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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

sich zu bewegen habe, lasse sich aber schon jetzt erkennen. Es sei nicht der des
Dramas Corneilles oder Racines, es sei nicht der Shakespeares, es sei nur der
ihrige. Wohl aber könne das System Shakespeares den Plan liefern, nach
welchem heute das Genie zu arbeiten habe. Man wolle jetzt den Menschen mit
allen seinen Bedingungen in einer unsre Sympathie völlig und aufs tiefste er¬
greifenden Weise sehen.

Guizots Schrift war entscheidend. Eine neue Schule, die, wie weit in
ihren Werken auch immer von Shakespeare entfernt, ihn doch zu ihrem Feld¬
geschrei machte, trat ins Leben. Sie fand zunächst ihren Mittelpunkt im Salon
der Gebrüder Deschamps, um jedoch bald Victor Hugo an ihre Spitze zu stellen
und ihn als ihr Haupt anzuerkennen, Victor Hugo, welchen Chateaubriand nach
seinen ersten Gedichten als NnlMt sublime begrüßt und der Pariser Gesell¬
schaft, den Pariser Salons empfohlen hatte; denn damals stand er ja noch fast
ganz auf dem Standpunkte dieses Führers der royalistisch-kirchlichen Romantik.
Das Organ der neuen Schule war zunächst I>s eonssrvAtsur littsiÄrs. 1824 öffnete
ihr aber auch der damals ins Leben gerufene Aolis seine Spalten, dessen aus¬
gesprochener Zweck es in Bezug auf Literatur war, dieselbe zu erneuern und
die Kunst zu befreien. Victor Hugo, Se. Beuve, Magnin, Alfred de Viguy,
Römusat, Vince gehörten zu seinen literarischen Mitarbeitern.

Inzwischen war 1821 Barante mit seiner Uebersetzung der Schillerschen
Dramen und 1822 noch eine Ausgabe der Letourneurschen Uebersetzung Shake¬
speares erschienen. Auch Lemercier trat mit den im neuen Geiste gedichteten Dramen
?r^6MncIs c-t Lrunswut (1821) und ^-ins LKors (1823), Guiraud (1822)
mit den NÄsImbsss hervor; Ancelot brachte 1824 seinen Nissans, Alexandre
Sommet seine.IsÄnns et'^ro, beide von Schiller beeinflußt. Von England aber
wirkte auch noch John Rüssels Lssg,i sur los mosurs se 1a littsrÄturs ass
^nAlg-is se clss?iAneÄ8 (1822) nach Frankreich herüber. 1823 und 182ö
folgten die beiden Schriftchen Rheins se LnÄmspsars von Henri Beyle
(Stendhal), der schon 1819 in seinem Buche oft roumntismo nslli s,rei der
neuen Schule vorgearbeitet hatte. Von besondrer Wichtigkeit waren endlich die
Vorlesungen über Literatur, welche etwas später Villemain in dem neuen Geiste
an der Sorbonne eröffnete.

Natürlich fehlte es nicht an Opposition. Das Journal des Döbcits und
der Mercure traten gegen die neue Richtung und gegen Shakespeare auf. Diese
Partei, zu welcher Fisvse, Dussault, Duviquet, Hoffmann, Fcletz gehörten, kam
im Salon des letztern regelmäßig zusammen. Auch Alexandre Dnval, welcher
Lessings "Miß Sara Samson" in I-g. LourtisWS bearbeitet hatte, protestirte
im Vorwort zu seinem Ltrnsnsss gegen die Romantiker, doch erkannte er die
Nothwendigkeit einer Veränderung indirect an, indem er sagte: "Nicht daß ich
fürchte, das romantische Genre könne in Frankreich sich dauernd behaupten. Die
französische Nation hat zu viel Geist und Verstand, um ihre Autoren nicht zur


Shakespeare in Frankreich.

sich zu bewegen habe, lasse sich aber schon jetzt erkennen. Es sei nicht der des
Dramas Corneilles oder Racines, es sei nicht der Shakespeares, es sei nur der
ihrige. Wohl aber könne das System Shakespeares den Plan liefern, nach
welchem heute das Genie zu arbeiten habe. Man wolle jetzt den Menschen mit
allen seinen Bedingungen in einer unsre Sympathie völlig und aufs tiefste er¬
greifenden Weise sehen.

Guizots Schrift war entscheidend. Eine neue Schule, die, wie weit in
ihren Werken auch immer von Shakespeare entfernt, ihn doch zu ihrem Feld¬
geschrei machte, trat ins Leben. Sie fand zunächst ihren Mittelpunkt im Salon
der Gebrüder Deschamps, um jedoch bald Victor Hugo an ihre Spitze zu stellen
und ihn als ihr Haupt anzuerkennen, Victor Hugo, welchen Chateaubriand nach
seinen ersten Gedichten als NnlMt sublime begrüßt und der Pariser Gesell¬
schaft, den Pariser Salons empfohlen hatte; denn damals stand er ja noch fast
ganz auf dem Standpunkte dieses Führers der royalistisch-kirchlichen Romantik.
Das Organ der neuen Schule war zunächst I>s eonssrvAtsur littsiÄrs. 1824 öffnete
ihr aber auch der damals ins Leben gerufene Aolis seine Spalten, dessen aus¬
gesprochener Zweck es in Bezug auf Literatur war, dieselbe zu erneuern und
die Kunst zu befreien. Victor Hugo, Se. Beuve, Magnin, Alfred de Viguy,
Römusat, Vince gehörten zu seinen literarischen Mitarbeitern.

