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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Ringen sie nicht mit uns um die Führerschaft unter den Völkern der Erde?
Ihre Thore sind Kiel und Danztg im Norden, Köln und Ehrenbreitstein,
Metz und Straßburg im Westen, Ulm und Königstein, die letztere noch jung¬
fräulich, im Süden, Posen und Königs b urg h im Osten." Acht Jahre bin ich in
Deutschland umhergereist, soweit die deutsche Zunge reicht; und obwohl ich
die Glaubenslosigkeit der Bevölkerungen in allen ihren großen Städten leider
constatiren muß, so habe ich doch nirgends so wohlbesetzre Kirchen wie in
den protestantischen Dörfern Deutschlands gesehen. Wir brauchen uns also,
däucht mich, unserer deutschen Vettern nicht zu schämen. Sie sind mehr
israelitisch im Sabbathhalten als wir Engländer. In Central - Deutschland,
d- h. Württemberg ("le), lebt eine große den Methodisten verwandte Ge¬
nossenschaft, in einem schönen Lande, welches mit Palästina verglichen werden
kann. Wenn es auf Erden ein Paradies giebt, so ist es dieses. Wenn wir
Engländer uns nun auch mit gerechtem Stolze als das lichtspendende Volk
bezeichnen dürfen, mögen wir doch auch den Deutschen zugestehen, daß auch
sie ihren Antheil an der Verbreitung des Lichtes haben. Geschriebenin der
Norton ViearsM, NansKelä von Antiquarius." In dem nächsten Artikel
S. 113 polemisirt ein Herr Löwe gegen eines Mitarbeiters Philo-Js-
rael, Ansicht, daß die Jsraeliten M masss und auf einmal nach England
gezogen seien und in. andern Ländern nur dürftige und zersprengte Bruch¬
theile zurückgelassen hätten. Vielmehr seien höchst wahrscheinlich die Cimbern
und Teutonen und die übrigen germanischen Stämme die eigentlichen ver¬
schollen gewesenen Jsraeliten, von denen dann ein Haufe sich auch auf die
nordischen Inseln begab. In den Söller und im Wesen der heutigen Ger¬
manen liege durchaus Nichts, was der besagten Descendenztheorie wider¬
spräche; sicherlich seien sie keine Assyrier. Ein sehr gewichtiger, und bis jetzt
noch von Niemandem vorgebrachter Beweisgrund liege in Folgendem: "Unsere
königliche Familie stammt zwar einerseits auch von Deutschland und oben¬
drein sind einzelne Mitglieder derselben mit Dänen, Deutschen und Russen
vermählt. Sollen wir nun aus letzterem Grunde etwa annehmen, daß die
königliche Familie uiid Heiden verschwägert sei? Ich kann mich nicht ent¬
schließen, das zu glauben. Was auch der eigentliche Kern der Bevölkerung
des russischen Reiches sein mag, so kann ich mich doch der Muthmaßung
"'ehe erwehren, daß das regierende kaiserliche Haus den zehn Stämmen ange¬
hört." Bon ganz erfrischender Wirkung nach dieser öden Duselei ist dann
e>n Quell reinen Wassers, der uns ganz unerwartet unter der Ueberschrift
-,Des Sachsen Heimath" entgegensprudelt. Es ist eine Stelle aus Herder's
"Ideen zur Philosphie der Geschichte der Menschheit" über die welthistorische
Bedeutung der germanischen Völker. Die Worte stehen da unvermittelt und uner-
läutert, und es kann Einen nur wundern, daß, wenn gelegentlich deutsche Ge-


Grenzboten III- 1876. 4

Ringen sie nicht mit uns um die Führerschaft unter den Völkern der Erde?
Ihre Thore sind Kiel und Danztg im Norden, Köln und Ehrenbreitstein,
Metz und Straßburg im Westen, Ulm und Königstein, die letztere noch jung¬
fräulich, im Süden, Posen und Königs b urg h im Osten." Acht Jahre bin ich in
Deutschland umhergereist, soweit die deutsche Zunge reicht; und obwohl ich
die Glaubenslosigkeit der Bevölkerungen in allen ihren großen Städten leider
constatiren muß, so habe ich doch nirgends so wohlbesetzre Kirchen wie in
den protestantischen Dörfern Deutschlands gesehen. Wir brauchen uns also,
däucht mich, unserer deutschen Vettern nicht zu schämen. Sie sind mehr
israelitisch im Sabbathhalten als wir Engländer. In Central - Deutschland,
d- h. Württemberg (»le), lebt eine große den Methodisten verwandte Ge¬
nossenschaft, in einem schönen Lande, welches mit Palästina verglichen werden
kann. Wenn es auf Erden ein Paradies giebt, so ist es dieses. Wenn wir
Engländer uns nun auch mit gerechtem Stolze als das lichtspendende Volk
bezeichnen dürfen, mögen wir doch auch den Deutschen zugestehen, daß auch
sie ihren Antheil an der Verbreitung des Lichtes haben. Geschriebenin der
Norton ViearsM, NansKelä von Antiquarius." In dem nächsten Artikel
S. 113 polemisirt ein Herr Löwe gegen eines Mitarbeiters Philo-Js-
rael, Ansicht, daß die Jsraeliten M masss und auf einmal nach England
gezogen seien und in. andern Ländern nur dürftige und zersprengte Bruch¬
theile zurückgelassen hätten. Vielmehr seien höchst wahrscheinlich die Cimbern
und Teutonen und die übrigen germanischen Stämme die eigentlichen ver¬
schollen gewesenen Jsraeliten, von denen dann ein Haufe sich auch auf die
nordischen Inseln begab. In den Söller und im Wesen der heutigen Ger¬
manen liege durchaus Nichts, was der besagten Descendenztheorie wider¬
spräche; sicherlich seien sie keine Assyrier. Ein sehr gewichtiger, und bis jetzt
noch von Niemandem vorgebrachter Beweisgrund liege in Folgendem: „Unsere
königliche Familie stammt zwar einerseits auch von Deutschland und oben¬
drein sind einzelne Mitglieder derselben mit Dänen, Deutschen und Russen
vermählt. Sollen wir nun aus letzterem Grunde etwa annehmen, daß die
königliche Familie uiid Heiden verschwägert sei? Ich kann mich nicht ent¬
schließen, das zu glauben. Was auch der eigentliche Kern der Bevölkerung
des russischen Reiches sein mag, so kann ich mich doch der Muthmaßung
"'ehe erwehren, daß das regierende kaiserliche Haus den zehn Stämmen ange¬
hört." Bon ganz erfrischender Wirkung nach dieser öden Duselei ist dann
e>n Quell reinen Wassers, der uns ganz unerwartet unter der Ueberschrift
-,Des Sachsen Heimath" entgegensprudelt. Es ist eine Stelle aus Herder's
"Ideen zur Philosphie der Geschichte der Menschheit" über die welthistorische
Bedeutung der germanischen Völker. Die Worte stehen da unvermittelt und uner-
läutert, und es kann Einen nur wundern, daß, wenn gelegentlich deutsche Ge-


Grenzboten III- 1876. 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/29>, abgerufen am 15.05.2024.