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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Gegentheil, der Staat, welcher keine Gründerinteressen hat, kann das Bau¬
kapital zu einer Zeit vom Geldmarkt nehmen, wann es am billigsten ist, und
er kann den Schwerpunkt des Baues in eine Zeit verlegen, wo der Preis
des Materials und der Arbeitslohn am niedrigsten steht. Dazu kommt noch
ein vierter Vortheil der Staatsbahnen. Man macht in Zeiten des in.
dustriellen Verfalls, wie z. B. nach dem Ausbruch der Krisis von 1873, die
traurige Erfahrung, daß gerade dann, wenn die Geschäfte anfangen zu stocken,
wann Preise und Löhne sinken und Arbeiter entlassen werden, gerade auch der
Privateisenbahnbau mehr oder weniger aufhört und in vielen Ländern nur
durch die Subvention des Staates im Gang erhalten werden kann. Ganz
im Gegentheil kann der Staat in Zeiten des Aufschwungs, des Steigens der
Preise und Löhne den Eisenbahnbau einschränken, und statt in Zeiten des Nieder¬
gangs die Arbeiter auf die Straße zu werfen, gerade dann Eisenbahnbauten in
größerem Umfange als sonst vornehmen lassen, um einem Theil der aus anderen
Industrien entlassenen Arbeiter und den feiernden Hüttenwerken Beschäftigung
zuzuwenden. Ist es ja von jeher als eine Pflicht des Staates angesehen
worden, in Zeiten der Noth öffentliche Arbeiten anzuordnen, um dadurch be¬
schäftigungslosen Arbeitern Verdienst zu schaffen.

Der Hauptvortheil, welcher mit dem Staatseigenthum der Eisenbahnen
zusammenhängt, ist indessen der, daß das ganze Netz gleichmäßig ausgebaut
und alle Theile des Landes in richtigerer Wahrung der Interessen der Ge-
sammtbevölkerung damit versehen werden können. Bei dem System des
reinen Privatbaues geht die Anlegung des Eisenbahnnetzes in folgender
Weise vor sich: Zuerst werden die Linien in den industrie-, verkehr- und
volkreichsten Gegenden angelegt. Da dieselben sich in der Regel in der Ebene
oder in Thälern hinziehen, so kommen auch die Baukosten an und für sich
niedriger zu stehen, und nur der höhere Werth des expropriirten Grund und
Bodens verhindert es, daß nicht das ganze Baukapital mit in die niedrigsten
Klassen zu stehen kommt. In zweiter Linie folgen sodann die Gebirgsbahnen,
welche wegen ihrer Durchschnitte. Tunnels, Aufschüttungen und Ueberbrückungen
an und für sich höhere Baukosten verursachen, die nur durch den geringeren
Werth des Grund und Bodens neutralistrt werden. Das Fett haben die
Bahnen der ersten Kategorie abgeschöpft. Die der zweiten Kategorie können
wegen der geringeren Verkehrstüchtigkeit sich zur Rentabilität der Ersteren
nicht emporschwingen. Die weiteren Kategorien von Bahnen, die secundären,
die Verbindungs-, die Zweig-, die Local- und die Bergbahnen u. s. w. sind
schon bei der Stufe angelangt, wo sich nur schwer Privatunternehmer finden,
um die Linie auf alleinige eigene Gefahr zu errichten. Sie werden in der
Regel nur dadurch ins Leben geführt, daß der Staat, die Provinz, die Ge¬
meinden oder die Adjacenten eine Unterstützung gewähren, welche entweder


Grenzboten IV. 1876. 64

Gegentheil, der Staat, welcher keine Gründerinteressen hat, kann das Bau¬
kapital zu einer Zeit vom Geldmarkt nehmen, wann es am billigsten ist, und
er kann den Schwerpunkt des Baues in eine Zeit verlegen, wo der Preis
des Materials und der Arbeitslohn am niedrigsten steht. Dazu kommt noch
ein vierter Vortheil der Staatsbahnen. Man macht in Zeiten des in.
dustriellen Verfalls, wie z. B. nach dem Ausbruch der Krisis von 1873, die
traurige Erfahrung, daß gerade dann, wenn die Geschäfte anfangen zu stocken,
wann Preise und Löhne sinken und Arbeiter entlassen werden, gerade auch der
Privateisenbahnbau mehr oder weniger aufhört und in vielen Ländern nur
durch die Subvention des Staates im Gang erhalten werden kann. Ganz
im Gegentheil kann der Staat in Zeiten des Aufschwungs, des Steigens der
Preise und Löhne den Eisenbahnbau einschränken, und statt in Zeiten des Nieder¬
gangs die Arbeiter auf die Straße zu werfen, gerade dann Eisenbahnbauten in
größerem Umfange als sonst vornehmen lassen, um einem Theil der aus anderen
Industrien entlassenen Arbeiter und den feiernden Hüttenwerken Beschäftigung
zuzuwenden. Ist es ja von jeher als eine Pflicht des Staates angesehen
worden, in Zeiten der Noth öffentliche Arbeiten anzuordnen, um dadurch be¬
schäftigungslosen Arbeitern Verdienst zu schaffen.

