Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die sociale L^ge i>n Roman.

der biedre, brave, bescheidne, wohlsituirte Drechsler Schorn unter die "Partei"
geräth und überhaupt in die Seelenstimmung kommt, sich von einem Raßmann
beschwindeln zu lassen, bleibt unbeantwortet. "Schorn wurde von jedermann
geachtet, der ihn kannte. Er that seine Bürgerpflicht, wie jeder andre gewissen¬
hafte Einwohner: er bezahlte seine Steuern mit der größten Pünktlichkeit, er
war nach Kräften bemüht, das Wohl der Gemeinde zu fördern. Er blieb nie
jemandem etwas schuldig und war ein fleißiger tüchtiger Arbeiter. Er liebte
sein Weib und seine Kinder, er sorgte für sie von früh bis spät und wurde
dadurch zum Ideal eines Familienvaters. Er war höflich gegen jedermann
und machte darin zwischen Arm und Reich keinen Unterschied -- er blieb immer
derselbe bescheidene und zuvorkommende Mensch. Er lebte still und zurückge¬
zogen, ganz auf sein Haus angewiesen, er brach dadurch von vornherein jedem
bösen Leumund die Spitze ab. Wenn er Neider hatte, so waren es solche in gutem
Sinne, die ihn nicht um sein sorgenloses Leben, sondern unfein anspruchsloses
Weib -- um sein Glück beneideten. Seine Arbeiten wurden gesucht, man respectirte
seine soliden Preise, und langsam aber sicher schien sein Wohlstand heranzureifen. Und
bei alledem blieb er doch Socialdemokrat." Hier fehlt eben der Erzählung die
Tiefe und der weitere Blick für die socialen Zustände, hier bleibt die Forderung
psychologischer Motivirung völlig unerfüllt. Soll die sociale Frage in den
Roman hereingezogen werden, so muß ein Charakter, wie derjenige SchornS
ist, in ganz anderem engerem Zusammenhange dargestellt werden; mit den bloßen
Worten "Schwärmer" und "er hätte sein Leben für seine Partei gelassen" ist
hier wenig gethan.

Die ganze Schwere der Frage, freilich auch die Gefahr, die für das große
Talent in ihrem Ergreifen liegt, spiegelt uns der Roman eines begabten Nor¬
wegers: Arbeiter von Alexander L. Kielland wieder. (Autorisirte Ueber-
setzung aus dem Norwegischen von Ccipitän C. von Sarcmw. Berlin, Verlag
von A. B. Auerbach, 1881.) Der Verleger kündigt die deutsche Uebertragung
dieses Werkes mit der Bemerkung an: "Mau darf wohl ohne Uebertreibung be¬
haupten, daß die sociale Frage in keinem belletristischen Producte der letzten
Jahre mit gleicher Kühnheit und Kraft der Composition wie der Charak¬
teristik zum Gegenstände der künstlerischen Darstellung gemacht worden ist."
Man kann das in einem gewissen Sinne zugeben, ohne deshalb Freude an dem
Buche zu empfinden oder irgendwie die Meinung zu theilen, daß etwas für die
Poesie oder etwas wesentliches für Erkenntniß der socialen Frage damit gewonnen
sei. Die Grundtendenz des Kiellandscheu Romans enthüllt sich in dem Satze,
daß alle wirklichen Arbeitskräfte nicht gedeihen können, so lange diejenigen, die
sich für Arbeiter halten und keine sind, das große Wort führen. "Denn sehen
Sie," sagt der ironische Kammerherr Georg Delfin auf dein Auswandererschisf
zu Doctor Johann Bennechen, der gleichfalls im Begriff ist, nach Amerika zu
gehen, "die Unifvrmirten bleiben zurück in diesem Lande und vermehren sich --


Die sociale L^ge i>n Roman.

