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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sprachliche Neubildungen.

Setzung (in Absetzungen declamiren), Entgegensetzung (charakteristische Ent¬
gegensetzung), Besorgung, Verstoßung, Ausschweifung, Beeifernng,
Thätigkeit (sich mit Thätigkeiten gegen jemand vergehen), wo nach heutigem
Sprachgebrauche der Zusammenhang Absatz, Gegensatz, Besorgniß, Verstoß,
Abschweifung, Wetteifer, Thätlichkeit verlangen würde. In der Einleitung
bezeichnet Lessing seinen "Laokoon" als "unordentliche Collectanea zu einem
Buche," jetzt würde er schreiben ungeordnete; er braucht witzig, über¬
hingehend, betrüglich, ausdrückend, zeitverwandt, verkleinerlich,
widersprechend, geringschätzig (eine geringschätzige Sache), anschaulich (eine
anschauliche UnWahrscheinlichkeit), willkürlich (willkürliche Gruppe"), wo wir jetzt
geistreich, vorübergehend, trügerisch, ausdrucksvoll, gleichzeitig, un¬
rühmlich, widerspruchsvoll, unbedeutend, sichtlich (oder handgreiflich),
zwanglos sagen würden; unanständig und unschicklich, deren Anwendung
jetzt auf das Betragen eingeschränkt ist, findet sich bei Lessing noch in viel weiterem
Gebrauche, wo wir es jetzt dnrch unpassend und unangemessen ersetzen müßten.
Eine reiche Auslese bietet neben den Haupt- und Eigenschaftswörtern das Zeit¬
wort. Wir sagen heute: von etwas ausgehen, die Linie bildet den Umriß
des Körpers, Lobsprüche eintragen, Eindruck machen, eine Meinung auf-
rechthaltcu, das Seepter bezeichnet die Würde; bei Lessing findet sich dafür:
von etwas aussetzen, die Linie umschreibt den Körper, Lobsprüche zuziehen
(was jetzt nur vom Tadel gesagt wird), rühren (was jetzt auf besonders er¬
greifende oder wehmüthige Eindrücke beschränkt ist), eine Meinung behaupten,
das Seepter bemerkt die Würde. Vielfach begnügt sich Lessings Sprache noch
mit dem einfachen Zeitwort, wo die heutige ein zusammengesetztes hat, wie in
wirken (Pressungen werden von einer Last gewirkt) für bewirken, fallen (auf
einen Gedanken fallen) für verfallen, arbeiten (auf eine Wirkung arbeiten)
für hinarbeiten; manchmal hat sich auch das Vorwort geändert, wie in be¬
feuern (die Phantasie befeuern), anmerken, befallen, wofür es jetzt anfeuern,
bemerken, einfallen heißt.

Auffällig ist es -- und es liegt hierin für uns eine beschämende Thatsache --,
wie oft die Sprache Lessings deutsche Wörter hat, wo gegenwärtig allgemein
Fremdwörter üblich oder wieder üblich geworden sind. Lessing schreibt Kunst-
richter, Vorwurf, Täuschung, Einbildungskraft, Weg (der homerische
Weg), Luftweg, abstechend (abstechende Charaktere), äußerlich verabredet
(äußerlich verabredete Merkmale), abziehen oder absondern (abgesonderter Be¬
griff), wo heute sicherlich jedermann Kritiker (oder Recensent), Sujet, Illu¬
sion, Phantasie, Methode, Promenade, contrastirend, conventionell,
abstract schreiben würde. Es ist überhaupt -- das mag bei dieser Gelegenheit


Greiizbote" 1. 1881. 7ü
Sprachliche Neubildungen.

Setzung (in Absetzungen declamiren), Entgegensetzung (charakteristische Ent¬
gegensetzung), Besorgung, Verstoßung, Ausschweifung, Beeifernng,
Thätigkeit (sich mit Thätigkeiten gegen jemand vergehen), wo nach heutigem
Sprachgebrauche der Zusammenhang Absatz, Gegensatz, Besorgniß, Verstoß,
Abschweifung, Wetteifer, Thätlichkeit verlangen würde. In der Einleitung
bezeichnet Lessing seinen „Laokoon" als „unordentliche Collectanea zu einem
Buche," jetzt würde er schreiben ungeordnete; er braucht witzig, über¬
hingehend, betrüglich, ausdrückend, zeitverwandt, verkleinerlich,
widersprechend, geringschätzig (eine geringschätzige Sache), anschaulich (eine
anschauliche UnWahrscheinlichkeit), willkürlich (willkürliche Gruppe»), wo wir jetzt
geistreich, vorübergehend, trügerisch, ausdrucksvoll, gleichzeitig, un¬
rühmlich, widerspruchsvoll, unbedeutend, sichtlich (oder handgreiflich),
zwanglos sagen würden; unanständig und unschicklich, deren Anwendung
jetzt auf das Betragen eingeschränkt ist, findet sich bei Lessing noch in viel weiterem
Gebrauche, wo wir es jetzt dnrch unpassend und unangemessen ersetzen müßten.
Eine reiche Auslese bietet neben den Haupt- und Eigenschaftswörtern das Zeit¬
wort. Wir sagen heute: von etwas ausgehen, die Linie bildet den Umriß
des Körpers, Lobsprüche eintragen, Eindruck machen, eine Meinung auf-
rechthaltcu, das Seepter bezeichnet die Würde; bei Lessing findet sich dafür:
von etwas aussetzen, die Linie umschreibt den Körper, Lobsprüche zuziehen
(was jetzt nur vom Tadel gesagt wird), rühren (was jetzt auf besonders er¬
greifende oder wehmüthige Eindrücke beschränkt ist), eine Meinung behaupten,
das Seepter bemerkt die Würde. Vielfach begnügt sich Lessings Sprache noch
mit dem einfachen Zeitwort, wo die heutige ein zusammengesetztes hat, wie in
wirken (Pressungen werden von einer Last gewirkt) für bewirken, fallen (auf
einen Gedanken fallen) für verfallen, arbeiten (auf eine Wirkung arbeiten)
für hinarbeiten; manchmal hat sich auch das Vorwort geändert, wie in be¬
feuern (die Phantasie befeuern), anmerken, befallen, wofür es jetzt anfeuern,
bemerken, einfallen heißt.

