Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Was aber nach dieser Richtung hin schon alles in Frankreich dagewesen ist,
das zeigt wohl am besten das naiv-unverschämte Decret des ersten Napoleon
von Schönbrunn, erlassen im Jahre 1809, worin er sich auf Karl den Großen
als den Kaiser der Franzen, seinen erlauchten Vorgänger beruft. Seine
französischen Unterthanen fanden dies ganz in der Ordnung, denn in ihren
Köpfen waren noch die Anschauungen der großen Chroniken lebendig, nach
denen die Gallier und Franken von trojanischen Flüchtlingen abstammten,
und die Franken, die man auch Franzosen nennt, Deutschland erobert und
die Römer geschlagen haben. Wenn auch seitdem manches geschehen ist, um
diesen historischen höhern Blödsinn aus den Köpfen der Massen des französischen
Volkes zu verbannen, so scheint es doch, als wenn sie ab und zu gerne wieder
in denselben zurückfallen, weil er ihrer Nationaleitelkeit schmeichelt.

Doch kehren wir zu Herrn de Saint-Genis zurück. Statt sich mit einer
wissenschaftlichen Begründung seiner Thesen abzumühen, ergeht sich der
ehrenwerthe Herr in endlosen Variationen des schon Mitgetheilten und sucht
das Langweilige derselben durch gemeine Jnvectiven gegen Deutschland ver¬
gessen zu machen. Die folgende ist beispielsweise ganz im Stile des Herrn
Tissot, dessen traurige Berühmtheit ihm, wie es scheint, den Schlaf geraubt
hat. "Aber was man nicht genug ins Licht stellen kann, ist der unverträg¬
liche herrschsüchtige Charakter jener nordischen Soldaten, deren vollendetster
Typus die Preußen von 1870 sind, ist der ungestillte Hunger, der sie aus
ihren sandigen Ebenen und aus ihren kalten Wäldern in unsere Weinberge,
in unsere Städte treibt, ist die Gefahr, unsere edelmüthige Unvorsichtigkeit in
Contact zu lassen mit diesen geduldigen Naturtrieben (instincts Mtisnts),
mit diesen von langer Hand geplanten Ueberraschungen."

Dann kommt er mit einem etwas genialen Gedankensprünge auf den
Mangel der Erziehung in Frankreich zu sprechen, und meint, daß die Publi-
cisten das nachholen müßten, was der Schulmeister versäumt habe, besonders
in Bezug auf Erweckung von Patriotismus. Wenn dies wirklich durch Selbstver¬
herrlichung möglich ist, wie er behauptet, daß es in Deutschland vor sich ginge, dann
steht Frankreich, wie wir das schon an dem einen Beispiel glauben sattsam nach¬
gewiesen zu haben, keineswegs hinter Deutschland zurück. Er wiederholt dann
die schon oft gemachte Behauptung, daß die deutschen Gelehrten absichtlich die
Geschichte fälschen, indem er eine Notiz daran knüpft, die dieselbe erhärten soll.
Wir theilen diese wörtlich mit, weil sie ein grelles Schlaglicht auf die er¬
staunliche Ignoranz dieses französischen preisgekrönten Historikers wirft. Er will
nämlich einem deutschen Ethnographen widerlegen, der England eine deutsche


ganz Frankreich, die Niederlande, die Schweiz, Italien. Spanien etc. als deutschen Besitz unter
D. Red. Karl dem Großen reclamiren.

Was aber nach dieser Richtung hin schon alles in Frankreich dagewesen ist,
das zeigt wohl am besten das naiv-unverschämte Decret des ersten Napoleon
von Schönbrunn, erlassen im Jahre 1809, worin er sich auf Karl den Großen
als den Kaiser der Franzen, seinen erlauchten Vorgänger beruft. Seine
französischen Unterthanen fanden dies ganz in der Ordnung, denn in ihren
Köpfen waren noch die Anschauungen der großen Chroniken lebendig, nach
denen die Gallier und Franken von trojanischen Flüchtlingen abstammten,
und die Franken, die man auch Franzosen nennt, Deutschland erobert und
die Römer geschlagen haben. Wenn auch seitdem manches geschehen ist, um
diesen historischen höhern Blödsinn aus den Köpfen der Massen des französischen
Volkes zu verbannen, so scheint es doch, als wenn sie ab und zu gerne wieder
in denselben zurückfallen, weil er ihrer Nationaleitelkeit schmeichelt.