der biedre, brave, bescheidne, wohlsituirte Drechsler Schorn unter die „Partei"
geräth und überhaupt in die Seelenstimmung kommt, sich von einem Raßmann
beschwindeln zu lassen, bleibt unbeantwortet. „Schorn wurde von jedermann
geachtet, der ihn kannte. Er that seine Bürgerpflicht, wie jeder andre gewissen¬
hafte Einwohner: er bezahlte seine Steuern mit der größten Pünktlichkeit, er
war nach Kräften bemüht, das Wohl der Gemeinde zu fördern. Er blieb nie
jemandem etwas schuldig und war ein fleißiger tüchtiger Arbeiter. Er liebte
sein Weib und seine Kinder, er sorgte für sie von früh bis spät und wurde
dadurch zum Ideal eines Familienvaters. Er war höflich gegen jedermann
und machte darin zwischen Arm und Reich keinen Unterschied — er blieb immer
derselbe bescheidene und zuvorkommende Mensch. Er lebte still und zurückge¬
zogen, ganz auf sein Haus angewiesen, er brach dadurch von vornherein jedem
bösen Leumund die Spitze ab. Wenn er Neider hatte, so waren es solche in gutem
Sinne, die ihn nicht um sein sorgenloses Leben, sondern unfein anspruchsloses
Weib — um sein Glück beneideten. Seine Arbeiten wurden gesucht, man respectirte
seine soliden Preise, und langsam aber sicher schien sein Wohlstand heranzureifen. Und
bei alledem blieb er doch Socialdemokrat." Hier fehlt eben der Erzählung die
Tiefe und der weitere Blick für die socialen Zustände, hier bleibt die Forderung
psychologischer Motivirung völlig unerfüllt. Soll die sociale Frage in den
Roman hereingezogen werden, so muß ein Charakter, wie derjenige SchornS
ist, in ganz anderem engerem Zusammenhange dargestellt werden; mit den bloßen
Worten „Schwärmer" und „er hätte sein Leben für seine Partei gelassen" ist
hier wenig gethan.

