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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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jedermann, sobald er mit ihm berührt wurde, zwingen, zu thun, was man
von ihm verlangte; doch mußte der Ring beim Mondwechsel, an einem Frei¬
tag, der auf den 1. oder 8. des Monats fiel, angefertigt werden. Ein
Goldring mit einem Feuerstein, in welchen ein mit einem Schwerte um-
gürteter Reiter eingegraben war, der in der einen Hand den Zügel, in der
andern einen Bogen hielt, machte unbesiegbar in der Schlacht, und wer ihn
in Moschusöl tauchte und sein Gesicht mit diesem Oele einrteb, wurde für alle
seine Feinde ein unwiderstehlicher Schrecken. Aehnliche Kraft besaß ein eiserner
Ring mit einem aufrechtstehenden Manne, der einen Helm auf dem Kopfe
und ein blankes Schwert in der Hand trug. Ein Steinbock auf einem
Carneol, in einen silbernen Ring gefaßt, machte seinen Träger fest gegen
alle Waffen, gegen Diebe, gegen Bezauberung, und sicherte ihn vor unge¬
rechten Richtersprüchen.

Häufig waren aus solchen Ringamuleten auch die Planeten dargestellt,
die man sich als zu den Steinen oder Metallen derselben in Beziehung stehend
dachte. Der Zauberer Apollonius von Tyana in Kappadocien, der im ersten
Jahrhundert nach Christus lebte, trug jeden Tag der Woche einen verschiedenen
Ring, der immer mit dem Planeten des Tages geschmückt war. Er wollte
diese sieben Ringe von Jarchas, dem indischen Philosophen, zum Geschenk
erhalten haben. Am Sonntage mußte man goldne Ringe mit gelben Steinen,
am Montage Ringe mit Perlen oder weißen Steinen, am Dienstage, der
dem Mars gehörte, solche mit rothen, am Mittwoch, dem Tage Mercurs,
solche mit blauen Steinen, am Donnerstage, der dem Jupiter geweiht war,
solche mit Amethysten, am Freitage, dem Tage der Venus, solche mit grünen
Steinen, am Sonnabend endlich, den Saturn regierte, Ringe mit Dia¬
manten tragen.

Es gab ferner im Alterthume und im Mittelalter Ringe, welche die
Kraft besaßen, unwiderstehlich anzuziehen. Nach französischer Sage war Karl
der Große in seiner Jugend sterblich verliebt in ein schönes Mädchen, so daß
er über dem Vergnügen, in ihrer Gesellschaft zu sein, die Angelegenheiten
des Staates vernachlässigte. Als sie plötzlich starb, war der König untröstlich
und wollte sich von ihrer Leiche nicht trennen. Da kam der Erzbischof von
Köln hinzu und sah sogleich, was die Ursache war. Er öffnete der Todten
den Mund und nahm einen Ring heraus, worauf der König sich ohne Ver¬
zug beruhigte; denn das war der Talisman gewesen, der ihn aufgeregt und
festgehalten hatte. Die Leiche wurde nun begraben, den Ring aber warf
der Erzbischof in einen Teich bei Aachen, wo er seine Anziehungskraft indeß
nicht verlor; denn der Monarch fühlte sich jetzt alle Tage nach dem Ufer
des Teiches hingelenkt und gewann die Stelle so lieb, daß er ein Schloß
dahinbaute und es zu seiner Residenz machte.


jedermann, sobald er mit ihm berührt wurde, zwingen, zu thun, was man
von ihm verlangte; doch mußte der Ring beim Mondwechsel, an einem Frei¬
tag, der auf den 1. oder 8. des Monats fiel, angefertigt werden. Ein
Goldring mit einem Feuerstein, in welchen ein mit einem Schwerte um-
gürteter Reiter eingegraben war, der in der einen Hand den Zügel, in der
andern einen Bogen hielt, machte unbesiegbar in der Schlacht, und wer ihn
in Moschusöl tauchte und sein Gesicht mit diesem Oele einrteb, wurde für alle
seine Feinde ein unwiderstehlicher Schrecken. Aehnliche Kraft besaß ein eiserner
Ring mit einem aufrechtstehenden Manne, der einen Helm auf dem Kopfe
und ein blankes Schwert in der Hand trug. Ein Steinbock auf einem
Carneol, in einen silbernen Ring gefaßt, machte seinen Träger fest gegen
alle Waffen, gegen Diebe, gegen Bezauberung, und sicherte ihn vor unge¬
rechten Richtersprüchen.

Häufig waren aus solchen Ringamuleten auch die Planeten dargestellt,
die man sich als zu den Steinen oder Metallen derselben in Beziehung stehend
dachte. Der Zauberer Apollonius von Tyana in Kappadocien, der im ersten
Jahrhundert nach Christus lebte, trug jeden Tag der Woche einen verschiedenen
Ring, der immer mit dem Planeten des Tages geschmückt war. Er wollte
diese sieben Ringe von Jarchas, dem indischen Philosophen, zum Geschenk
erhalten haben. Am Sonntage mußte man goldne Ringe mit gelben Steinen,
am Montage Ringe mit Perlen oder weißen Steinen, am Dienstage, der
dem Mars gehörte, solche mit rothen, am Mittwoch, dem Tage Mercurs,
solche mit blauen Steinen, am Donnerstage, der dem Jupiter geweiht war,
solche mit Amethysten, am Freitage, dem Tage der Venus, solche mit grünen
Steinen, am Sonnabend endlich, den Saturn regierte, Ringe mit Dia¬
manten tragen.

