consequenz, welche die radikalen soge¬ nannten Freidenker, wie sie in den verschiedensten Schichten des italienischen Volkes so oft vorkommen, entweder ziehen oder zu ziehen nach ihren Prä¬ missen jeden Augenblick bereit sind. Gegen diese sogenannten Freidenker wendet sich Mariano in dem zweiten und dritten seiner Briefe mit besonders eindringlichen Darlegungen. Das Thema der ersten gegen die Freidenker er¬ richteten Ausführung ist, daß nur eine vollkommene Oberflächlichkeit sich in den Gedanken ergeben kann, das Papstthum in alle Ewigkeit mit seinem in die italienische Volksnatur so tief htneinwirkenden schädlichen Einfluß bestehen zu lassen. Was Mariano in diesem Zusammenhang gegen das Papstthum sagt, ist eine Anklage von solcher Heftigkeit, deren Eindruck durch den sonoren Klang der italienischen Sprache noch verstärkt wird, daß man sich wundern muß, was am Sitze des Papstthums heute gegen dasselbe gedruckt werden darf. In Deutschland müssen wir uns trotz des Culturkampfes vor dem rück¬ sichtslosen Ausdruck solcher Beschuldigungen scheuen. Wir laufen Gefahr, unter die Anklage gestellt zu werden, den konfessionellen Frieden haben stören zu wollen. Es folgen von der Sprache Mariano's hier einige Probe: „Der päpst¬ liche Katholicismus in Italien ist eine verdorbene, ausgeartete und ent¬ stellte Religion. Ist sie nicht geradezu Jrrreligion, so ist sie darum nichts weniger Aberglaube und Heuchelei. Der päpstliche Katholicismus, Schritt für Schritt alles inneren Sinnes beraubt, jeder geistigen Thätigkett entfremdet, ist gänzlich erstarrt und materialisirt in beschränkter Natürlichkeit, in äußer¬ lichen und sinnlichen Uebungen. Er hat die Geister träge gemacht, die er in rein materielle Formen eingefangen. Er hat das Gewissen in Unwissenheit geschlagen und fesselt in Aberglauben, in blindem und geistigem Gehorsam gegen das äußerliche und despotische Gebot des Priesters.--Alle be¬ klagen diese Stumpfheit voll Entsetzen, aber sie ist natürlich. Wenn der Geist verkrüppelt und gleichsam gelähmt wird in seinem innersten Kern, in welchem die Keime und Quellen seines Lebens und seiner vielfachen Entfal¬ tungen liegen, was Wunder, wenn Alles aufhört, alles Interesse für die ver¬ schiedenen Aeußerungen der intellektuellen und moralischen Thätigkeit schweigt, erloschen, erschöpft und gleichsam todt?" Im Gegensatz zu diesem Einfluß des Papstthums faßt Mariano nach einer längeren Ausführung die Aufgabe der Regeneration Italiens in dem Wort zusammen: „Mit einem Wort, wir müssen streben nach einer Reform, nach einer Umwandlung des religiösen Gewissens im Volke." In der zweiten gegen die Freidenker gerichteten Ausführung, welche sich im dritten Briefe findet, zeigt Mariano das gänzliche Unvermögen dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/439>, abgerufen am 26.05.2024.