Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Shakespeare in Frankreich.

Inzwischen fühlte sich die classische Tragödie durch den Schutz, welchen sie
während des Consulats und des Kaiserreichs von der Regierung, und durch den
Rückhalt, den sie bei der Akademie fand, wieder völlig gesichert. Sie war auf
dein UMtrs traueM" wieder zur Herrschaft gekommen durch die Kunst eines
Talma, welcher ihr und, wie Barante dargethan, mit durch das Studium
Shakespeares (sein Spiel ergänzte z. B. die abstrcict gewordenen Helden der
Duciöschen Bearbeitungen shakespearischer Stücke durch Züge aus dem Original)
eine neue Seele einzuhauchen verstand, worin er durch die Duchesnois und die
Georges unterstützt wurde. Eine Reaction konnte gleichwohl nicht ausbleiben.
Dazu war der Aufschwung der Literatur in Deutschland und England zu mächtig
geworden. Sie ging hauptsächlich von einer Frau, aber von einer der bedeu¬
tendste" Frauen der Zeit, von Frau von Staöl aus, welche bereits im Jahre
1800 durch ihr Buch of is, litteraturs mit Wärme das Studium der fremden
Literaturen, damals insbesondre das der englischen und vor allem wieder Shake¬
speares, empfohlen hatte.

"Ich kann es an Shakespeare nicht tadeln -- lesen wir hier --, sich
von den Regeln der Kunst frei erhalten zu haben, sie sind von unendlich ge¬
ringerer Wichtigkeit als die des Geschmacks, weil die einen vorschreiben, was
wan machen soll, die andern aber sich darauf beschränken, das zu verbieten, was
N> vermeiden ist. Ueber das, was schlecht ist, kann man sich schwerlich täu¬
schen, wogegen es völlig unmöglich ist, dem Genie Grenze" für seine verschie¬
denen Ideenverbindungen zu ziehen. Das Genie kann ganz neue Wege ver¬
sagen, ohne daß es seine Zeit zu verfehle" braucht. Die Regel" der Kunst
Truhen auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung, welche man hinsichtlich der Mittel
des Erfolgs anstellt. Wird der Erfolg aber erreicht, so kümmern die Mittel
uns wenig. Mit dem Geschmack verhält es sich anders; denn sich über diesen
erheben wollen, heißt sich von der Schönheit der Natur selber entferne", weil
es nichts über ihm giebt. Sagen wir also nicht, daß Shakespeare sich des Ge¬
schmacks entschlagen und über dessen Gesetze gestellt habe, erkennen wir vielmehr,
^ß er immer Geschmack zeigt, wo er erhaben ist, und nur da an Geschmack ver¬
wert, wo sein Talent ermattet." "Mit Shakespeare -- heißt es weiter --
beginnt eine neue Literatur. Er ist ohne Zweifel vom Geiste und von der
Farbe der nordischen Dichtung im allgemeinen durchdrungen; aber er ist es
gewesen, welcher der Literatur der Engländer den Aufschwung und ihrem Drama
°en Charakter gegeben hat."

Das Buch machte ungeheures Aufsehen. Die im nächsten Jahre erschienene
Sammlung?<zu8vos Ah LtmlWpögrs von Charles Robler darf als eine Folge
davon angesehen werden. Bemerkenswerth ist, daß die Ansichten der Frau von
Stank gerade von Chateaubriand bekämpft wurden, einem der bedeutendsten Ber¬
ater, ja, wie viele wollen, dem Schöpfer des französischen Romanticismus,
während er doch nur der Begründer der katholisirenden Richtung desselben war,


Shakespeare in Frankreich.

Inzwischen fühlte sich die classische Tragödie durch den Schutz, welchen sie
während des Consulats und des Kaiserreichs von der Regierung, und durch den
Rückhalt, den sie bei der Akademie fand, wieder völlig gesichert. Sie war auf
dein UMtrs traueM« wieder zur Herrschaft gekommen durch die Kunst eines
Talma, welcher ihr und, wie Barante dargethan, mit durch das Studium
Shakespeares (sein Spiel ergänzte z. B. die abstrcict gewordenen Helden der
Duciöschen Bearbeitungen shakespearischer Stücke durch Züge aus dem Original)
eine neue Seele einzuhauchen verstand, worin er durch die Duchesnois und die
Georges unterstützt wurde. Eine Reaction konnte gleichwohl nicht ausbleiben.
Dazu war der Aufschwung der Literatur in Deutschland und England zu mächtig
geworden. Sie ging hauptsächlich von einer Frau, aber von einer der bedeu¬
tendste» Frauen der Zeit, von Frau von Staöl aus, welche bereits im Jahre
1800 durch ihr Buch of is, litteraturs mit Wärme das Studium der fremden
Literaturen, damals insbesondre das der englischen und vor allem wieder Shake¬
speares, empfohlen hatte.

