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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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unter ihr und dieser Anblick erzeugt ein heftiges Heimweh in ihr nach Süd¬
rußland. Sie malt sich aus, wie schön es war, "der Bauernweiber beschmutzte
Säuglinge zu reinigen, zu waschen und zu kleiden, ihren Brüdern und
Schwestern die Mücken und Fliegen zu verjagen." In dieser Richtung mochte
in Dresden oder Berlin allerdings weniger zu thun übrig bleiben. Aber
überhaupt wurde ihr bei dieser Gelegenheit völlig klar, daß sie die Heimath
mehr liebe, als Lassalle, daß die "wahre Leidenschaft ihr noch unbekannt",
durch Lassalle nicht erweckt sei. Doch will sie diese Ueberzeugung erst in sich
befestigen. Sie bittet daher Lassalle, ihm ihre endgültige Entscheidung erst
von Rußland aus melden zu dürfen. Sie verspricht vorher auf zwei Tage
mit ihrem Vater Berlin zu besuchen. Doch dürfe während dieser Zeit "unsere
Frage" nicht berührt werden. Aus diesen zwei Tagen werden auf Lassalles
dringendes Bitten drei. Wir lernen seine kostbare Jnnggesellenwohnung in
der Bellevuestraße, seine Eltern kennen, wir erneuern die Bekanntschaft mit
der Gräfin Hatzfeld. Alles, bis auf die Toiletten, ist von Weiberaugen
beobachtet, von Frauenhand geschildert. Lassalle bricht natürlich die Zusage,
nicht von "unserer Frage" zu sprechen. Eigensinnig und herrschsüchtig, sucht
er nach dem ersten Frühstück das Gefühl zu erzwingen, welches die Dame für
ihn nicht besaß. In diesem Moment wird sie wieder "vollständig klar."

"Lassalle ich liebe Sie nicht, ich liebe Sie gar nicht!" ruft sie. "Enden
wir, Sie thun mir leid, aber ich kann nichts anderes für Sie fühlen, als
Freundschaft."

"Es ist nicht wahr!" schrie er auf. "Heirathen Sie mich und Sie werden
mich lieb gewinnen, Sie werden sehen, daß Sie mich lieben werden."

"Es ist unmöglich! Täuschen Sie sich nicht unnütz!"

"Ich will das nicht hören! Jetzt will ich Ihre Antwort nicht. Sie
werden daheim, in Rußland, sich nach mir sehnen; ich nehme hier Ihre Ab¬
weisung nicht an."

An ihren Vater stellt er am nämlichen Tage das geradezu kindische Ver¬
langen: "Machen Sie, daß sie mich liebt. Geben Sie sie mir. Begreifen Sie
doch, ich kann ohne sie nicht leben."

Unter solchen Umständen war die von der Dame, infolge erneuter Er¬
krankung ihres Vaters verzögerte Entscheidung aus der russischen Heimath
auch für Lassalle kaum mehr zweifelhaft. Sie sagte Nein auf seinen Heiraths-
antrag. Sie bot ihm nach wie vor ihre Freundschaft an. Er nahm das
Angebot an, stellte aber -- wol mehr scherzhaft oder im Arbeitsdrang -- die
Bedingung, daß er auf zwei Briefe von ihr nur einmal zu antworten brauche.
Sie fühlte sich dadurch verletzt und die Korrespondenz ruht nun ganz von
Anfang 1861 an bis zum März 1863. Sie wird zu dieser Zeit wieder


unter ihr und dieser Anblick erzeugt ein heftiges Heimweh in ihr nach Süd¬
rußland. Sie malt sich aus, wie schön es war, „der Bauernweiber beschmutzte
Säuglinge zu reinigen, zu waschen und zu kleiden, ihren Brüdern und
Schwestern die Mücken und Fliegen zu verjagen." In dieser Richtung mochte
in Dresden oder Berlin allerdings weniger zu thun übrig bleiben. Aber
überhaupt wurde ihr bei dieser Gelegenheit völlig klar, daß sie die Heimath
mehr liebe, als Lassalle, daß die „wahre Leidenschaft ihr noch unbekannt",
durch Lassalle nicht erweckt sei. Doch will sie diese Ueberzeugung erst in sich
befestigen. Sie bittet daher Lassalle, ihm ihre endgültige Entscheidung erst
von Rußland aus melden zu dürfen. Sie verspricht vorher auf zwei Tage
mit ihrem Vater Berlin zu besuchen. Doch dürfe während dieser Zeit „unsere
Frage" nicht berührt werden. Aus diesen zwei Tagen werden auf Lassalles
dringendes Bitten drei. Wir lernen seine kostbare Jnnggesellenwohnung in
der Bellevuestraße, seine Eltern kennen, wir erneuern die Bekanntschaft mit
der Gräfin Hatzfeld. Alles, bis auf die Toiletten, ist von Weiberaugen
beobachtet, von Frauenhand geschildert. Lassalle bricht natürlich die Zusage,
nicht von „unserer Frage" zu sprechen. Eigensinnig und herrschsüchtig, sucht
er nach dem ersten Frühstück das Gefühl zu erzwingen, welches die Dame für
ihn nicht besaß. In diesem Moment wird sie wieder „vollständig klar."

