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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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vorschauendem Blick die beiden Ufer des Rheins in eine Zone neutraler Staa¬
ten umzuwandeln, die dazu bestimmt waren, das arbeitsame, productive, in¬
telligente Frankreich gegen die wüthenden Angriffe der Bettler (bssoigneux)
des Harzes oder die Hungerleider (gMinüs) Pommerns zu beschützen. Sie
scheiterten aber an dem ererbten Haß, den gewisse Deutsche gegen alles hegen,
was reicher und glücklicher ist als sie selbst."

Nachdem er sodann durch eine Stelle eines Schulprogramms des Magde¬
burger Gymnasiums aus dem Jahre 1856, welches die Deutschen in etwas
lebhafter Sprache daran erinnert, daß die Welschen noch im Besitz des Elsaß
sind, den Beweis zu führen glaubt, daß der deutsche Unterricht nicht nur
Sorge dafür trägt, die Jugend für den Kampf des Lebens sondern auch für
den historischen Kampf der Nationen und Rassen tauglich zu machen,
versteigt er sich zu dem Ausspruch: "Und so sind es die Untversitcitsange-
hörigen, die Paris bombardirt haben". Die Kenntniß dieser Thatsache, meint
er, "kann man nicht genug verbreiten." Und dann, einem Karl Moor nicht
unähnlich, ruft er aus: "Drum fort mit den Utopien eines menschenfreund¬
lichen Ideals. Opfern wir niemals das große Bild des Vaterlandes jenem
hohlen Traum einer menschlichen Solidarität!" Es folgt dann ein neuer
ebenso gemeiner wir alberner Ausfall gegen Preußen: "Die Preußen haben
keine Nationalist, diese ebenso große (Ig-rge) wie richtige Idee. Ilbi prg.eäa,
ibi Meria, sagte Pomponius Mela von ihnen. Sie betrachten als ihr Vater¬
land alle Länder, wo sie ihre Eroberungssucht stillen können." Herr de Saint-
Genis behauptet sodann, daß er xar ÄiseMion übersetze, und daß die Sitten
der Preußen dieselben geblieben seien. Der ehrenwerthe Herr erinnerte sich
hier wohl seines früher gegebenen Versprechens, seine harten Wahrheiten über
die Deutschen nur Fremden entlehnen zu wollen, und, um diesem doch in et¬
was nachzukommen, reitet er den unglückseligen Pomponius Mela, jenen
Geographen zweifelhafter Güte aus der Zeit des Kaisers Claudius, vor.
Aber seien wir gerecht, auch Tacitus hat er excerptrt. natürlich aber nur
solche Stellen ausgewählt, die ihm behagen, und die, aus dem Gesammtbilde
herausgerissen, eine ungünstige Deutung für Deutschland zulassen. Ein
solches Verfahren von Seiten eines Historikers setzt doch nothwendiger Weise
ein ebenso unwissendes wie oberflächliches Publicum voraus. Einmal zieht
er sogar Dante an, um ihm ein Verdammungsurtheil gegen die Deutschen
unterzuschieben. Er vollbringt dies folgendermaßen: "Man darf sich nicht
wundern", meint er, "daß die Menschen von jenseit des Rheines niemals
die Hoffnung auf Rache aufgegeben haben; sie haben den Italienern niemals
die Siege des Marius und des Cäsar verziehen." (Herr de Saint-Genis
weiß offenbar nichts von dem Unterschied, den man zwischen italisch und
italienisch macht. Italiener gab es aber zu Zeiten des Marius und des


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ten umzuwandeln, die dazu bestimmt waren, das arbeitsame, productive, in¬
telligente Frankreich gegen die wüthenden Angriffe der Bettler (bssoigneux)
des Harzes oder die Hungerleider (gMinüs) Pommerns zu beschützen. Sie
scheiterten aber an dem ererbten Haß, den gewisse Deutsche gegen alles hegen,
was reicher und glücklicher ist als sie selbst."

Nachdem er sodann durch eine Stelle eines Schulprogramms des Magde¬
burger Gymnasiums aus dem Jahre 1856, welches die Deutschen in etwas
lebhafter Sprache daran erinnert, daß die Welschen noch im Besitz des Elsaß
sind, den Beweis zu führen glaubt, daß der deutsche Unterricht nicht nur
Sorge dafür trägt, die Jugend für den Kampf des Lebens sondern auch für
den historischen Kampf der Nationen und Rassen tauglich zu machen,
versteigt er sich zu dem Ausspruch: „Und so sind es die Untversitcitsange-
hörigen, die Paris bombardirt haben". Die Kenntniß dieser Thatsache, meint
er, „kann man nicht genug verbreiten." Und dann, einem Karl Moor nicht
unähnlich, ruft er aus: „Drum fort mit den Utopien eines menschenfreund¬
lichen Ideals. Opfern wir niemals das große Bild des Vaterlandes jenem
hohlen Traum einer menschlichen Solidarität!" Es folgt dann ein neuer
ebenso gemeiner wir alberner Ausfall gegen Preußen: „Die Preußen haben
keine Nationalist, diese ebenso große (Ig-rge) wie richtige Idee. Ilbi prg.eäa,
ibi Meria, sagte Pomponius Mela von ihnen. Sie betrachten als ihr Vater¬
land alle Länder, wo sie ihre Eroberungssucht stillen können." Herr de Saint-
Genis behauptet sodann, daß er xar ÄiseMion übersetze, und daß die Sitten
der Preußen dieselben geblieben seien. Der ehrenwerthe Herr erinnerte sich
hier wohl seines früher gegebenen Versprechens, seine harten Wahrheiten über
die Deutschen nur Fremden entlehnen zu wollen, und, um diesem doch in et¬
was nachzukommen, reitet er den unglückseligen Pomponius Mela, jenen
Geographen zweifelhafter Güte aus der Zeit des Kaisers Claudius, vor.
Aber seien wir gerecht, auch Tacitus hat er excerptrt. natürlich aber nur
solche Stellen ausgewählt, die ihm behagen, und die, aus dem Gesammtbilde
herausgerissen, eine ungünstige Deutung für Deutschland zulassen. Ein
solches Verfahren von Seiten eines Historikers setzt doch nothwendiger Weise
ein ebenso unwissendes wie oberflächliches Publicum voraus. Einmal zieht
er sogar Dante an, um ihm ein Verdammungsurtheil gegen die Deutschen
unterzuschieben. Er vollbringt dies folgendermaßen: „Man darf sich nicht
wundern", meint er, „daß die Menschen von jenseit des Rheines niemals
die Hoffnung auf Rache aufgegeben haben; sie haben den Italienern niemals
die Siege des Marius und des Cäsar verziehen." (Herr de Saint-Genis
weiß offenbar nichts von dem Unterschied, den man zwischen italisch und
italienisch macht. Italiener gab es aber zu Zeiten des Marius und des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/16>, abgerufen am 15.05.2024.