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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Politische Rückblicke und Ausblicke.

Friede wird weder besser noch schlechter gesichert sein, wenn der König von
Italien sich durch die Sorgen seiner Regierung in Rom zurückhalten läßt."

Die Italiener selbst zeigten sich in der Frage verschiedner Meinung. Die
Mehrzahl der großen Zeitungen neigte einem Bündnisse mit Deutschland und
Oesterreich-Ungarn zu, mehrere davon empfahlen es unter dem Eindrucke des
Vorgehens der Franzosen in Tunis angelegentlich. Dagegen nahm der ehe¬
malige Minister Lcmza (1864 unter Lamarmora Minister des Innern und von
1869 an einige Jahre Premier) eine wesentlich andre Stellung zur Sache ein.
In einem Schreiben an eine Berliner Revue sagte er ungefähr folgendes: Trotz
des Schlags, den die Mittelmcerstellung Italiens durch das französische Pro-
tectorat zweifelsohne erlitten habe, werde der verständige Sinn der Italiener
die dadurch veränderte Lage mit Ruhe ertragen. Italien bedürfe des Friedens
mehr als irgend ein anderer Staat. Es sei uoch eine junge und arme Nation,
und so müsse es alle Arbeitskraft auf seine geistige und wirtschaftliche Aus¬
bildung concentriren, um seine Production und seine Macht zu steigern. Seine
geographische Lage erfordere vor allen Dingen, daß es eine Seemacht ersten
Ranges werde. Hinsichtlich seiner Stellung zwischen Frankreich einerseits und
Deutschland-Oesterreich-Ungarn andrerseits habe es das größte Interesse daran,
daß der Streit zwischen den Mächten, deren Beute es abwechselnd so lange ge¬
wesen, sich nicht wiederhole. Die italienische Politik müsse folglich bemüht sein,
die Freundschaft beider Seiten zu gewinnen, indem es bei jeder nen auftauchenden
Frage die Vertheidigung des guten Rechts swas ist hier gutes Rechts über¬
nehme und sich fern halte von gewagten Unternehmungen und Mißtrauen er¬
regenden Tendenzen. In Bezug auf Allianzeil müsse eine Nation, die wie
Italien keine Eroberung im Sinne habe, sich nicht vor der Zeit fevr welcher
Zeitig binden, sondern sich bis zum letzten Augenblicke freie Hand bewahren.
Erhaltung des Friedens und Sammlung seiner Kräfte szu welchem Zweckes
seien die Ziele, auf welche Italien Europa gegenüber seine Politik in unzwei-
deutiger Weise zu richten habe.

Erklärte sich Lanza hiermit gegen das Project einer Allianz des römischen
Cabinets mit der deutschen und der österreichischen Negierung, so nahm eine
Stimme in der Mova ^ntologia, welche die eines hochstehenden Diplomaten
sein sollte, eine Art Mittelstellung ein. Italien, so hieß es in dem betreffenden
Artikel, sei isolirt und zwar infolge seiner schlechten innern Politik. Während
des Berliner Congresses habe die Abschaffung der Mahlstcuer das Ansehen des
Königreichs im Auslande geschwächt, weil man sich dadurch der Mittel zu kräf¬
tiger Entwicklung des Heeres beraubt habe. Noch schädlicher sei das Treiben
der Jrredenta gewesen. Dasselbe habe sicherm Vernehmen nach zu solcher
Spannung geführt, daß kurz vor Bcaeousficlds Fall ein Krieg zwischen Oester¬
reich und Italien nahe gewesen sei. Beaconsfield und Fürst Bismarck hätten
Oesterreichs Recht zu einem solchen anerkannt, und ersterer habe dieses sogar


Politische Rückblicke und Ausblicke.

Friede wird weder besser noch schlechter gesichert sein, wenn der König von
Italien sich durch die Sorgen seiner Regierung in Rom zurückhalten läßt."

Die Italiener selbst zeigten sich in der Frage verschiedner Meinung. Die
Mehrzahl der großen Zeitungen neigte einem Bündnisse mit Deutschland und
Oesterreich-Ungarn zu, mehrere davon empfahlen es unter dem Eindrucke des
Vorgehens der Franzosen in Tunis angelegentlich. Dagegen nahm der ehe¬
malige Minister Lcmza (1864 unter Lamarmora Minister des Innern und von
1869 an einige Jahre Premier) eine wesentlich andre Stellung zur Sache ein.
In einem Schreiben an eine Berliner Revue sagte er ungefähr folgendes: Trotz
des Schlags, den die Mittelmcerstellung Italiens durch das französische Pro-
tectorat zweifelsohne erlitten habe, werde der verständige Sinn der Italiener
die dadurch veränderte Lage mit Ruhe ertragen. Italien bedürfe des Friedens
mehr als irgend ein anderer Staat. Es sei uoch eine junge und arme Nation,
und so müsse es alle Arbeitskraft auf seine geistige und wirtschaftliche Aus¬
bildung concentriren, um seine Production und seine Macht zu steigern. Seine
geographische Lage erfordere vor allen Dingen, daß es eine Seemacht ersten
Ranges werde. Hinsichtlich seiner Stellung zwischen Frankreich einerseits und
Deutschland-Oesterreich-Ungarn andrerseits habe es das größte Interesse daran,
daß der Streit zwischen den Mächten, deren Beute es abwechselnd so lange ge¬
wesen, sich nicht wiederhole. Die italienische Politik müsse folglich bemüht sein,
die Freundschaft beider Seiten zu gewinnen, indem es bei jeder nen auftauchenden
Frage die Vertheidigung des guten Rechts swas ist hier gutes Rechts über¬
nehme und sich fern halte von gewagten Unternehmungen und Mißtrauen er¬
regenden Tendenzen. In Bezug auf Allianzeil müsse eine Nation, die wie
Italien keine Eroberung im Sinne habe, sich nicht vor der Zeit fevr welcher
Zeitig binden, sondern sich bis zum letzten Augenblicke freie Hand bewahren.
Erhaltung des Friedens und Sammlung seiner Kräfte szu welchem Zweckes
seien die Ziele, auf welche Italien Europa gegenüber seine Politik in unzwei-
deutiger Weise zu richten habe.

Erklärte sich Lanza hiermit gegen das Project einer Allianz des römischen
Cabinets mit der deutschen und der österreichischen Negierung, so nahm eine
Stimme in der Mova ^ntologia, welche die eines hochstehenden Diplomaten
sein sollte, eine Art Mittelstellung ein. Italien, so hieß es in dem betreffenden
Artikel, sei isolirt und zwar infolge seiner schlechten innern Politik. Während
des Berliner Congresses habe die Abschaffung der Mahlstcuer das Ansehen des
Königreichs im Auslande geschwächt, weil man sich dadurch der Mittel zu kräf¬
tiger Entwicklung des Heeres beraubt habe. Noch schädlicher sei das Treiben
der Jrredenta gewesen. Dasselbe habe sicherm Vernehmen nach zu solcher
Spannung geführt, daß kurz vor Bcaeousficlds Fall ein Krieg zwischen Oester¬
reich und Italien nahe gewesen sei. Beaconsfield und Fürst Bismarck hätten
Oesterreichs Recht zu einem solchen anerkannt, und ersterer habe dieses sogar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/12>, abgerufen am 16.05.2024.