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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Auch ein salbungsvoll pfäffischer Ton steht dem ehrenwerthen Herrn
gut an, wie man aus folgender Stelle ersieht: "Aber die Stunde jener
Wiederstattung ist in den Händen der Vorsehung. Unsere menschlichen
Vorhersehungen können, besonders in einer Epoche, wo die unerwarteten
Niederlagen so plötzlich sind, sich nicht ohne Anmaßung bis auf jene Ver¬
änderungen ausdehnen, die die vollständige Wiederherstellung des europäischen
Gleichgewichts einschließen würden, welches zum ersten Mal 1815 und ein
zweites Mal 1866 umgestürzt ist." Der Sturz der Napoleonischen Zwingherr¬
schaft, die Zurücknahme seines Länderraubes ist für den ehrenwerthen Herrn ein
Umsturz des europäischen Gleichgewichts. Herr Victor, so wollen wir ihn der
Kürze wegen nennen, hat es offenbar vergessen, daß er eben noch ganz Eu¬
ropa aufgerufen hat, den Worten seiner Weisheit zu lauschen, dasselbe Eu¬
ropa welches sich für solidarisch erklärte, diesen korsischen Kronenräuber und
mit ihm das friedliebende, nur augenblicklich von Blutdurst heuchelte Frank¬
reich, oder sollen wir sagen Gallien, wir thun dem Herrn Victor gern diesen
Gefallen, zur Raison zu bringen.

Ehe wir nun auf den weltbeglückenden Plan dieses edelmüthigen Philan¬
thropen eingehen,^müssen wir noch erzählen, wie er dazu gekommen ist, gerade
jetzt, d. h. vor einigen Monaten damit ans Tageslicht zu treten. "Der
Wunsch nach Frieden", so erzählt er uns in seiner leutseligen und dabei
geistreichen Weise, "ist allgemein in Europa, und dennoch bedroht der Krieg
uns fortwährend. Jeder weiß es, jeder fühlt es, jeder denkt es. Preußen
kann nicht länger das zu schwere Gewicht des Steges auf seinen Schultern
tragen", (Herr Victor hat ganz recht, so was vermögen nur französische
Schultern) "es fürchtet, daß seine Beute ihm entwischt, daß seine deutschen
Annexionen sich seiner Dictatur entziehen, daß der Katholicismus Baierns,
Sachsens" (Kovuz? soit, gui mal xeuse! dem gelehrten Herrn schwebte
sehr wahrscheinlich der lange gültig gewesene Rechtsgrundsatz vor: en^us r<z-
8lo, kjus relisio; und da er nun sehr wohl wußte, daß das sächsische Königs.
Haus katholisch ist, so lag die Annahme zu nahe, daß auch das Land es sei;
daß es sich nun zufällig anders- verhallt, ist doch wahrhaftig nicht seine
Schuld; auch verschlägt es dabei wenig, daß Sachsen für die Wiege der
deutschen Reformation gilt) "und des linken Rheinufers der Verfolgung
überdrüssig werden, daß England müde wird mit anzusehen, wie Preußen die
Hand nach Belgien und Holland ausreckt" (vgl. den belgischen Raubplan
Benedetti's), "daß Oestreich sich in dem Blute von Sadowa wie erstickt fühlt
und daß die Skandinavischen Staaten wegen der heroischen Schmach Schles¬
wigs" losbrechen. (Es giebt Leute, die am hellen Tage überall Gespenster
sehen. Was kann Herr Victor dafür, wenn er zu dieser mehr bedauerns¬
werten Klasse gehört?) "Preußen waffnet ohne Ermüdung, es starrt von
Eisen und Stahl, es erschöpft unsere Milliarden und wenn ihm nichts mehr


Auch ein salbungsvoll pfäffischer Ton steht dem ehrenwerthen Herrn
gut an, wie man aus folgender Stelle ersieht: „Aber die Stunde jener
Wiederstattung ist in den Händen der Vorsehung. Unsere menschlichen
Vorhersehungen können, besonders in einer Epoche, wo die unerwarteten
Niederlagen so plötzlich sind, sich nicht ohne Anmaßung bis auf jene Ver¬
änderungen ausdehnen, die die vollständige Wiederherstellung des europäischen
Gleichgewichts einschließen würden, welches zum ersten Mal 1815 und ein
zweites Mal 1866 umgestürzt ist." Der Sturz der Napoleonischen Zwingherr¬
schaft, die Zurücknahme seines Länderraubes ist für den ehrenwerthen Herrn ein
Umsturz des europäischen Gleichgewichts. Herr Victor, so wollen wir ihn der
Kürze wegen nennen, hat es offenbar vergessen, daß er eben noch ganz Eu¬
ropa aufgerufen hat, den Worten seiner Weisheit zu lauschen, dasselbe Eu¬
ropa welches sich für solidarisch erklärte, diesen korsischen Kronenräuber und
mit ihm das friedliebende, nur augenblicklich von Blutdurst heuchelte Frank¬
reich, oder sollen wir sagen Gallien, wir thun dem Herrn Victor gern diesen
Gefallen, zur Raison zu bringen.

Ehe wir nun auf den weltbeglückenden Plan dieses edelmüthigen Philan¬
thropen eingehen,^müssen wir noch erzählen, wie er dazu gekommen ist, gerade
jetzt, d. h. vor einigen Monaten damit ans Tageslicht zu treten. „Der
Wunsch nach Frieden", so erzählt er uns in seiner leutseligen und dabei
geistreichen Weise, „ist allgemein in Europa, und dennoch bedroht der Krieg
uns fortwährend. Jeder weiß es, jeder fühlt es, jeder denkt es. Preußen
kann nicht länger das zu schwere Gewicht des Steges auf seinen Schultern
tragen", (Herr Victor hat ganz recht, so was vermögen nur französische
Schultern) „es fürchtet, daß seine Beute ihm entwischt, daß seine deutschen
Annexionen sich seiner Dictatur entziehen, daß der Katholicismus Baierns,
Sachsens" (Kovuz? soit, gui mal xeuse! dem gelehrten Herrn schwebte
sehr wahrscheinlich der lange gültig gewesene Rechtsgrundsatz vor: en^us r<z-
8lo, kjus relisio; und da er nun sehr wohl wußte, daß das sächsische Königs.
Haus katholisch ist, so lag die Annahme zu nahe, daß auch das Land es sei;
daß es sich nun zufällig anders- verhallt, ist doch wahrhaftig nicht seine
Schuld; auch verschlägt es dabei wenig, daß Sachsen für die Wiege der
deutschen Reformation gilt) „und des linken Rheinufers der Verfolgung
überdrüssig werden, daß England müde wird mit anzusehen, wie Preußen die
Hand nach Belgien und Holland ausreckt" (vgl. den belgischen Raubplan
Benedetti's), „daß Oestreich sich in dem Blute von Sadowa wie erstickt fühlt
und daß die Skandinavischen Staaten wegen der heroischen Schmach Schles¬
wigs" losbrechen. (Es giebt Leute, die am hellen Tage überall Gespenster
sehen. Was kann Herr Victor dafür, wenn er zu dieser mehr bedauerns¬
werten Klasse gehört?) „Preußen waffnet ohne Ermüdung, es starrt von
Eisen und Stahl, es erschöpft unsere Milliarden und wenn ihm nichts mehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/19>, abgerufen am 15.05.2024.