Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

folgen mit einem löblichen Eifer die Zinzendorfschm Schwärmereien und sehn
nicht, daß in diesen neuen Epopöen eben der Geist der Schwärmerei, nur auf
eine nicht so plumpe Art, herrscht; aber eben deswegen desto schädlicher."

Schlau genug schien diese Wendung, die Theologie war ein nicht zu ver¬
achtender Bundesgenosse. Aber nur wenig Theologen folgten dem empfangenen
Impulse, und so weit war doch die öffentliche Meinung schon gebildet, eine
Denunziation zu brandmarken. Selbst an dem Verdienst seines frühern Kampfs
gegen Lobenstein wurde man irre, weil er jetzt als Lohensteinicmismus brand¬
markte, was als große Erweiterung der Poesie erschien. Die Dürre und Un¬
fruchtbarkeit seines Geistes wurde offenbar, als er sich außer Stand zeigte, den
Maßstab, mit dem er bis dahin das Nichtige gemessen, am wirklich Bedeuten¬
den zu berichtigen. Seine Zeit war vorüber.

Gottsched hatte vor zwei Jahren versucht, am Kaiserlichen Hofe eine
feste Stellung zu gewinnen. Er wurde mit seiner Gattin in Wien bei Hofe
vorgestellt und mit einer Reihe vornehmer Bekanntschaften beglückt. Die Für¬
stinnen Trautmannsdorf, Dietrichstein u. s. w. korrespondiren fortan mit Frau
Adelgunde, in einem Französisch, das ungefähr ebenso korrekt war wie ihr
Deutsch. Eine deutsche Gesellschaft, die recht nöthig gewesen wäre, kam nicht
zu Stande; Wien wurde erst ein Menschenalter später sür seinen Gott¬
sched reif.

In Dresden war er schlecht angeschrieben; Rost, der Sekretär des Grafen
Brühl, verfolgte ihn mit Pasquillen, und wenn das Leipziger Theater ihn
verspottete, fand es Schutz am Hofe. Es war ihm kein geringer Trost,
als eine Standesperson, ein junger Baron Schönaich, Sohn eines wirklichen
Generals, der selber ein Paar Jahre Offizier gewesen, ihm ehrerbietig ein
Heldengedicht einsandte, ganz nach den Regeln der Dichtkunst; eine recht¬
schaffene Epopöe: Fabel, Charakter, Götter, Episoden und Schreibart, alles
nach dem Muster des Vergil. Es behandelte Hermann den Cherusker, und
zwar in gereimten leicht fließenden trochäischen Tetrametern. Aus einem solchen
Schatz ließ sich Kapital machen, und Gottsched war der Mann dazu.

"Da Deutschland bisher von so vielen seltsamen Heldengedichten über¬
schwemmt wird, so ist es gleichsam ein Wunder zu nennen, daß ein so starker
Dichter seinem Vaterland ein kunstrichtiges ans Licht stellen wollen. Die Musen
scheinen ihn der Bellona blos darum entrissen zu haben, daß er die epische
Dichtkunst, die bisher in so fürchterlichen Gestalten erschienen, in einer liebens¬
würdigen Gestalt bekannt machen sollte. Wenigstens scheinen sie ihn zu einem
deutschen Voltaire bestimmt zu haben."

Zum Trotz der böswilligen Kritiker, die seinen Schützling schlecht machten,
überreichte Gottsched, damals Dekan, 18. Juli 1752 in seinem Amtsornate


folgen mit einem löblichen Eifer die Zinzendorfschm Schwärmereien und sehn
nicht, daß in diesen neuen Epopöen eben der Geist der Schwärmerei, nur auf
eine nicht so plumpe Art, herrscht; aber eben deswegen desto schädlicher."

Schlau genug schien diese Wendung, die Theologie war ein nicht zu ver¬
achtender Bundesgenosse. Aber nur wenig Theologen folgten dem empfangenen
Impulse, und so weit war doch die öffentliche Meinung schon gebildet, eine
Denunziation zu brandmarken. Selbst an dem Verdienst seines frühern Kampfs
gegen Lobenstein wurde man irre, weil er jetzt als Lohensteinicmismus brand¬
markte, was als große Erweiterung der Poesie erschien. Die Dürre und Un¬
fruchtbarkeit seines Geistes wurde offenbar, als er sich außer Stand zeigte, den
Maßstab, mit dem er bis dahin das Nichtige gemessen, am wirklich Bedeuten¬
den zu berichtigen. Seine Zeit war vorüber.

