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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Politische Rückblicke und Ausblicke.

deutschen Reichshauptstadt als ein Ereigniß von hoher politischer Wichtigkeit,
und zwar um so mehr, als König Humbert die Absicht geäußert habe, bei dieser
Gelegenheit zugleich den Kaiser Wilhelm zu besuchen. Eine bestimmte Anord¬
nung sei indeß in der Sache noch nicht erfolgt. Der Verfasser schloß aus seinen
obigen Nachrichten, daß die Gerüchte, nach welchen der italienische Minister des
Auswärtigen sich angelegentlich bemüht habe, ein freundliches Einvernehmen
zwischen Oesterreich, Deutschland und Italien zustande zu bringen, sich dadurch
bestätigten. Jedoch scheine es, daß derselbe bei einigen seiner Collegen, namentlich
bei Depretis, von dem man glaube, er habe zu allen Zeiten die Bestrebungen
der Jrredenta gern gesehen und begünstigt, auf starken Widerspruch gegen
seinen Plan gestoßen sei. Durch ihre schwankende Haltung während der letzten
zwei Jahrzehnte hätten die italienischen Staatsmänner in einem gewissen Maße
bei den Cabinetten in Berlin und Wien Mißtrauen erweckt, und die jetzige
italienische Regierung werde nun genöthigt sein, befriedigende Bürgschaften für
ihr ferneres Verhalten zu geben, falls sie wirklich und aufrichtig den Wunsch
hege, ein Bündniß mit Deutschland und Oesterreich einzugehen. Gelänge es
ihr, die beiden Mächte in dieser Beziehung zu beruhigen, so würden diese das
Anerbieten, welches auf eine starke Koalition Mitteleuropas zur Erhaltung des
Friedens hinaufliefe und, wenn es angenommen, die Aussichten auf Frieden in
der That wesentlich erhöhen würde, gewiß nicht von sich weisen.

In Frankreich scheinen derartige Gerüchte begreiflicherweise nicht angenehm
berührt zu haben. In den Kreisen, wo man noch auf Wettmachung der Nieder¬
lagen von 1870 und 1871 sinnt, mußte man von einer Bestätigung jener Ge¬
richte eine weitere Jsolirung für den Fall, daß ein Versuch gegen die Sicher¬
heit Deutschlands unternommen würde, befürchten, und mehrere große Blätter
bemühten sich, den Italienern zu Gemüthe zu führen, daß ein Anschluß ihrer
Regierung an das deutsch-österreichische Bündniß von den Verhältnissen nicht
geboten sei, und daß er Italien lästige Bedingungen auferlegen würde. So
brachte z. B. der für officiös gehaltene Temps einen Artikel, der die Allianz
Zwischen den drei Mächten für bereits fertig ansah und daraufhin einer Prüfung
unterwarf, bei welcher die Entdeckung gemacht wurde, Italien habe alle An¬
sprüche auf Welschtirol, Trieft, Jstrien und Albanien fallen lassen, jeden Wider¬
stand gegen die Pläne Oesterreichs in Betreff Saloniks aufgegeben und dafür
nur erreicht, daß man ihm in Wien seinen bisherigen Besitzstand garantirt habe,
den niemand bedrohe. Das Journal des Dsbats lächelte über die italienischen
Journale, welches sich dem Gedanken eines Bündnisses des Quirinals mit den
mitteleuropäischen Kaiserreichen günstig geäußert, bezeichnete deren Sprache als
Gerede, welche mit jedem heißen Sommer auftrete und mit jedem kühlen Herbste
verschwinde, und setzte spöttisch hinzu: "Der europäische Friede wird dadurch,
daß König Humbert das Bedürfniß fühlt, den Kaisern von Oesterreich und
Deutschland seine Aufwartung zu machen, keinerlei Störung erleiden, und dieser


Politische Rückblicke und Ausblicke.

deutschen Reichshauptstadt als ein Ereigniß von hoher politischer Wichtigkeit,
und zwar um so mehr, als König Humbert die Absicht geäußert habe, bei dieser
Gelegenheit zugleich den Kaiser Wilhelm zu besuchen. Eine bestimmte Anord¬
nung sei indeß in der Sache noch nicht erfolgt. Der Verfasser schloß aus seinen
obigen Nachrichten, daß die Gerüchte, nach welchen der italienische Minister des
Auswärtigen sich angelegentlich bemüht habe, ein freundliches Einvernehmen
zwischen Oesterreich, Deutschland und Italien zustande zu bringen, sich dadurch
bestätigten. Jedoch scheine es, daß derselbe bei einigen seiner Collegen, namentlich
bei Depretis, von dem man glaube, er habe zu allen Zeiten die Bestrebungen
der Jrredenta gern gesehen und begünstigt, auf starken Widerspruch gegen
seinen Plan gestoßen sei. Durch ihre schwankende Haltung während der letzten
zwei Jahrzehnte hätten die italienischen Staatsmänner in einem gewissen Maße
bei den Cabinetten in Berlin und Wien Mißtrauen erweckt, und die jetzige
italienische Regierung werde nun genöthigt sein, befriedigende Bürgschaften für
ihr ferneres Verhalten zu geben, falls sie wirklich und aufrichtig den Wunsch
hege, ein Bündniß mit Deutschland und Oesterreich einzugehen. Gelänge es
ihr, die beiden Mächte in dieser Beziehung zu beruhigen, so würden diese das
Anerbieten, welches auf eine starke Koalition Mitteleuropas zur Erhaltung des
Friedens hinaufliefe und, wenn es angenommen, die Aussichten auf Frieden in
der That wesentlich erhöhen würde, gewiß nicht von sich weisen.

In Frankreich scheinen derartige Gerüchte begreiflicherweise nicht angenehm
berührt zu haben. In den Kreisen, wo man noch auf Wettmachung der Nieder¬
lagen von 1870 und 1871 sinnt, mußte man von einer Bestätigung jener Ge¬
richte eine weitere Jsolirung für den Fall, daß ein Versuch gegen die Sicher¬
heit Deutschlands unternommen würde, befürchten, und mehrere große Blätter
bemühten sich, den Italienern zu Gemüthe zu führen, daß ein Anschluß ihrer
Regierung an das deutsch-österreichische Bündniß von den Verhältnissen nicht
geboten sei, und daß er Italien lästige Bedingungen auferlegen würde. So
brachte z. B. der für officiös gehaltene Temps einen Artikel, der die Allianz
Zwischen den drei Mächten für bereits fertig ansah und daraufhin einer Prüfung
unterwarf, bei welcher die Entdeckung gemacht wurde, Italien habe alle An¬
sprüche auf Welschtirol, Trieft, Jstrien und Albanien fallen lassen, jeden Wider¬
stand gegen die Pläne Oesterreichs in Betreff Saloniks aufgegeben und dafür
nur erreicht, daß man ihm in Wien seinen bisherigen Besitzstand garantirt habe,
den niemand bedrohe. Das Journal des Dsbats lächelte über die italienischen
Journale, welches sich dem Gedanken eines Bündnisses des Quirinals mit den
mitteleuropäischen Kaiserreichen günstig geäußert, bezeichnete deren Sprache als
Gerede, welche mit jedem heißen Sommer auftrete und mit jedem kühlen Herbste
verschwinde, und setzte spöttisch hinzu: „Der europäische Friede wird dadurch,
daß König Humbert das Bedürfniß fühlt, den Kaisern von Oesterreich und
Deutschland seine Aufwartung zu machen, keinerlei Störung erleiden, und dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/11>, abgerufen am 15.05.2024.