„Ich kann es an Shakespeare nicht tadeln — lesen wir hier —, sich
von den Regeln der Kunst frei erhalten zu haben, sie sind von unendlich ge¬
ringerer Wichtigkeit als die des Geschmacks, weil die einen vorschreiben, was
wan machen soll, die andern aber sich darauf beschränken, das zu verbieten, was
N> vermeiden ist. Ueber das, was schlecht ist, kann man sich schwerlich täu¬
schen, wogegen es völlig unmöglich ist, dem Genie Grenze» für seine verschie¬
denen Ideenverbindungen zu ziehen. Das Genie kann ganz neue Wege ver¬
sagen, ohne daß es seine Zeit zu verfehle» braucht. Die Regel» der Kunst
Truhen auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung, welche man hinsichtlich der Mittel
des Erfolgs anstellt. Wird der Erfolg aber erreicht, so kümmern die Mittel
uns wenig. Mit dem Geschmack verhält es sich anders; denn sich über diesen
erheben wollen, heißt sich von der Schönheit der Natur selber entferne», weil
es nichts über ihm giebt. Sagen wir also nicht, daß Shakespeare sich des Ge¬
schmacks entschlagen und über dessen Gesetze gestellt habe, erkennen wir vielmehr,
^ß er immer Geschmack zeigt, wo er erhaben ist, und nur da an Geschmack ver¬
wert, wo sein Talent ermattet." „Mit Shakespeare — heißt es weiter —
beginnt eine neue Literatur. Er ist ohne Zweifel vom Geiste und von der
Farbe der nordischen Dichtung im allgemeinen durchdrungen; aber er ist es
gewesen, welcher der Literatur der Engländer den Aufschwung und ihrem Drama
°en Charakter gegeben hat."

