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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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des Sittlichen die Bildung als Luxus erscheinen, so hat sie z. B. in neueren
Zeiten als nothwendiger Luxus für Maitressen, und als unnöthig für die
Hausfrauen gegolten.

Was nun den Inhalt der Bildung betrifft, so ist kein Wissensgebiet
davon ausgeschlossen, das Universum gehört ihr zu und in Universalität hat
sie aufzutreten (27. 28). Des Centrum bleibt dabei das allgemein mensch¬
liche Interesse, wobei sich engere und weitere Kreise der Bildung ergeben, und
jeder Einzelne nach seiner individuellen Bestimmtheit, Famtlienangehörigkeit
sein eigenes Centrum besitzt. Die Fachgelehrsamkeit darf sich nicht zu sehr
von andern Wissensgebieten, namentlich nicht denen von allgemein mensch¬
lichem Interesse abschließen und die einzelnen Schätze des Wissens dürfen
nicht todt und träge neben einander liegen. Als Beispiele todter Gelehr¬
samkeit und wahrhafter Bildung stellt L. S. 37 Cooring, Professor in Helm-
städt 1606 -- 81 und Lessing gegenüber. Treffliches sagt er dann S. 40 ff.
über die Bildung der Frauen. Da bei ihnen nicht die einseitig machende
Beschäftigung mit einer Fachwissenschaft verlangt wird, so kann bei ihnen
die Veredlung des Persönlichen, die Darstellung des rein Menschlichen um
so entschiedener hervortreten. Die neue Emancipationsmanie freilich zieht das
Weib herab und nimmt ihm den mystischen Reiz der das ewig Weibliche, das
uns alle hinzieht, umgiebt.

Wenn nun unter der Voraussetzung S. 49, daß das Centrum der Bil¬
dung das allgemein menschliche Interesse sei, die Höhe der Bildung in der
Aneignung desjenigen Inhalts, welcher die Gesammtheit des geistigen Lebens
der Menschen und ihrer Interessen ausmacht (S. 30), besteht, so erscheint
(S. 49) solche Bildung vorerst als eine unmögliche Aufgabe; aber es ist zu
bemerken, daß sowohl Polhhistorie als auch Philosophie auszuschließen sind-
Eine angehäufte Summe von Kenntnissen ist noch keine Bildung. Die
Philosophie aber als Wissen des Wissens hat es mit der Möglichkeit und
den Grenzen des Wissens überhaupt, wie mit der Begründung des Wissens
im Allgemeinen und im Einzelnen zu thun. Sie ist somit selbst Wissenschaft
und die Bildung steht zu ihr, wie zu den anderen Wissenschaften im Ver¬
hältniß der Aneignung. Aber nicht (S. 67) auf Aneignung der Voll¬
ständigkeit des Inhaltes der Wissensgebiete, sondern auf Klarheit und
Verständniß desselben, sowie auf gewisse geistige Regsamkeit kommt es bei
der Bildung an. Sehr bezeichnend ist daher, sagt L. (S. 63), der Ausdruck
Bildung. Er deutet an, daß es sich in ihr nicht um An full" ng mit
Kenntnissen, sondern um Gestaltung, und weil organische Gestaltung auch
um Belebung und innere Bewegung des Geistes handelt. Deshalb schafft
(S. 64) "die Bildung die Seele zu einem Organismus um, für den jede
neue Erforschung eine Nahrung ist, welche er in sich ausnimmt, organisch


des Sittlichen die Bildung als Luxus erscheinen, so hat sie z. B. in neueren
Zeiten als nothwendiger Luxus für Maitressen, und als unnöthig für die
Hausfrauen gegolten.

Was nun den Inhalt der Bildung betrifft, so ist kein Wissensgebiet
davon ausgeschlossen, das Universum gehört ihr zu und in Universalität hat
sie aufzutreten (27. 28). Des Centrum bleibt dabei das allgemein mensch¬
liche Interesse, wobei sich engere und weitere Kreise der Bildung ergeben, und
jeder Einzelne nach seiner individuellen Bestimmtheit, Famtlienangehörigkeit
sein eigenes Centrum besitzt. Die Fachgelehrsamkeit darf sich nicht zu sehr
von andern Wissensgebieten, namentlich nicht denen von allgemein mensch¬
lichem Interesse abschließen und die einzelnen Schätze des Wissens dürfen
nicht todt und träge neben einander liegen. Als Beispiele todter Gelehr¬
samkeit und wahrhafter Bildung stellt L. S. 37 Cooring, Professor in Helm-
städt 1606 — 81 und Lessing gegenüber. Treffliches sagt er dann S. 40 ff.
über die Bildung der Frauen. Da bei ihnen nicht die einseitig machende
Beschäftigung mit einer Fachwissenschaft verlangt wird, so kann bei ihnen
die Veredlung des Persönlichen, die Darstellung des rein Menschlichen um
so entschiedener hervortreten. Die neue Emancipationsmanie freilich zieht das
Weib herab und nimmt ihm den mystischen Reiz der das ewig Weibliche, das
uns alle hinzieht, umgiebt.

Wenn nun unter der Voraussetzung S. 49, daß das Centrum der Bil¬
dung das allgemein menschliche Interesse sei, die Höhe der Bildung in der
Aneignung desjenigen Inhalts, welcher die Gesammtheit des geistigen Lebens
der Menschen und ihrer Interessen ausmacht (S. 30), besteht, so erscheint
(S. 49) solche Bildung vorerst als eine unmögliche Aufgabe; aber es ist zu
bemerken, daß sowohl Polhhistorie als auch Philosophie auszuschließen sind-
Eine angehäufte Summe von Kenntnissen ist noch keine Bildung. Die
Philosophie aber als Wissen des Wissens hat es mit der Möglichkeit und
den Grenzen des Wissens überhaupt, wie mit der Begründung des Wissens
im Allgemeinen und im Einzelnen zu thun. Sie ist somit selbst Wissenschaft
und die Bildung steht zu ihr, wie zu den anderen Wissenschaften im Ver¬
hältniß der Aneignung. Aber nicht (S. 67) auf Aneignung der Voll¬
ständigkeit des Inhaltes der Wissensgebiete, sondern auf Klarheit und
Verständniß desselben, sowie auf gewisse geistige Regsamkeit kommt es bei
der Bildung an. Sehr bezeichnend ist daher, sagt L. (S. 63), der Ausdruck
Bildung. Er deutet an, daß es sich in ihr nicht um An full» ng mit
Kenntnissen, sondern um Gestaltung, und weil organische Gestaltung auch
um Belebung und innere Bewegung des Geistes handelt. Deshalb schafft
(S. 64) „die Bildung die Seele zu einem Organismus um, für den jede
neue Erforschung eine Nahrung ist, welche er in sich ausnimmt, organisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/198>, abgerufen am 29.05.2024.