Doch kehren wir zu Herrn de Saint-Genis zurück. Statt sich mit einer
wissenschaftlichen Begründung seiner Thesen abzumühen, ergeht sich der
ehrenwerthe Herr in endlosen Variationen des schon Mitgetheilten und sucht
das Langweilige derselben durch gemeine Jnvectiven gegen Deutschland ver¬
gessen zu machen. Die folgende ist beispielsweise ganz im Stile des Herrn
Tissot, dessen traurige Berühmtheit ihm, wie es scheint, den Schlaf geraubt
hat. „Aber was man nicht genug ins Licht stellen kann, ist der unverträg¬
liche herrschsüchtige Charakter jener nordischen Soldaten, deren vollendetster
Typus die Preußen von 1870 sind, ist der ungestillte Hunger, der sie aus
ihren sandigen Ebenen und aus ihren kalten Wäldern in unsere Weinberge,
in unsere Städte treibt, ist die Gefahr, unsere edelmüthige Unvorsichtigkeit in
Contact zu lassen mit diesen geduldigen Naturtrieben (instincts Mtisnts),
mit diesen von langer Hand geplanten Ueberraschungen."

Dann kommt er mit einem etwas genialen Gedankensprünge auf den
Mangel der Erziehung in Frankreich zu sprechen, und meint, daß die Publi-
cisten das nachholen müßten, was der Schulmeister versäumt habe, besonders
in Bezug auf Erweckung von Patriotismus. Wenn dies wirklich durch Selbstver¬
herrlichung möglich ist, wie er behauptet, daß es in Deutschland vor sich ginge, dann
steht Frankreich, wie wir das schon an dem einen Beispiel glauben sattsam nach¬
gewiesen zu haben, keineswegs hinter Deutschland zurück. Er wiederholt dann
die schon oft gemachte Behauptung, daß die deutschen Gelehrten absichtlich die
Geschichte fälschen, indem er eine Notiz daran knüpft, die dieselbe erhärten soll.
Wir theilen diese wörtlich mit, weil sie ein grelles Schlaglicht auf die er¬
staunliche Ignoranz dieses französischen preisgekrönten Historikers wirft. Er will
nämlich einem deutschen Ethnographen widerlegen, der England eine deutsche