Es gab ferner im Alterthume und im Mittelalter Ringe, welche die
Kraft besaßen, unwiderstehlich anzuziehen. Nach französischer Sage war Karl
der Große in seiner Jugend sterblich verliebt in ein schönes Mädchen, so daß
er über dem Vergnügen, in ihrer Gesellschaft zu sein, die Angelegenheiten
des Staates vernachlässigte. Als sie plötzlich starb, war der König untröstlich
und wollte sich von ihrer Leiche nicht trennen. Da kam der Erzbischof von
Köln hinzu und sah sogleich, was die Ursache war. Er öffnete der Todten
den Mund und nahm einen Ring heraus, worauf der König sich ohne Ver¬
zug beruhigte; denn das war der Talisman gewesen, der ihn aufgeregt und
festgehalten hatte. Die Leiche wurde nun begraben, den Ring aber warf
der Erzbischof in einen Teich bei Aachen, wo er seine Anziehungskraft indeß
nicht verlor; denn der Monarch fühlte sich jetzt alle Tage nach dem Ufer
des Teiches hingelenkt und gewann die Stelle so lieb, daß er ein Schloß
dahinbaute und es zu seiner Residenz machte.


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[0210] jedermann, sobald er mit ihm berührt wurde, zwingen, zu thun, was man von ihm verlangte; doch mußte der Ring beim Mondwechsel, an einem Frei¬ tag, der auf den 1. oder 8. des Monats fiel, angefertigt werden. Ein Goldring mit einem Feuerstein, in welchen ein mit einem Schwerte um- gürteter Reiter eingegraben war, der in der einen Hand den Zügel, in der andern einen Bogen hielt, machte unbesiegbar in der Schlacht, und wer ihn in Moschusöl tauchte und sein Gesicht mit diesem Oele einrteb, wurde für alle seine Feinde ein unwiderstehlicher Schrecken. Aehnliche Kraft besaß ein eiserner Ring mit einem aufrechtstehenden Manne, der einen Helm auf dem Kopfe und ein blankes Schwert in der Hand trug. Ein Steinbock auf einem Carneol, in einen silbernen Ring gefaßt, machte seinen Träger fest gegen alle Waffen, gegen Diebe, gegen Bezauberung, und sicherte ihn vor unge¬ rechten Richtersprüchen. Häufig waren aus solchen Ringamuleten auch die Planeten dargestellt, die man sich als zu den Steinen oder Metallen derselben in Beziehung stehend dachte. Der Zauberer Apollonius von Tyana in Kappadocien, der im ersten Jahrhundert nach Christus lebte, trug jeden Tag der Woche einen verschiedenen Ring, der immer mit dem Planeten des Tages geschmückt war. Er wollte diese sieben Ringe von Jarchas, dem indischen Philosophen, zum Geschenk erhalten haben. Am Sonntage mußte man goldne Ringe mit gelben Steinen, am Montage Ringe mit Perlen oder weißen Steinen, am Dienstage, der dem Mars gehörte, solche mit rothen, am Mittwoch, dem Tage Mercurs, solche mit blauen Steinen, am Donnerstage, der dem Jupiter geweiht war, solche mit Amethysten, am Freitage, dem Tage der Venus, solche mit grünen Steinen, am Sonnabend endlich, den Saturn regierte, Ringe mit Dia¬ manten tragen. Es gab ferner im Alterthume und im Mittelalter Ringe, welche die Kraft besaßen, unwiderstehlich anzuziehen. Nach französischer Sage war Karl der Große in seiner Jugend sterblich verliebt in ein schönes Mädchen, so daß er über dem Vergnügen, in ihrer Gesellschaft zu sein, die Angelegenheiten des Staates vernachlässigte. Als sie plötzlich starb, war der König untröstlich und wollte sich von ihrer Leiche nicht trennen. Da kam der Erzbischof von Köln hinzu und sah sogleich, was die Ursache war. Er öffnete der Todten den Mund und nahm einen Ring heraus, worauf der König sich ohne Ver¬ zug beruhigte; denn das war der Talisman gewesen, der ihn aufgeregt und festgehalten hatte. Die Leiche wurde nun begraben, den Ring aber warf der Erzbischof in einen Teich bei Aachen, wo er seine Anziehungskraft indeß nicht verlor; denn der Monarch fühlte sich jetzt alle Tage nach dem Ufer des Teiches hingelenkt und gewann die Stelle so lieb, daß er ein Schloß dahinbaute und es zu seiner Residenz machte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/210>, abgerufen am 12.06.2024.