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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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als sein Credit übrig bleibt. wird es einhalten müssen; entweder entwaffnen
oder einen Einfall machen. Das ist der Krieg auf kurze Sicht. Der nagende
Wurm des Deficits tödtet Preußen, und in seinen Selbstmord möchte es
Europa mit hineinreißen, das auf Preußen eifersüchtig ist und es fürchtet.
Warum nicht vor dem Kriege versuchen, was doch das unausbleibliche Re¬
sultat des Krieges sein würde?" Bei aller Hochachtung, die wir schon für
den staatsmännischen Blick des gelehrten Historikers bekundet haben, können
wir doch nicht umhin, unsere etwas entgegenstehende Meinung über diesen
Punkt dahin zu präeisiren, daß, falls dieses Resultat, so wie es ihm vor¬
schwebt, wirklich durch einen Krieg unausbleiblich wäre, seine Herren Com-
patrioten mit uns keine Worte mehr tauschen, sondern den Krieg ganz wie
im Jahre 70 vom Zaune brechen würden. "Seit Wochen", erzählt er sodann,
wird es überall bemerkt, daß Symptome einer fühlbaren Annäherung zwischen
Frankreich und Deutschland vorhanden seien. Wenn die bis jetzt so rauhe
hochmüthige Politik Bismarck's Frankreich gegenüber sich in einem friedlichen
Sinne modificirt hat, muß man dann nicht annehmen, daß das Geheimniß
dieses brüsten Wechsels die Nothwendigkeit ist? Um sich frei bewegen zu
können gegenüber den Verwickelungen, die Europa möglicherweise bald treffen
können, muß Preußen entweder Frankreich vernichten oder es sich zum Freunde
machen, es giebt kein Mittelding zwischen diesen zwei Alternativen", (die
neuesten Ereignisse haben freilich dargethan, daß es doch noch so ein Mittel¬
ding giebt, daß Preußen auch ohne die "Freundschaft" Frankreichs und ohne
es zu vernichten sich frei bewegen kann, aber wer irrt sich nicht einmal?)
Bismarck, meint Victor sodann, habe voll von Illusionen in seine Macht,
zuerst den Gedanken gehabt, in Frankreich von neuem einzufallen und die
alten Grenzen, wie sie den kleinen Preußen jetzt in der Schule gelehrt werden,
herzustellen. Aber zweimal hat der Scharfblick und die Billigkett des Kaisers
von Rußland Frankreich vor diesem Attentat und Europa vor einer schreck¬
lichen Erschütterung bewahrt. Herr Bismarck, führt er dann des längeren
aus, habe hieran und an dem heroischen Widerstand der deutschen Katholiken
begriffen, daß die Zeit der Gewaltthaten vorüber sei. Er ist urplötzlich fried¬
liebend geworden. Es giebt keine Art Avancen, die seine Agenten den Fran¬
zosen nicht machen: in der Presse, in den Salons, auf internationalen Ver¬
sammlungen, auf der Blumenausstellung in Köln.

Es könnte nun Leute geben, die besonders in Anbetracht dessen, daß es
unser leutseliger Kronprinz gewesen, der auf der Kölner Ausstellung den
französischen Ausstellern einige anerkennende Worte gesagt hat, diese Insinu¬
ationen des Herrn Victor für grundgemein erklärten; gegen diese müßten
wir jedoch den ehrenwerthen Herrn entschieden in Schutz nehmen. Denn
ganz augenscheinlich hat er nichts anderes gewollt, als den Deutschen aä oculos


als sein Credit übrig bleibt. wird es einhalten müssen; entweder entwaffnen
oder einen Einfall machen. Das ist der Krieg auf kurze Sicht. Der nagende
Wurm des Deficits tödtet Preußen, und in seinen Selbstmord möchte es
Europa mit hineinreißen, das auf Preußen eifersüchtig ist und es fürchtet.
Warum nicht vor dem Kriege versuchen, was doch das unausbleibliche Re¬
sultat des Krieges sein würde?" Bei aller Hochachtung, die wir schon für
den staatsmännischen Blick des gelehrten Historikers bekundet haben, können
wir doch nicht umhin, unsere etwas entgegenstehende Meinung über diesen
Punkt dahin zu präeisiren, daß, falls dieses Resultat, so wie es ihm vor¬
schwebt, wirklich durch einen Krieg unausbleiblich wäre, seine Herren Com-
patrioten mit uns keine Worte mehr tauschen, sondern den Krieg ganz wie
im Jahre 70 vom Zaune brechen würden. „Seit Wochen", erzählt er sodann,
wird es überall bemerkt, daß Symptome einer fühlbaren Annäherung zwischen
Frankreich und Deutschland vorhanden seien. Wenn die bis jetzt so rauhe
hochmüthige Politik Bismarck's Frankreich gegenüber sich in einem friedlichen
Sinne modificirt hat, muß man dann nicht annehmen, daß das Geheimniß
dieses brüsten Wechsels die Nothwendigkeit ist? Um sich frei bewegen zu
können gegenüber den Verwickelungen, die Europa möglicherweise bald treffen
können, muß Preußen entweder Frankreich vernichten oder es sich zum Freunde
machen, es giebt kein Mittelding zwischen diesen zwei Alternativen", (die
neuesten Ereignisse haben freilich dargethan, daß es doch noch so ein Mittel¬
ding giebt, daß Preußen auch ohne die „Freundschaft" Frankreichs und ohne
es zu vernichten sich frei bewegen kann, aber wer irrt sich nicht einmal?)
Bismarck, meint Victor sodann, habe voll von Illusionen in seine Macht,
zuerst den Gedanken gehabt, in Frankreich von neuem einzufallen und die
alten Grenzen, wie sie den kleinen Preußen jetzt in der Schule gelehrt werden,
herzustellen. Aber zweimal hat der Scharfblick und die Billigkett des Kaisers
von Rußland Frankreich vor diesem Attentat und Europa vor einer schreck¬
lichen Erschütterung bewahrt. Herr Bismarck, führt er dann des längeren
aus, habe hieran und an dem heroischen Widerstand der deutschen Katholiken
begriffen, daß die Zeit der Gewaltthaten vorüber sei. Er ist urplötzlich fried¬
liebend geworden. Es giebt keine Art Avancen, die seine Agenten den Fran¬
zosen nicht machen: in der Presse, in den Salons, auf internationalen Ver¬
sammlungen, auf der Blumenausstellung in Köln.

Es könnte nun Leute geben, die besonders in Anbetracht dessen, daß es
unser leutseliger Kronprinz gewesen, der auf der Kölner Ausstellung den
französischen Ausstellern einige anerkennende Worte gesagt hat, diese Insinu¬
ationen des Herrn Victor für grundgemein erklärten; gegen diese müßten
wir jedoch den ehrenwerthen Herrn entschieden in Schutz nehmen. Denn
ganz augenscheinlich hat er nichts anderes gewollt, als den Deutschen aä oculos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/20>, abgerufen am 15.05.2024.