Auffällig ist es — und es liegt hierin für uns eine beschämende Thatsache —,
wie oft die Sprache Lessings deutsche Wörter hat, wo gegenwärtig allgemein
Fremdwörter üblich oder wieder üblich geworden sind. Lessing schreibt Kunst-
richter, Vorwurf, Täuschung, Einbildungskraft, Weg (der homerische
Weg), Luftweg, abstechend (abstechende Charaktere), äußerlich verabredet
(äußerlich verabredete Merkmale), abziehen oder absondern (abgesonderter Be¬
griff), wo heute sicherlich jedermann Kritiker (oder Recensent), Sujet, Illu¬
sion, Phantasie, Methode, Promenade, contrastirend, conventionell,
abstract schreiben würde. Es ist überhaupt — das mag bei dieser Gelegenheit


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[0573] Sprachliche Neubildungen. Setzung (in Absetzungen declamiren), Entgegensetzung (charakteristische Ent¬ gegensetzung), Besorgung, Verstoßung, Ausschweifung, Beeifernng, Thätigkeit (sich mit Thätigkeiten gegen jemand vergehen), wo nach heutigem Sprachgebrauche der Zusammenhang Absatz, Gegensatz, Besorgniß, Verstoß, Abschweifung, Wetteifer, Thätlichkeit verlangen würde. In der Einleitung bezeichnet Lessing seinen „Laokoon" als „unordentliche Collectanea zu einem Buche," jetzt würde er schreiben ungeordnete; er braucht witzig, über¬ hingehend, betrüglich, ausdrückend, zeitverwandt, verkleinerlich, widersprechend, geringschätzig (eine geringschätzige Sache), anschaulich (eine anschauliche UnWahrscheinlichkeit), willkürlich (willkürliche Gruppe»), wo wir jetzt geistreich, vorübergehend, trügerisch, ausdrucksvoll, gleichzeitig, un¬ rühmlich, widerspruchsvoll, unbedeutend, sichtlich (oder handgreiflich), zwanglos sagen würden; unanständig und unschicklich, deren Anwendung jetzt auf das Betragen eingeschränkt ist, findet sich bei Lessing noch in viel weiterem Gebrauche, wo wir es jetzt dnrch unpassend und unangemessen ersetzen müßten. Eine reiche Auslese bietet neben den Haupt- und Eigenschaftswörtern das Zeit¬ wort. Wir sagen heute: von etwas ausgehen, die Linie bildet den Umriß des Körpers, Lobsprüche eintragen, Eindruck machen, eine Meinung auf- rechthaltcu, das Seepter bezeichnet die Würde; bei Lessing findet sich dafür: von etwas aussetzen, die Linie umschreibt den Körper, Lobsprüche zuziehen (was jetzt nur vom Tadel gesagt wird), rühren (was jetzt auf besonders er¬ greifende oder wehmüthige Eindrücke beschränkt ist), eine Meinung behaupten, das Seepter bemerkt die Würde. Vielfach begnügt sich Lessings Sprache noch mit dem einfachen Zeitwort, wo die heutige ein zusammengesetztes hat, wie in wirken (Pressungen werden von einer Last gewirkt) für bewirken, fallen (auf einen Gedanken fallen) für verfallen, arbeiten (auf eine Wirkung arbeiten) für hinarbeiten; manchmal hat sich auch das Vorwort geändert, wie in be¬ feuern (die Phantasie befeuern), anmerken, befallen, wofür es jetzt anfeuern, bemerken, einfallen heißt. Auffällig ist es — und es liegt hierin für uns eine beschämende Thatsache —, wie oft die Sprache Lessings deutsche Wörter hat, wo gegenwärtig allgemein Fremdwörter üblich oder wieder üblich geworden sind. Lessing schreibt Kunst- richter, Vorwurf, Täuschung, Einbildungskraft, Weg (der homerische Weg), Luftweg, abstechend (abstechende Charaktere), äußerlich verabredet (äußerlich verabredete Merkmale), abziehen oder absondern (abgesonderter Be¬ griff), wo heute sicherlich jedermann Kritiker (oder Recensent), Sujet, Illu¬ sion, Phantasie, Methode, Promenade, contrastirend, conventionell, abstract schreiben würde. Es ist überhaupt — das mag bei dieser Gelegenheit Greiizbote» 1. 1881. 7ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/573>, abgerufen am 28.05.2024.