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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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kann die Gefahr beschwören. England hat nicht zu seiner Ehre" (hier merkt
man eine Verstimmung heraus, wohl wegen des Ankaufs der Suezeanal-
Actien) "und sehr zur Unzeit sich nicht mehr um die europäischen Angelegen¬
heiten gekümmert. Aber noch giebt es drei tüchtige Nationen, mit denen uns
die engsten Bande der Sympathie und der Dankbarkeit verknüpfen: Schweden
Portugal und Italien, und die stets mit uns in dieser friedlichen Coalition
sein werden." Mein sieht, er buhlt nach allen Seiten hin. -- Folgende Stelle
ist auch der Form wegen interessant, da diese im grellen Gegensatze zum In¬
halt steht. Er schlägt hier nämlich wieder einen Ton an, als ob er die
ganze Weisheit der Bramanen der Welt zu verkünden hätte und fördert doch
nichts als blühenden Blödsinn zu Tage: ,,Was man vor Europa immer
wiederholen muß, und was wir selber lernen müssen, wir, die wir es zu sehr
vergessen haben, ist Folgendes: Seit den Anfängen der Geschichte hat der
Rhein zwei Rassen geschieden, die sich nie haben vermischen oder vereinigen
können." (Aber wo bleiben dann seine eignen Compatrioten, die Herren
Franzosen, unsere liebenswürdigen Vettern, das augenscheinliche Product
dieser Mischung?) "Die Nothwendigkeit, seine Einheit zu vertheidigen, hat
Frankreich immer aus die Alpen und auf den Rhein geworfen und wird es
stets darauf werfen." (Ein naives Geständniß französischer Eroberungssucht.)
"Das Werk des alten französischen Königsthums ist gewesen, die alte gallische
Einheit wieder herzustellen, die durch die Invasion der Barbaren gebrochen
war, es ist die nationale Pflicht, der jede unserer Dynastien sich hat weihen
müssen. Nach dem herkömmlichen Königsthum hat selbst das Kaiserreich,
aus einem neuen öffentlichen Recht hervorgegangen, diesen Pack mit der Ge¬
schichte aufrecht erhalten müssen. Was auch heute die inneren Geschicke
Frankreichs und die möglichen Umwandelungen seiner Regierung sein mögen,
eine Nothwendigkeit ist da, der sie sich nicht wird entziehen können, nämlich
diejenige, die Mittel zu ergreifen, um zu leben und in Europa mitzuzählen.
Zerstückelt, besiegt, in seiner Würde und in seiner Geschichte verletzt, wird
Frankreich so lange eine blutende Wunde in der Seite tragen, bis es die
Provinzen zurückerlangt hat, die zu Zeiten Cäsar's und Tacitus' ihr als
Barriere gegen die ausgehungerten Horden der teutonischen Wälder dienten,
jene Provinzen, welche" -- man höre! -- "die erste Coalition von 843 uns
verlieren ließ, und welche Ludwig XIV. und Napoleon I. für Frankreich zu¬
rückerobert hatten." Daß die bornirte Schamlosigkeit des Herrn de Saint-
Genis doch auch ihr Gutes hat, sieht man recht deutlich an dieser Stelle;
so unumwunden, mit solcher edlen Dreistigkeit hatte man sich seit dem
Kriege jenseits.der Seine über die unverrückbaren Ziele der französischen Erobe¬
rungssucht nicht mehr vernehmen lassen.


kann die Gefahr beschwören. England hat nicht zu seiner Ehre" (hier merkt
man eine Verstimmung heraus, wohl wegen des Ankaufs der Suezeanal-
Actien) „und sehr zur Unzeit sich nicht mehr um die europäischen Angelegen¬
heiten gekümmert. Aber noch giebt es drei tüchtige Nationen, mit denen uns
die engsten Bande der Sympathie und der Dankbarkeit verknüpfen: Schweden
Portugal und Italien, und die stets mit uns in dieser friedlichen Coalition
sein werden." Mein sieht, er buhlt nach allen Seiten hin. — Folgende Stelle
ist auch der Form wegen interessant, da diese im grellen Gegensatze zum In¬
halt steht. Er schlägt hier nämlich wieder einen Ton an, als ob er die
ganze Weisheit der Bramanen der Welt zu verkünden hätte und fördert doch
nichts als blühenden Blödsinn zu Tage: ,,Was man vor Europa immer
wiederholen muß, und was wir selber lernen müssen, wir, die wir es zu sehr
vergessen haben, ist Folgendes: Seit den Anfängen der Geschichte hat der
Rhein zwei Rassen geschieden, die sich nie haben vermischen oder vereinigen
können." (Aber wo bleiben dann seine eignen Compatrioten, die Herren
Franzosen, unsere liebenswürdigen Vettern, das augenscheinliche Product
dieser Mischung?) „Die Nothwendigkeit, seine Einheit zu vertheidigen, hat
Frankreich immer aus die Alpen und auf den Rhein geworfen und wird es
stets darauf werfen." (Ein naives Geständniß französischer Eroberungssucht.)
„Das Werk des alten französischen Königsthums ist gewesen, die alte gallische
Einheit wieder herzustellen, die durch die Invasion der Barbaren gebrochen
war, es ist die nationale Pflicht, der jede unserer Dynastien sich hat weihen
müssen. Nach dem herkömmlichen Königsthum hat selbst das Kaiserreich,
aus einem neuen öffentlichen Recht hervorgegangen, diesen Pack mit der Ge¬
schichte aufrecht erhalten müssen. Was auch heute die inneren Geschicke
Frankreichs und die möglichen Umwandelungen seiner Regierung sein mögen,
eine Nothwendigkeit ist da, der sie sich nicht wird entziehen können, nämlich
diejenige, die Mittel zu ergreifen, um zu leben und in Europa mitzuzählen.
Zerstückelt, besiegt, in seiner Würde und in seiner Geschichte verletzt, wird
Frankreich so lange eine blutende Wunde in der Seite tragen, bis es die
Provinzen zurückerlangt hat, die zu Zeiten Cäsar's und Tacitus' ihr als
Barriere gegen die ausgehungerten Horden der teutonischen Wälder dienten,
jene Provinzen, welche" — man höre! — „die erste Coalition von 843 uns
verlieren ließ, und welche Ludwig XIV. und Napoleon I. für Frankreich zu¬
rückerobert hatten." Daß die bornirte Schamlosigkeit des Herrn de Saint-
Genis doch auch ihr Gutes hat, sieht man recht deutlich an dieser Stelle;
so unumwunden, mit solcher edlen Dreistigkeit hatte man sich seit dem
Kriege jenseits.der Seine über die unverrückbaren Ziele der französischen Erobe¬
rungssucht nicht mehr vernehmen lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/18>, abgerufen am 15.05.2024.