Das Buch machte ungeheures Aufsehen. Die im nächsten Jahre erschienene
Sammlung?<zu8vos Ah LtmlWpögrs von Charles Robler darf als eine Folge
davon angesehen werden. Bemerkenswerth ist, daß die Ansichten der Frau von
Stank gerade von Chateaubriand bekämpft wurden, einem der bedeutendsten Ber¬
ater, ja, wie viele wollen, dem Schöpfer des französischen Romanticismus,
während er doch nur der Begründer der katholisirenden Richtung desselben war,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150739"/>
          <fw type="header" place="top"> Shakespeare in Frankreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_27"> Inzwischen fühlte sich die classische Tragödie durch den Schutz, welchen sie<lb/>
während des Consulats und des Kaiserreichs von der Regierung, und durch den<lb/>
Rückhalt, den sie bei der Akademie fand, wieder völlig gesichert. Sie war auf<lb/>
dein UMtrs traueM« wieder zur Herrschaft gekommen durch die Kunst eines<lb/>
Talma, welcher ihr und, wie Barante dargethan, mit durch das Studium<lb/>
Shakespeares (sein Spiel ergänzte z. B. die abstrcict gewordenen Helden der<lb/>
Duciöschen Bearbeitungen shakespearischer Stücke durch Züge aus dem Original)<lb/>
eine neue Seele einzuhauchen verstand, worin er durch die Duchesnois und die<lb/>
Georges unterstützt wurde. Eine Reaction konnte gleichwohl nicht ausbleiben.<lb/>
Dazu war der Aufschwung der Literatur in Deutschland und England zu mächtig<lb/>
geworden. Sie ging hauptsächlich von einer Frau, aber von einer der bedeu¬<lb/>
tendste» Frauen der Zeit, von Frau von Staöl aus, welche bereits im Jahre<lb/>
1800 durch ihr Buch of is, litteraturs mit Wärme das Studium der fremden<lb/>
Literaturen, damals insbesondre das der englischen und vor allem wieder Shake¬<lb/>
speares, empfohlen hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28"> &#x201E;Ich kann es an Shakespeare nicht tadeln &#x2014; lesen wir hier &#x2014;, sich<lb/>
von den Regeln der Kunst frei erhalten zu haben, sie sind von unendlich ge¬<lb/>
ringerer Wichtigkeit als die des Geschmacks, weil die einen vorschreiben, was<lb/>
wan machen soll, die andern aber sich darauf beschränken, das zu verbieten, was<lb/>
N&gt; vermeiden ist. Ueber das, was schlecht ist, kann man sich schwerlich täu¬<lb/>
schen, wogegen es völlig unmöglich ist, dem Genie Grenze» für seine verschie¬<lb/>
denen Ideenverbindungen zu ziehen. Das Genie kann ganz neue Wege ver¬<lb/>
sagen, ohne daß es seine Zeit zu verfehle» braucht. Die Regel» der Kunst<lb/>
Truhen auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung, welche man hinsichtlich der Mittel<lb/>
des Erfolgs anstellt. Wird der Erfolg aber erreicht, so kümmern die Mittel<lb/>
uns wenig. Mit dem Geschmack verhält es sich anders; denn sich über diesen<lb/>
erheben wollen, heißt sich von der Schönheit der Natur selber entferne», weil<lb/>
es nichts über ihm giebt. Sagen wir also nicht, daß Shakespeare sich des Ge¬<lb/>
schmacks entschlagen und über dessen Gesetze gestellt habe, erkennen wir vielmehr,<lb/>
^ß er immer Geschmack zeigt, wo er erhaben ist, und nur da an Geschmack ver¬<lb/>
wert, wo sein Talent ermattet." &#x201E;Mit Shakespeare &#x2014; heißt es weiter &#x2014;<lb/>
beginnt eine neue Literatur. Er ist ohne Zweifel vom Geiste und von der<lb/>
Farbe der nordischen Dichtung im allgemeinen durchdrungen; aber er ist es<lb/>
gewesen, welcher der Literatur der Engländer den Aufschwung und ihrem Drama<lb/>
°en Charakter gegeben hat."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_29" next="#ID_30"> Das Buch machte ungeheures Aufsehen. Die im nächsten Jahre erschienene<lb/>
Sammlung?&lt;zu8vos Ah LtmlWpögrs von Charles Robler darf als eine Folge<lb/>
davon angesehen werden. Bemerkenswerth ist, daß die Ansichten der Frau von<lb/>
Stank gerade von Chateaubriand bekämpft wurden, einem der bedeutendsten Ber¬<lb/>
ater, ja, wie viele wollen, dem Schöpfer des französischen Romanticismus,<lb/>
während er doch nur der Begründer der katholisirenden Richtung desselben war,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Shakespeare in Frankreich. Inzwischen fühlte sich die classische Tragödie durch den Schutz, welchen sie während des Consulats und des Kaiserreichs von der Regierung, und durch den Rückhalt, den sie bei der Akademie fand, wieder völlig gesichert. Sie war auf dein UMtrs traueM« wieder zur Herrschaft gekommen durch die Kunst eines Talma, welcher ihr und, wie Barante dargethan, mit durch das Studium Shakespeares (sein Spiel ergänzte z. B. die abstrcict gewordenen Helden der Duciöschen Bearbeitungen shakespearischer Stücke durch Züge aus dem Original) eine neue Seele einzuhauchen verstand, worin er durch die Duchesnois und die Georges unterstützt wurde. Eine Reaction konnte gleichwohl nicht ausbleiben. Dazu war der Aufschwung der Literatur in Deutschland und England zu mächtig geworden. Sie ging hauptsächlich von einer Frau, aber von einer der bedeu¬ tendste» Frauen der Zeit, von Frau von Staöl aus, welche bereits im Jahre 1800 durch ihr Buch of is, litteraturs mit Wärme das Studium der fremden Literaturen, damals insbesondre das der englischen und vor allem wieder Shake¬ speares, empfohlen hatte. „Ich kann es an Shakespeare nicht tadeln — lesen wir hier —, sich von den Regeln der Kunst frei erhalten zu haben, sie sind von unendlich ge¬ ringerer Wichtigkeit als die des Geschmacks, weil die einen vorschreiben, was wan machen soll, die andern aber sich darauf beschränken, das zu verbieten, was N> vermeiden ist. Ueber das, was schlecht ist, kann man sich schwerlich täu¬ schen, wogegen es völlig unmöglich ist, dem Genie Grenze» für seine verschie¬ denen Ideenverbindungen zu ziehen. Das Genie kann ganz neue Wege ver¬ sagen, ohne daß es seine Zeit zu verfehle» braucht. Die Regel» der Kunst Truhen auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung, welche man hinsichtlich der Mittel des Erfolgs anstellt. Wird der Erfolg aber erreicht, so kümmern die Mittel uns wenig. Mit dem Geschmack verhält es sich anders; denn sich über diesen erheben wollen, heißt sich von der Schönheit der Natur selber entferne», weil es nichts über ihm giebt. Sagen wir also nicht, daß Shakespeare sich des Ge¬ schmacks entschlagen und über dessen Gesetze gestellt habe, erkennen wir vielmehr, ^ß er immer Geschmack zeigt, wo er erhaben ist, und nur da an Geschmack ver¬ wert, wo sein Talent ermattet." „Mit Shakespeare — heißt es weiter — beginnt eine neue Literatur. Er ist ohne Zweifel vom Geiste und von der Farbe der nordischen Dichtung im allgemeinen durchdrungen; aber er ist es gewesen, welcher der Literatur der Engländer den Aufschwung und ihrem Drama °en Charakter gegeben hat." Das Buch machte ungeheures Aufsehen. Die im nächsten Jahre erschienene Sammlung?<zu8vos Ah LtmlWpögrs von Charles Robler darf als eine Folge davon angesehen werden. Bemerkenswerth ist, daß die Ansichten der Frau von Stank gerade von Chateaubriand bekämpft wurden, einem der bedeutendsten Ber¬ ater, ja, wie viele wollen, dem Schöpfer des französischen Romanticismus, während er doch nur der Begründer der katholisirenden Richtung desselben war,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/17>, abgerufen am 15.05.2024.