„Lassalle ich liebe Sie nicht, ich liebe Sie gar nicht!" ruft sie. „Enden
wir, Sie thun mir leid, aber ich kann nichts anderes für Sie fühlen, als
Freundschaft."

„Es ist nicht wahr!" schrie er auf. „Heirathen Sie mich und Sie werden
mich lieb gewinnen, Sie werden sehen, daß Sie mich lieben werden."

„Es ist unmöglich! Täuschen Sie sich nicht unnütz!"

„Ich will das nicht hören! Jetzt will ich Ihre Antwort nicht. Sie
werden daheim, in Rußland, sich nach mir sehnen; ich nehme hier Ihre Ab¬
weisung nicht an."

An ihren Vater stellt er am nämlichen Tage das geradezu kindische Ver¬
langen: „Machen Sie, daß sie mich liebt. Geben Sie sie mir. Begreifen Sie
doch, ich kann ohne sie nicht leben."

Unter solchen Umständen war die von der Dame, infolge erneuter Er¬
krankung ihres Vaters verzögerte Entscheidung aus der russischen Heimath
auch für Lassalle kaum mehr zweifelhaft. Sie sagte Nein auf seinen Heiraths-
antrag. Sie bot ihm nach wie vor ihre Freundschaft an. Er nahm das
Angebot an, stellte aber — wol mehr scherzhaft oder im Arbeitsdrang — die
Bedingung, daß er auf zwei Briefe von ihr nur einmal zu antworten brauche.
Sie fühlte sich dadurch verletzt und die Korrespondenz ruht nun ganz von
Anfang 1861 an bis zum März 1863. Sie wird zu dieser Zeit wieder


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[0124] unter ihr und dieser Anblick erzeugt ein heftiges Heimweh in ihr nach Süd¬ rußland. Sie malt sich aus, wie schön es war, „der Bauernweiber beschmutzte Säuglinge zu reinigen, zu waschen und zu kleiden, ihren Brüdern und Schwestern die Mücken und Fliegen zu verjagen." In dieser Richtung mochte in Dresden oder Berlin allerdings weniger zu thun übrig bleiben. Aber überhaupt wurde ihr bei dieser Gelegenheit völlig klar, daß sie die Heimath mehr liebe, als Lassalle, daß die „wahre Leidenschaft ihr noch unbekannt", durch Lassalle nicht erweckt sei. Doch will sie diese Ueberzeugung erst in sich befestigen. Sie bittet daher Lassalle, ihm ihre endgültige Entscheidung erst von Rußland aus melden zu dürfen. Sie verspricht vorher auf zwei Tage mit ihrem Vater Berlin zu besuchen. Doch dürfe während dieser Zeit „unsere Frage" nicht berührt werden. Aus diesen zwei Tagen werden auf Lassalles dringendes Bitten drei. Wir lernen seine kostbare Jnnggesellenwohnung in der Bellevuestraße, seine Eltern kennen, wir erneuern die Bekanntschaft mit der Gräfin Hatzfeld. Alles, bis auf die Toiletten, ist von Weiberaugen beobachtet, von Frauenhand geschildert. Lassalle bricht natürlich die Zusage, nicht von „unserer Frage" zu sprechen. Eigensinnig und herrschsüchtig, sucht er nach dem ersten Frühstück das Gefühl zu erzwingen, welches die Dame für ihn nicht besaß. In diesem Moment wird sie wieder „vollständig klar." „Lassalle ich liebe Sie nicht, ich liebe Sie gar nicht!" ruft sie. „Enden wir, Sie thun mir leid, aber ich kann nichts anderes für Sie fühlen, als Freundschaft." „Es ist nicht wahr!" schrie er auf. „Heirathen Sie mich und Sie werden mich lieb gewinnen, Sie werden sehen, daß Sie mich lieben werden." „Es ist unmöglich! Täuschen Sie sich nicht unnütz!" „Ich will das nicht hören! Jetzt will ich Ihre Antwort nicht. Sie werden daheim, in Rußland, sich nach mir sehnen; ich nehme hier Ihre Ab¬ weisung nicht an." An ihren Vater stellt er am nämlichen Tage das geradezu kindische Ver¬ langen: „Machen Sie, daß sie mich liebt. Geben Sie sie mir. Begreifen Sie doch, ich kann ohne sie nicht leben." Unter solchen Umständen war die von der Dame, infolge erneuter Er¬ krankung ihres Vaters verzögerte Entscheidung aus der russischen Heimath auch für Lassalle kaum mehr zweifelhaft. Sie sagte Nein auf seinen Heiraths- antrag. Sie bot ihm nach wie vor ihre Freundschaft an. Er nahm das Angebot an, stellte aber — wol mehr scherzhaft oder im Arbeitsdrang — die Bedingung, daß er auf zwei Briefe von ihr nur einmal zu antworten brauche. Sie fühlte sich dadurch verletzt und die Korrespondenz ruht nun ganz von Anfang 1861 an bis zum März 1863. Sie wird zu dieser Zeit wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/124>, abgerufen am 29.05.2024.