ganz Frankreich, die Niederlande, die Schweiz, Italien. Spanien etc. als deutschen Besitz unter
D. Red. Karl dem Großen reclamiren.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136653"/>
          <p xml:id="ID_28"> Was aber nach dieser Richtung hin schon alles in Frankreich dagewesen ist,<lb/>
das zeigt wohl am besten das naiv-unverschämte Decret des ersten Napoleon<lb/>
von Schönbrunn, erlassen im Jahre 1809, worin er sich auf Karl den Großen<lb/>
als den Kaiser der Franzen, seinen erlauchten Vorgänger beruft. Seine<lb/>
französischen Unterthanen fanden dies ganz in der Ordnung, denn in ihren<lb/>
Köpfen waren noch die Anschauungen der großen Chroniken lebendig, nach<lb/>
denen die Gallier und Franken von trojanischen Flüchtlingen abstammten,<lb/>
und die Franken, die man auch Franzosen nennt, Deutschland erobert und<lb/>
die Römer geschlagen haben. Wenn auch seitdem manches geschehen ist, um<lb/>
diesen historischen höhern Blödsinn aus den Köpfen der Massen des französischen<lb/>
Volkes zu verbannen, so scheint es doch, als wenn sie ab und zu gerne wieder<lb/>
in denselben zurückfallen, weil er ihrer Nationaleitelkeit schmeichelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_29"> Doch kehren wir zu Herrn de Saint-Genis zurück. Statt sich mit einer<lb/>
wissenschaftlichen Begründung seiner Thesen abzumühen, ergeht sich der<lb/>
ehrenwerthe Herr in endlosen Variationen des schon Mitgetheilten und sucht<lb/>
das Langweilige derselben durch gemeine Jnvectiven gegen Deutschland ver¬<lb/>
gessen zu machen. Die folgende ist beispielsweise ganz im Stile des Herrn<lb/>
Tissot, dessen traurige Berühmtheit ihm, wie es scheint, den Schlaf geraubt<lb/>
hat. &#x201E;Aber was man nicht genug ins Licht stellen kann, ist der unverträg¬<lb/>
liche herrschsüchtige Charakter jener nordischen Soldaten, deren vollendetster<lb/>
Typus die Preußen von 1870 sind, ist der ungestillte Hunger, der sie aus<lb/>
ihren sandigen Ebenen und aus ihren kalten Wäldern in unsere Weinberge,<lb/>
in unsere Städte treibt, ist die Gefahr, unsere edelmüthige Unvorsichtigkeit in<lb/>
Contact zu lassen mit diesen geduldigen Naturtrieben (instincts Mtisnts),<lb/>
mit diesen von langer Hand geplanten Ueberraschungen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_30" next="#ID_31"> Dann kommt er mit einem etwas genialen Gedankensprünge auf den<lb/>
Mangel der Erziehung in Frankreich zu sprechen, und meint, daß die Publi-<lb/>
cisten das nachholen müßten, was der Schulmeister versäumt habe, besonders<lb/>
in Bezug auf Erweckung von Patriotismus. Wenn dies wirklich durch Selbstver¬<lb/>
herrlichung möglich ist, wie er behauptet, daß es in Deutschland vor sich ginge, dann<lb/>
steht Frankreich, wie wir das schon an dem einen Beispiel glauben sattsam nach¬<lb/>
gewiesen zu haben, keineswegs hinter Deutschland zurück. Er wiederholt dann<lb/>
die schon oft gemachte Behauptung, daß die deutschen Gelehrten absichtlich die<lb/>
Geschichte fälschen, indem er eine Notiz daran knüpft, die dieselbe erhärten soll.<lb/>
Wir theilen diese wörtlich mit, weil sie ein grelles Schlaglicht auf die er¬<lb/>
staunliche Ignoranz dieses französischen preisgekrönten Historikers wirft. Er will<lb/>
nämlich einem deutschen Ethnographen widerlegen, der England eine deutsche</p><lb/>
          <note xml:id="FID_7" prev="#FID_6" place="foot"> ganz Frankreich, die Niederlande, die Schweiz, Italien. Spanien etc. als deutschen Besitz unter<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> Karl dem Großen reclamiren. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] Was aber nach dieser Richtung hin schon alles in Frankreich dagewesen ist, das zeigt wohl am besten das naiv-unverschämte Decret des ersten Napoleon von Schönbrunn, erlassen im Jahre 1809, worin er sich auf Karl den Großen als den Kaiser der Franzen, seinen erlauchten Vorgänger beruft. Seine französischen Unterthanen fanden dies ganz in der Ordnung, denn in ihren Köpfen waren noch die Anschauungen der großen Chroniken lebendig, nach denen die Gallier und Franken von trojanischen Flüchtlingen abstammten, und die Franken, die man auch Franzosen nennt, Deutschland erobert und die Römer geschlagen haben. Wenn auch seitdem manches geschehen ist, um diesen historischen höhern Blödsinn aus den Köpfen der Massen des französischen Volkes zu verbannen, so scheint es doch, als wenn sie ab und zu gerne wieder in denselben zurückfallen, weil er ihrer Nationaleitelkeit schmeichelt. Doch kehren wir zu Herrn de Saint-Genis zurück. Statt sich mit einer wissenschaftlichen Begründung seiner Thesen abzumühen, ergeht sich der ehrenwerthe Herr in endlosen Variationen des schon Mitgetheilten und sucht das Langweilige derselben durch gemeine Jnvectiven gegen Deutschland ver¬ gessen zu machen. Die folgende ist beispielsweise ganz im Stile des Herrn Tissot, dessen traurige Berühmtheit ihm, wie es scheint, den Schlaf geraubt hat. „Aber was man nicht genug ins Licht stellen kann, ist der unverträg¬ liche herrschsüchtige Charakter jener nordischen Soldaten, deren vollendetster Typus die Preußen von 1870 sind, ist der ungestillte Hunger, der sie aus ihren sandigen Ebenen und aus ihren kalten Wäldern in unsere Weinberge, in unsere Städte treibt, ist die Gefahr, unsere edelmüthige Unvorsichtigkeit in Contact zu lassen mit diesen geduldigen Naturtrieben (instincts Mtisnts), mit diesen von langer Hand geplanten Ueberraschungen." Dann kommt er mit einem etwas genialen Gedankensprünge auf den Mangel der Erziehung in Frankreich zu sprechen, und meint, daß die Publi- cisten das nachholen müßten, was der Schulmeister versäumt habe, besonders in Bezug auf Erweckung von Patriotismus. Wenn dies wirklich durch Selbstver¬ herrlichung möglich ist, wie er behauptet, daß es in Deutschland vor sich ginge, dann steht Frankreich, wie wir das schon an dem einen Beispiel glauben sattsam nach¬ gewiesen zu haben, keineswegs hinter Deutschland zurück. Er wiederholt dann die schon oft gemachte Behauptung, daß die deutschen Gelehrten absichtlich die Geschichte fälschen, indem er eine Notiz daran knüpft, die dieselbe erhärten soll. Wir theilen diese wörtlich mit, weil sie ein grelles Schlaglicht auf die er¬ staunliche Ignoranz dieses französischen preisgekrönten Historikers wirft. Er will nämlich einem deutschen Ethnographen widerlegen, der England eine deutsche ganz Frankreich, die Niederlande, die Schweiz, Italien. Spanien etc. als deutschen Besitz unter D. Red. Karl dem Großen reclamiren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/14
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/14>, abgerufen am 15.05.2024.