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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

Diese Hoffnung sollte sich freilich nicht ganz erfüllen. Emile Deschamps
und Alfred de Vigny schritten wohl auf der hier vorgezeichneten Bahn riiftig
weiter. Jener übersetzte Romso se -lulistts, dieser den UÄrotmnä as Vöiüss
und auch an andern Uebersetzungen fehlte es nicht, aber die Bühne blieb ihnen
verschlossen.*) Die Richtung, welche das romantische Drama einschlug, dem
mau mit Recht die Aufgabe gestellt hatte, Shakespeare nicht unmittelbar nach¬
zuahmen, sondern ihn nur zu studiren, nur immer tiefer in seinen Geist einzu¬
dringen, bog immer mehr von ihm ab. Schon Victor Hugos Hsrng-in zeigte
eine fast größere Verwandtschaft mit Calderon als mit Shakespeare, und Dcla-
vignes KniÄut" ä'ZZäouÄrä welche doch eine Episode des Shakespearischen
"Richard III." behandelte und in der Zeichnung Glostcrs eine entschiedene An¬
lehnung an diesen erkennen lassen, machten in noch viel höherem Grade den
tiefgehenden Unterschied zwischen dem französischen und dem Shakespearischen
Geiste bemerkbar. ."

Indessen war der Kampf gegen die Romantiker doch in einem gewissen
Umfange zugleich ein Kampf gegen den britischen Dichter, da dieser der Schild
war, mit dem sie in diesem Kampfe sich vornehmlich deckten. Die Vorstellung
des Hernani (26. Februar 1830) fand beide Parteien gerüstet. Die Jungen
(I^hö,jsunsL), d. i. die Romantiker, standen mit ihren langen Bärten, flatternden
Haaren und spitzen, mit bunten Bändern geschmückten Hüten in Schlachtordnung
im Parterre. Die Partei der Puristen glaubte in der Presse genügend vorge¬
arbeitet zu haben und war, wie es scheint, aus diesem Grunde am ersten Tage
nicht in genügender Stärke erschienen. Doch wurde das Stück anfänglich kühl
genug aufgenommen. Erst im zweiten Acte wurde der Beifall allgemeiner. Der
Monolog des vierten Actes schlug durch, und mit dem fünften war der Sieg
ein vollständiger geworden. Die akademische Partei glaubte sich nur überrumpelt.
Ihre Armee war am zweiten Abend die überlegenere. Es war seit der Vor¬
stellung des "Germanicus" vom Jahre 1817 der heißeste Abend des ?bMtrs
tiAnvNs. Damals spielte die Politik eine Rolle und man kämpfte mit Stöcken --
ein Kampf, der sich vom Theater auf die Straße übertrug. Diesmal war
die erregte Menge nur von ästhetischen Interessen bewegt. Die Stöcke waren
verschwunden, aber die Fäuste machten sich geltend. Der Sieg gehörte auch
diesmal zuletzt den Romantikern, und obschon sich die Kämpfe noch an vielen
Abenden wiederholten, wurde der Widerstand der Puristen doch immer schwächer.



*) 1884 erschienen zwei neue Uebersetzungen der Shakespearischen Werke von Meyer
und von Havard. 1837 t>s Ltrots ä'Wuvro as Aislco"xo"ro s,ovo I" er-täuetinn er-rneiüsv
xg-r N. Mös,i'<1 ot äos notioos x"r V. LuIIivs-n. 1838 die Uebersetzung von La Roche, ein¬
geleitet von A. Dumas, die 1844 und 18S9 neu aufgelegt wurde. 1842 folgte dann die
von Michel, 1860 eine neue Ausgabe der Guizot-Letourneurscheu Uebersetzung, sowie die
Uebersetzung des jüngeren Victor Hugo, die 1875 um aufgelegt wurde, und 1867 die von
Moutogui.
Shakespeare in Frankreich.

Diese Hoffnung sollte sich freilich nicht ganz erfüllen. Emile Deschamps
und Alfred de Vigny schritten wohl auf der hier vorgezeichneten Bahn riiftig
weiter. Jener übersetzte Romso se -lulistts, dieser den UÄrotmnä as Vöiüss
und auch an andern Uebersetzungen fehlte es nicht, aber die Bühne blieb ihnen
verschlossen.*) Die Richtung, welche das romantische Drama einschlug, dem
mau mit Recht die Aufgabe gestellt hatte, Shakespeare nicht unmittelbar nach¬
zuahmen, sondern ihn nur zu studiren, nur immer tiefer in seinen Geist einzu¬
dringen, bog immer mehr von ihm ab. Schon Victor Hugos Hsrng-in zeigte
eine fast größere Verwandtschaft mit Calderon als mit Shakespeare, und Dcla-
vignes KniÄut« ä'ZZäouÄrä welche doch eine Episode des Shakespearischen
„Richard III." behandelte und in der Zeichnung Glostcrs eine entschiedene An¬
lehnung an diesen erkennen lassen, machten in noch viel höherem Grade den
tiefgehenden Unterschied zwischen dem französischen und dem Shakespearischen
Geiste bemerkbar. .»

Indessen war der Kampf gegen die Romantiker doch in einem gewissen
Umfange zugleich ein Kampf gegen den britischen Dichter, da dieser der Schild
war, mit dem sie in diesem Kampfe sich vornehmlich deckten. Die Vorstellung
des Hernani (26. Februar 1830) fand beide Parteien gerüstet. Die Jungen
(I^hö,jsunsL), d. i. die Romantiker, standen mit ihren langen Bärten, flatternden
Haaren und spitzen, mit bunten Bändern geschmückten Hüten in Schlachtordnung
im Parterre. Die Partei der Puristen glaubte in der Presse genügend vorge¬
arbeitet zu haben und war, wie es scheint, aus diesem Grunde am ersten Tage
nicht in genügender Stärke erschienen. Doch wurde das Stück anfänglich kühl
genug aufgenommen. Erst im zweiten Acte wurde der Beifall allgemeiner. Der
Monolog des vierten Actes schlug durch, und mit dem fünften war der Sieg
ein vollständiger geworden. Die akademische Partei glaubte sich nur überrumpelt.
Ihre Armee war am zweiten Abend die überlegenere. Es war seit der Vor¬
stellung des „Germanicus" vom Jahre 1817 der heißeste Abend des ?bMtrs
tiAnvNs. Damals spielte die Politik eine Rolle und man kämpfte mit Stöcken —
ein Kampf, der sich vom Theater auf die Straße übertrug. Diesmal war
die erregte Menge nur von ästhetischen Interessen bewegt. Die Stöcke waren
verschwunden, aber die Fäuste machten sich geltend. Der Sieg gehörte auch
diesmal zuletzt den Romantikern, und obschon sich die Kämpfe noch an vielen
Abenden wiederholten, wurde der Widerstand der Puristen doch immer schwächer.



*) 1884 erschienen zwei neue Uebersetzungen der Shakespearischen Werke von Meyer
und von Havard. 1837 t>s Ltrots ä'Wuvro as Aislco»xo»ro s,ovo I» er-täuetinn er-rneiüsv
xg-r N. Mös,i'<1 ot äos notioos x»r V. LuIIivs-n. 1838 die Uebersetzung von La Roche, ein¬
geleitet von A. Dumas, die 1844 und 18S9 neu aufgelegt wurde. 1842 folgte dann die
von Michel, 1860 eine neue Ausgabe der Guizot-Letourneurscheu Uebersetzung, sowie die
Uebersetzung des jüngeren Victor Hugo, die 1875 um aufgelegt wurde, und 1867 die von
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/28>, abgerufen am 16.05.2024.