Gottsched hatte vor zwei Jahren versucht, am Kaiserlichen Hofe eine
feste Stellung zu gewinnen. Er wurde mit seiner Gattin in Wien bei Hofe
vorgestellt und mit einer Reihe vornehmer Bekanntschaften beglückt. Die Für¬
stinnen Trautmannsdorf, Dietrichstein u. s. w. korrespondiren fortan mit Frau
Adelgunde, in einem Französisch, das ungefähr ebenso korrekt war wie ihr
Deutsch. Eine deutsche Gesellschaft, die recht nöthig gewesen wäre, kam nicht
zu Stande; Wien wurde erst ein Menschenalter später sür seinen Gott¬
sched reif.

In Dresden war er schlecht angeschrieben; Rost, der Sekretär des Grafen
Brühl, verfolgte ihn mit Pasquillen, und wenn das Leipziger Theater ihn
verspottete, fand es Schutz am Hofe. Es war ihm kein geringer Trost,
als eine Standesperson, ein junger Baron Schönaich, Sohn eines wirklichen
Generals, der selber ein Paar Jahre Offizier gewesen, ihm ehrerbietig ein
Heldengedicht einsandte, ganz nach den Regeln der Dichtkunst; eine recht¬
schaffene Epopöe: Fabel, Charakter, Götter, Episoden und Schreibart, alles
nach dem Muster des Vergil. Es behandelte Hermann den Cherusker, und
zwar in gereimten leicht fließenden trochäischen Tetrametern. Aus einem solchen
Schatz ließ sich Kapital machen, und Gottsched war der Mann dazu.

„Da Deutschland bisher von so vielen seltsamen Heldengedichten über¬
schwemmt wird, so ist es gleichsam ein Wunder zu nennen, daß ein so starker
Dichter seinem Vaterland ein kunstrichtiges ans Licht stellen wollen. Die Musen
scheinen ihn der Bellona blos darum entrissen zu haben, daß er die epische
Dichtkunst, die bisher in so fürchterlichen Gestalten erschienen, in einer liebens¬
würdigen Gestalt bekannt machen sollte. Wenigstens scheinen sie ihn zu einem
deutschen Voltaire bestimmt zu haben."

Zum Trotz der böswilligen Kritiker, die seinen Schützling schlecht machten,
überreichte Gottsched, damals Dekan, 18. Juli 1752 in seinem Amtsornate


