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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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die ganz in dem Geschmacke der Alles durcheinander würfelnden, von Mönchen
geschriebenen altdeutschen Weltchroniken verfaßt war. Püntiner führte u. A.
den Ursprung seiner Urner auf den Gothenkönig Alarich zurück und läßt
sie Rom erobern und von dem durch sie geretteten Papste ihr Landesbanner
erhalten, was im Jahre 398 geschehen und in der Chronik des Klosters Sec¬
tors bei Altorf zu lesen sei.

So wurde durch Schriften, die ihre Quellen nicht in der Volkssage
hatten, dem Volke eine Erfindung beigebracht, die dann von demselben erst
wieder auf seine Wege vervielfältigt worden ist. Und die Forscher, die sich
auf solche Erzählungen als auf echte und wahre Volkssagen verließen. be¬
dachten nicht, daß jede mündliche Ueberlieferung, die durch viele Jahrhunderte
hindurch etwas weitertragen und fortpflanzen soll, immer nur an einzelnen
Begebenheiten und Umständen haftete, also niemals sich auf eine politisch
zusammenhängende Geschichte ausdehnte. Tell aber wurde ja gerade zum
Mittelpunkte der Geschichte vom Befreiungskampfe der Urschweiz gemacht.

Kehren wir nun zu den angeblichen Urkunden zurück, und fragen wir,
ob dieselben ebenfalls Bekanntschaft mit den Püntinerschen Angaben ver¬
rathen, so ist darauf mit Ja zu antworten, und zwar kennen sie nicht blos
die oben citirte lateinische Stelle, sondern auch deren Verwerthung zu einer
Reihe von Urkundenfälschungen im Streite über die Existenz eines Tell.
Jmhoff meldet nämlich, im Todtenbuche der Kirchengemeinde Schaddorf stehe
geschrieben: "Wilhelm Tell, Walter, sein jüngster Sohn, Walter de Tello.
Cuni sein Sohn." Ebenso stehe im Todtenbuche der Gemeinde Attinghausen:
"Im Jahre 1675 ist verschieden Anna Margaretha Tell. Im Jahre 1684
ist verschieden Johann Martin Tell. der letzte seines Stammes, ultimus
stginmatis." Endlich sei in der "com'a, libri vitas in ^ltork et geeäoi'k
anno 1360 renovaw" zu lesen: ,Mmilig,rum xrisearum Husäsm gentis
libsrae eonäitivnis Nomina: der Fürst. 1307, 131S, der Teile, 1307." Alle
diese dreist auftretenden Angaben sind aber von Eutych Kopp als Schwindel
und Täuschung nachgewiesen worden. Die angeblich aus dem Seedorfer
Jahrzeitbuche entnommenen Namen und Daten kommen dort nicht vor und
sind nichts als Auszüge aus der Chronik Tschudis unter den betreffenden
Jahren. Das Schaddorfer Todtenbuch enthält nirgends den Namen Tell,
zeigt aber, daß der Name Walter de Tello eine Umänderung des Namens
Walter de Trullo ist. der vorher an dieser Stelle stand. Eine ähnliche Fälschung
findet sich im Attinghausener Todtenbuche, wo der Name eines Johann
Martin Näki, und die Namen seiner Töchter in Tell umgewandelt worden
sind, und der von Jmhoff behauptete Zusatz "ultimus Ltommatis" nicht zu
finden ist. Diese Koppschen Nachweise sind in den Waldstätten nothgedrungen
anerkannt worden. Hauptmann Müller aus Altdorf, der eifrige Forscher in


die ganz in dem Geschmacke der Alles durcheinander würfelnden, von Mönchen
geschriebenen altdeutschen Weltchroniken verfaßt war. Püntiner führte u. A.
den Ursprung seiner Urner auf den Gothenkönig Alarich zurück und läßt
sie Rom erobern und von dem durch sie geretteten Papste ihr Landesbanner
erhalten, was im Jahre 398 geschehen und in der Chronik des Klosters Sec¬
tors bei Altorf zu lesen sei.

So wurde durch Schriften, die ihre Quellen nicht in der Volkssage
hatten, dem Volke eine Erfindung beigebracht, die dann von demselben erst
wieder auf seine Wege vervielfältigt worden ist. Und die Forscher, die sich
auf solche Erzählungen als auf echte und wahre Volkssagen verließen. be¬
dachten nicht, daß jede mündliche Ueberlieferung, die durch viele Jahrhunderte
hindurch etwas weitertragen und fortpflanzen soll, immer nur an einzelnen
Begebenheiten und Umständen haftete, also niemals sich auf eine politisch
zusammenhängende Geschichte ausdehnte. Tell aber wurde ja gerade zum
Mittelpunkte der Geschichte vom Befreiungskampfe der Urschweiz gemacht.

Kehren wir nun zu den angeblichen Urkunden zurück, und fragen wir,
ob dieselben ebenfalls Bekanntschaft mit den Püntinerschen Angaben ver¬
rathen, so ist darauf mit Ja zu antworten, und zwar kennen sie nicht blos
die oben citirte lateinische Stelle, sondern auch deren Verwerthung zu einer
Reihe von Urkundenfälschungen im Streite über die Existenz eines Tell.
Jmhoff meldet nämlich, im Todtenbuche der Kirchengemeinde Schaddorf stehe
geschrieben: „Wilhelm Tell, Walter, sein jüngster Sohn, Walter de Tello.
Cuni sein Sohn." Ebenso stehe im Todtenbuche der Gemeinde Attinghausen:
»Im Jahre 1675 ist verschieden Anna Margaretha Tell. Im Jahre 1684
ist verschieden Johann Martin Tell. der letzte seines Stammes, ultimus
stginmatis." Endlich sei in der „com'a, libri vitas in ^ltork et geeäoi'k
anno 1360 renovaw" zu lesen: ,Mmilig,rum xrisearum Husäsm gentis
libsrae eonäitivnis Nomina: der Fürst. 1307, 131S, der Teile, 1307." Alle
diese dreist auftretenden Angaben sind aber von Eutych Kopp als Schwindel
und Täuschung nachgewiesen worden. Die angeblich aus dem Seedorfer
Jahrzeitbuche entnommenen Namen und Daten kommen dort nicht vor und
sind nichts als Auszüge aus der Chronik Tschudis unter den betreffenden
Jahren. Das Schaddorfer Todtenbuch enthält nirgends den Namen Tell,
zeigt aber, daß der Name Walter de Tello eine Umänderung des Namens
Walter de Trullo ist. der vorher an dieser Stelle stand. Eine ähnliche Fälschung
findet sich im Attinghausener Todtenbuche, wo der Name eines Johann
Martin Näki, und die Namen seiner Töchter in Tell umgewandelt worden
sind, und der von Jmhoff behauptete Zusatz „ultimus Ltommatis" nicht zu
finden ist. Diese Koppschen Nachweise sind in den Waldstätten nothgedrungen
anerkannt worden. Hauptmann Müller aus Altdorf, der eifrige Forscher in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/143>, abgerufen am 03.06.2024.