Der Hauptvortheil, welcher mit dem Staatseigenthum der Eisenbahnen
zusammenhängt, ist indessen der, daß das ganze Netz gleichmäßig ausgebaut
und alle Theile des Landes in richtigerer Wahrung der Interessen der Ge-
sammtbevölkerung damit versehen werden können. Bei dem System des
reinen Privatbaues geht die Anlegung des Eisenbahnnetzes in folgender
Weise vor sich: Zuerst werden die Linien in den industrie-, verkehr- und
volkreichsten Gegenden angelegt. Da dieselben sich in der Regel in der Ebene
oder in Thälern hinziehen, so kommen auch die Baukosten an und für sich
niedriger zu stehen, und nur der höhere Werth des expropriirten Grund und
Bodens verhindert es, daß nicht das ganze Baukapital mit in die niedrigsten
Klassen zu stehen kommt. In zweiter Linie folgen sodann die Gebirgsbahnen,
welche wegen ihrer Durchschnitte. Tunnels, Aufschüttungen und Ueberbrückungen
an und für sich höhere Baukosten verursachen, die nur durch den geringeren
Werth des Grund und Bodens neutralistrt werden. Das Fett haben die
Bahnen der ersten Kategorie abgeschöpft. Die der zweiten Kategorie können
wegen der geringeren Verkehrstüchtigkeit sich zur Rentabilität der Ersteren
nicht emporschwingen. Die weiteren Kategorien von Bahnen, die secundären,
die Verbindungs-, die Zweig-, die Local- und die Bergbahnen u. s. w. sind
schon bei der Stufe angelangt, wo sich nur schwer Privatunternehmer finden,
um die Linie auf alleinige eigene Gefahr zu errichten. Sie werden in der
Regel nur dadurch ins Leben geführt, daß der Staat, die Provinz, die Ge¬
meinden oder die Adjacenten eine Unterstützung gewähren, welche entweder


Grenzboten IV. 1876. 64
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[0509] Gegentheil, der Staat, welcher keine Gründerinteressen hat, kann das Bau¬ kapital zu einer Zeit vom Geldmarkt nehmen, wann es am billigsten ist, und er kann den Schwerpunkt des Baues in eine Zeit verlegen, wo der Preis des Materials und der Arbeitslohn am niedrigsten steht. Dazu kommt noch ein vierter Vortheil der Staatsbahnen. Man macht in Zeiten des in. dustriellen Verfalls, wie z. B. nach dem Ausbruch der Krisis von 1873, die traurige Erfahrung, daß gerade dann, wenn die Geschäfte anfangen zu stocken, wann Preise und Löhne sinken und Arbeiter entlassen werden, gerade auch der Privateisenbahnbau mehr oder weniger aufhört und in vielen Ländern nur durch die Subvention des Staates im Gang erhalten werden kann. Ganz im Gegentheil kann der Staat in Zeiten des Aufschwungs, des Steigens der Preise und Löhne den Eisenbahnbau einschränken, und statt in Zeiten des Nieder¬ gangs die Arbeiter auf die Straße zu werfen, gerade dann Eisenbahnbauten in größerem Umfange als sonst vornehmen lassen, um einem Theil der aus anderen Industrien entlassenen Arbeiter und den feiernden Hüttenwerken Beschäftigung zuzuwenden. Ist es ja von jeher als eine Pflicht des Staates angesehen worden, in Zeiten der Noth öffentliche Arbeiten anzuordnen, um dadurch be¬ schäftigungslosen Arbeitern Verdienst zu schaffen. Der Hauptvortheil, welcher mit dem Staatseigenthum der Eisenbahnen zusammenhängt, ist indessen der, daß das ganze Netz gleichmäßig ausgebaut und alle Theile des Landes in richtigerer Wahrung der Interessen der Ge- sammtbevölkerung damit versehen werden können. Bei dem System des reinen Privatbaues geht die Anlegung des Eisenbahnnetzes in folgender Weise vor sich: Zuerst werden die Linien in den industrie-, verkehr- und volkreichsten Gegenden angelegt. Da dieselben sich in der Regel in der Ebene oder in Thälern hinziehen, so kommen auch die Baukosten an und für sich niedriger zu stehen, und nur der höhere Werth des expropriirten Grund und Bodens verhindert es, daß nicht das ganze Baukapital mit in die niedrigsten Klassen zu stehen kommt. In zweiter Linie folgen sodann die Gebirgsbahnen, welche wegen ihrer Durchschnitte. Tunnels, Aufschüttungen und Ueberbrückungen an und für sich höhere Baukosten verursachen, die nur durch den geringeren Werth des Grund und Bodens neutralistrt werden. Das Fett haben die Bahnen der ersten Kategorie abgeschöpft. Die der zweiten Kategorie können wegen der geringeren Verkehrstüchtigkeit sich zur Rentabilität der Ersteren nicht emporschwingen. Die weiteren Kategorien von Bahnen, die secundären, die Verbindungs-, die Zweig-, die Local- und die Bergbahnen u. s. w. sind schon bei der Stufe angelangt, wo sich nur schwer Privatunternehmer finden, um die Linie auf alleinige eigene Gefahr zu errichten. Sie werden in der Regel nur dadurch ins Leben geführt, daß der Staat, die Provinz, die Ge¬ meinden oder die Adjacenten eine Unterstützung gewähren, welche entweder Grenzboten IV. 1876. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/509>, abgerufen am 31.05.2024.