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0508" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139801"/>
          <p xml:id="ID_1625" prev="#ID_1624"> folgen mit einem löblichen Eifer die Zinzendorfschm Schwärmereien und sehn<lb/>
nicht, daß in diesen neuen Epopöen eben der Geist der Schwärmerei, nur auf<lb/>
eine nicht so plumpe Art, herrscht; aber eben deswegen desto schädlicher."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1626"> Schlau genug schien diese Wendung, die Theologie war ein nicht zu ver¬<lb/>
achtender Bundesgenosse. Aber nur wenig Theologen folgten dem empfangenen<lb/>
Impulse, und so weit war doch die öffentliche Meinung schon gebildet, eine<lb/>
Denunziation zu brandmarken. Selbst an dem Verdienst seines frühern Kampfs<lb/>
gegen Lobenstein wurde man irre, weil er jetzt als Lohensteinicmismus brand¬<lb/>
markte, was als große Erweiterung der Poesie erschien. Die Dürre und Un¬<lb/>
fruchtbarkeit seines Geistes wurde offenbar, als er sich außer Stand zeigte, den<lb/>
Maßstab, mit dem er bis dahin das Nichtige gemessen, am wirklich Bedeuten¬<lb/>
den zu berichtigen. Seine Zeit war vorüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1627"> Gottsched hatte vor zwei Jahren versucht, am Kaiserlichen Hofe eine<lb/>
feste Stellung zu gewinnen. Er wurde mit seiner Gattin in Wien bei Hofe<lb/>
vorgestellt und mit einer Reihe vornehmer Bekanntschaften beglückt. Die Für¬<lb/>
stinnen Trautmannsdorf, Dietrichstein u. s. w. korrespondiren fortan mit Frau<lb/>
Adelgunde, in einem Französisch, das ungefähr ebenso korrekt war wie ihr<lb/>
Deutsch. Eine deutsche Gesellschaft, die recht nöthig gewesen wäre, kam nicht<lb/>
zu Stande; Wien wurde erst ein Menschenalter später sür seinen Gott¬<lb/>
sched reif.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1628"> In Dresden war er schlecht angeschrieben; Rost, der Sekretär des Grafen<lb/>
Brühl, verfolgte ihn mit Pasquillen, und wenn das Leipziger Theater ihn<lb/>
verspottete, fand es Schutz am Hofe. Es war ihm kein geringer Trost,<lb/>
als eine Standesperson, ein junger Baron Schönaich, Sohn eines wirklichen<lb/>
Generals, der selber ein Paar Jahre Offizier gewesen, ihm ehrerbietig ein<lb/>
Heldengedicht einsandte, ganz nach den Regeln der Dichtkunst; eine recht¬<lb/>
schaffene Epopöe: Fabel, Charakter, Götter, Episoden und Schreibart, alles<lb/>
nach dem Muster des Vergil. Es behandelte Hermann den Cherusker, und<lb/>
zwar in gereimten leicht fließenden trochäischen Tetrametern. Aus einem solchen<lb/>
Schatz ließ sich Kapital machen, und Gottsched war der Mann dazu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1629"> &#x201E;Da Deutschland bisher von so vielen seltsamen Heldengedichten über¬<lb/>
schwemmt wird, so ist es gleichsam ein Wunder zu nennen, daß ein so starker<lb/>
Dichter seinem Vaterland ein kunstrichtiges ans Licht stellen wollen. Die Musen<lb/>
scheinen ihn der Bellona blos darum entrissen zu haben, daß er die epische<lb/>
Dichtkunst, die bisher in so fürchterlichen Gestalten erschienen, in einer liebens¬<lb/>
würdigen Gestalt bekannt machen sollte. Wenigstens scheinen sie ihn zu einem<lb/>
deutschen Voltaire bestimmt zu haben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1630" next="#ID_1631"> Zum Trotz der böswilligen Kritiker, die seinen Schützling schlecht machten,<lb/>
überreichte Gottsched, damals Dekan, 18. Juli 1752 in seinem Amtsornate</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0508] folgen mit einem löblichen Eifer die Zinzendorfschm Schwärmereien und sehn nicht, daß in diesen neuen Epopöen eben der Geist der Schwärmerei, nur auf eine nicht so plumpe Art, herrscht; aber eben deswegen desto schädlicher." Schlau genug schien diese Wendung, die Theologie war ein nicht zu ver¬ achtender Bundesgenosse. Aber nur wenig Theologen folgten dem empfangenen Impulse, und so weit war doch die öffentliche Meinung schon gebildet, eine Denunziation zu brandmarken. Selbst an dem Verdienst seines frühern Kampfs gegen Lobenstein wurde man irre, weil er jetzt als Lohensteinicmismus brand¬ markte, was als große Erweiterung der Poesie erschien. Die Dürre und Un¬ fruchtbarkeit seines Geistes wurde offenbar, als er sich außer Stand zeigte, den Maßstab, mit dem er bis dahin das Nichtige gemessen, am wirklich Bedeuten¬ den zu berichtigen. Seine Zeit war vorüber. Gottsched hatte vor zwei Jahren versucht, am Kaiserlichen Hofe eine feste Stellung zu gewinnen. Er wurde mit seiner Gattin in Wien bei Hofe vorgestellt und mit einer Reihe vornehmer Bekanntschaften beglückt. Die Für¬ stinnen Trautmannsdorf, Dietrichstein u. s. w. korrespondiren fortan mit Frau Adelgunde, in einem Französisch, das ungefähr ebenso korrekt war wie ihr Deutsch. Eine deutsche Gesellschaft, die recht nöthig gewesen wäre, kam nicht zu Stande; Wien wurde erst ein Menschenalter später sür seinen Gott¬ sched reif. In Dresden war er schlecht angeschrieben; Rost, der Sekretär des Grafen Brühl, verfolgte ihn mit Pasquillen, und wenn das Leipziger Theater ihn verspottete, fand es Schutz am Hofe. Es war ihm kein geringer Trost, als eine Standesperson, ein junger Baron Schönaich, Sohn eines wirklichen Generals, der selber ein Paar Jahre Offizier gewesen, ihm ehrerbietig ein Heldengedicht einsandte, ganz nach den Regeln der Dichtkunst; eine recht¬ schaffene Epopöe: Fabel, Charakter, Götter, Episoden und Schreibart, alles nach dem Muster des Vergil. Es behandelte Hermann den Cherusker, und zwar in gereimten leicht fließenden trochäischen Tetrametern. Aus einem solchen Schatz ließ sich Kapital machen, und Gottsched war der Mann dazu. „Da Deutschland bisher von so vielen seltsamen Heldengedichten über¬ schwemmt wird, so ist es gleichsam ein Wunder zu nennen, daß ein so starker Dichter seinem Vaterland ein kunstrichtiges ans Licht stellen wollen. Die Musen scheinen ihn der Bellona blos darum entrissen zu haben, daß er die epische Dichtkunst, die bisher in so fürchterlichen Gestalten erschienen, in einer liebens¬ würdigen Gestalt bekannt machen sollte. Wenigstens scheinen sie ihn zu einem deutschen Voltaire bestimmt zu haben." Zum Trotz der böswilligen Kritiker, die seinen Schützling schlecht machten, überreichte Gottsched, damals Dekan, 18. Juli 1752 in seinem Amtsornate

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/508
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/508>, abgerufen am 29.05.2024.