Inzwischen war 1821 Barante mit seiner Uebersetzung der Schillerschen
Dramen und 1822 noch eine Ausgabe der Letourneurschen Uebersetzung Shake¬
speares erschienen. Auch Lemercier trat mit den im neuen Geiste gedichteten Dramen
?r^6MncIs c-t Lrunswut (1821) und ^-ins LKors (1823), Guiraud (1822)
mit den NÄsImbsss hervor; Ancelot brachte 1824 seinen Nissans, Alexandre
Sommet seine.IsÄnns et'^ro, beide von Schiller beeinflußt. Von England aber
wirkte auch noch John Rüssels Lssg,i sur los mosurs se 1a littsrÄturs ass
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folgten die beiden Schriftchen Rheins se LnÄmspsars von Henri Beyle
(Stendhal), der schon 1819 in seinem Buche oft roumntismo nslli s,rei der
neuen Schule vorgearbeitet hatte. Von besondrer Wichtigkeit waren endlich die
Vorlesungen über Literatur, welche etwas später Villemain in dem neuen Geiste
an der Sorbonne eröffnete.

Natürlich fehlte es nicht an Opposition. Das Journal des Döbcits und
der Mercure traten gegen die neue Richtung und gegen Shakespeare auf. Diese
Partei, zu welcher Fisvse, Dussault, Duviquet, Hoffmann, Fcletz gehörten, kam
im Salon des letztern regelmäßig zusammen. Auch Alexandre Dnval, welcher
Lessings „Miß Sara Samson" in I-g. LourtisWS bearbeitet hatte, protestirte
im Vorwort zu seinem Ltrnsnsss gegen die Romantiker, doch erkannte er die
Nothwendigkeit einer Veränderung indirect an, indem er sagte: „Nicht daß ich
fürchte, das romantische Genre könne in Frankreich sich dauernd behaupten. Die
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[0024] Shakespeare in Frankreich. sich zu bewegen habe, lasse sich aber schon jetzt erkennen. Es sei nicht der des Dramas Corneilles oder Racines, es sei nicht der Shakespeares, es sei nur der ihrige. Wohl aber könne das System Shakespeares den Plan liefern, nach welchem heute das Genie zu arbeiten habe. Man wolle jetzt den Menschen mit allen seinen Bedingungen in einer unsre Sympathie völlig und aufs tiefste er¬ greifenden Weise sehen. Guizots Schrift war entscheidend. Eine neue Schule, die, wie weit in ihren Werken auch immer von Shakespeare entfernt, ihn doch zu ihrem Feld¬ geschrei machte, trat ins Leben. Sie fand zunächst ihren Mittelpunkt im Salon der Gebrüder Deschamps, um jedoch bald Victor Hugo an ihre Spitze zu stellen und ihn als ihr Haupt anzuerkennen, Victor Hugo, welchen Chateaubriand nach seinen ersten Gedichten als NnlMt sublime begrüßt und der Pariser Gesell¬ schaft, den Pariser Salons empfohlen hatte; denn damals stand er ja noch fast ganz auf dem Standpunkte dieses Führers der royalistisch-kirchlichen Romantik. Das Organ der neuen Schule war zunächst I>s eonssrvAtsur littsiÄrs. 1824 öffnete ihr aber auch der damals ins Leben gerufene Aolis seine Spalten, dessen aus¬ gesprochener Zweck es in Bezug auf Literatur war, dieselbe zu erneuern und die Kunst zu befreien. Victor Hugo, Se. Beuve, Magnin, Alfred de Viguy, Römusat, Vince gehörten zu seinen literarischen Mitarbeitern. Inzwischen war 1821 Barante mit seiner Uebersetzung der Schillerschen Dramen und 1822 noch eine Ausgabe der Letourneurschen Uebersetzung Shake¬ speares erschienen. Auch Lemercier trat mit den im neuen Geiste gedichteten Dramen ?r^6MncIs c-t Lrunswut (1821) und ^-ins LKors (1823), Guiraud (1822) mit den NÄsImbsss hervor; Ancelot brachte 1824 seinen Nissans, Alexandre Sommet seine.IsÄnns et'^ro, beide von Schiller beeinflußt. Von England aber wirkte auch noch John Rüssels Lssg,i sur los mosurs se 1a littsrÄturs ass ^nAlg-is se clss?iAneÄ8 (1822) nach Frankreich herüber. 1823 und 182ö folgten die beiden Schriftchen Rheins se LnÄmspsars von Henri Beyle (Stendhal), der schon 1819 in seinem Buche oft roumntismo nslli s,rei der neuen Schule vorgearbeitet hatte. Von besondrer Wichtigkeit waren endlich die Vorlesungen über Literatur, welche etwas später Villemain in dem neuen Geiste an der Sorbonne eröffnete. Natürlich fehlte es nicht an Opposition. Das Journal des Döbcits und der Mercure traten gegen die neue Richtung und gegen Shakespeare auf. Diese Partei, zu welcher Fisvse, Dussault, Duviquet, Hoffmann, Fcletz gehörten, kam im Salon des letztern regelmäßig zusammen. Auch Alexandre Dnval, welcher Lessings „Miß Sara Samson" in I-g. LourtisWS bearbeitet hatte, protestirte im Vorwort zu seinem Ltrnsnsss gegen die Romantiker, doch erkannte er die Nothwendigkeit einer Veränderung indirect an, indem er sagte: „Nicht daß ich fürchte, das romantische Genre könne in Frankreich sich dauernd behaupten. Die französische Nation hat zu viel Geist und Verstand, um ihre Autoren nicht zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/24>, abgerufen am 15.05.2024.