Die ganze Schwere der Frage, freilich auch die Gefahr, die für das große
Talent in ihrem Ergreifen liegt, spiegelt uns der Roman eines begabten Nor¬
wegers: Arbeiter von Alexander L. Kielland wieder. (Autorisirte Ueber-
setzung aus dem Norwegischen von Ccipitän C. von Sarcmw. Berlin, Verlag
von A. B. Auerbach, 1881.) Der Verleger kündigt die deutsche Uebertragung
dieses Werkes mit der Bemerkung an: „Mau darf wohl ohne Uebertreibung be¬
haupten, daß die sociale Frage in keinem belletristischen Producte der letzten
Jahre mit gleicher Kühnheit und Kraft der Composition wie der Charak¬
teristik zum Gegenstände der künstlerischen Darstellung gemacht worden ist."
Man kann das in einem gewissen Sinne zugeben, ohne deshalb Freude an dem
Buche zu empfinden oder irgendwie die Meinung zu theilen, daß etwas für die
Poesie oder etwas wesentliches für Erkenntniß der socialen Frage damit gewonnen
sei. Die Grundtendenz des Kiellandscheu Romans enthüllt sich in dem Satze,
daß alle wirklichen Arbeitskräfte nicht gedeihen können, so lange diejenigen, die
sich für Arbeiter halten und keine sind, das große Wort führen. „Denn sehen
Sie," sagt der ironische Kammerherr Georg Delfin auf dein Auswandererschisf
zu Doctor Johann Bennechen, der gleichfalls im Begriff ist, nach Amerika zu
gehen, „die Unifvrmirten bleiben zurück in diesem Lande und vermehren sich —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150758"/>
          <fw type="header" place="top"> Die sociale L^ge i&gt;n Roman.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_84" prev="#ID_83"> der biedre, brave, bescheidne, wohlsituirte Drechsler Schorn unter die &#x201E;Partei"<lb/>
geräth und überhaupt in die Seelenstimmung kommt, sich von einem Raßmann<lb/>
beschwindeln zu lassen, bleibt unbeantwortet. &#x201E;Schorn wurde von jedermann<lb/>
geachtet, der ihn kannte. Er that seine Bürgerpflicht, wie jeder andre gewissen¬<lb/>
hafte Einwohner: er bezahlte seine Steuern mit der größten Pünktlichkeit, er<lb/>
war nach Kräften bemüht, das Wohl der Gemeinde zu fördern. Er blieb nie<lb/>
jemandem etwas schuldig und war ein fleißiger tüchtiger Arbeiter. Er liebte<lb/>
sein Weib und seine Kinder, er sorgte für sie von früh bis spät und wurde<lb/>
dadurch zum Ideal eines Familienvaters. Er war höflich gegen jedermann<lb/>
und machte darin zwischen Arm und Reich keinen Unterschied &#x2014; er blieb immer<lb/>
derselbe bescheidene und zuvorkommende Mensch. Er lebte still und zurückge¬<lb/>
zogen, ganz auf sein Haus angewiesen, er brach dadurch von vornherein jedem<lb/>
bösen Leumund die Spitze ab. Wenn er Neider hatte, so waren es solche in gutem<lb/>
Sinne, die ihn nicht um sein sorgenloses Leben, sondern unfein anspruchsloses<lb/>
Weib &#x2014; um sein Glück beneideten. Seine Arbeiten wurden gesucht, man respectirte<lb/>
seine soliden Preise, und langsam aber sicher schien sein Wohlstand heranzureifen. Und<lb/>
bei alledem blieb er doch Socialdemokrat." Hier fehlt eben der Erzählung die<lb/>
Tiefe und der weitere Blick für die socialen Zustände, hier bleibt die Forderung<lb/>
psychologischer Motivirung völlig unerfüllt. Soll die sociale Frage in den<lb/>
Roman hereingezogen werden, so muß ein Charakter, wie derjenige SchornS<lb/>
ist, in ganz anderem engerem Zusammenhange dargestellt werden; mit den bloßen<lb/>
Worten &#x201E;Schwärmer" und &#x201E;er hätte sein Leben für seine Partei gelassen" ist<lb/>
hier wenig gethan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_85" next="#ID_86"> Die ganze Schwere der Frage, freilich auch die Gefahr, die für das große<lb/>
Talent in ihrem Ergreifen liegt, spiegelt uns der Roman eines begabten Nor¬<lb/>
wegers: Arbeiter von Alexander L. Kielland wieder. (Autorisirte Ueber-<lb/>
setzung aus dem Norwegischen von Ccipitän C. von Sarcmw. Berlin, Verlag<lb/>
von A. B. Auerbach, 1881.) Der Verleger kündigt die deutsche Uebertragung<lb/>
dieses Werkes mit der Bemerkung an: &#x201E;Mau darf wohl ohne Uebertreibung be¬<lb/>
haupten, daß die sociale Frage in keinem belletristischen Producte der letzten<lb/>
Jahre mit gleicher Kühnheit und Kraft der Composition wie der Charak¬<lb/>
teristik zum Gegenstände der künstlerischen Darstellung gemacht worden ist."<lb/>
Man kann das in einem gewissen Sinne zugeben, ohne deshalb Freude an dem<lb/>
Buche zu empfinden oder irgendwie die Meinung zu theilen, daß etwas für die<lb/>
Poesie oder etwas wesentliches für Erkenntniß der socialen Frage damit gewonnen<lb/>
sei. Die Grundtendenz des Kiellandscheu Romans enthüllt sich in dem Satze,<lb/>
daß alle wirklichen Arbeitskräfte nicht gedeihen können, so lange diejenigen, die<lb/>
sich für Arbeiter halten und keine sind, das große Wort führen. &#x201E;Denn sehen<lb/>
Sie," sagt der ironische Kammerherr Georg Delfin auf dein Auswandererschisf<lb/>
zu Doctor Johann Bennechen, der gleichfalls im Begriff ist, nach Amerika zu<lb/>
gehen, &#x201E;die Unifvrmirten bleiben zurück in diesem Lande und vermehren sich &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] Die sociale L^ge i>n Roman. der biedre, brave, bescheidne, wohlsituirte Drechsler Schorn unter die „Partei" geräth und überhaupt in die Seelenstimmung kommt, sich von einem Raßmann beschwindeln zu lassen, bleibt unbeantwortet. „Schorn wurde von jedermann geachtet, der ihn kannte. Er that seine Bürgerpflicht, wie jeder andre gewissen¬ hafte Einwohner: er bezahlte seine Steuern mit der größten Pünktlichkeit, er war nach Kräften bemüht, das Wohl der Gemeinde zu fördern. Er blieb nie jemandem etwas schuldig und war ein fleißiger tüchtiger Arbeiter. Er liebte sein Weib und seine Kinder, er sorgte für sie von früh bis spät und wurde dadurch zum Ideal eines Familienvaters. Er war höflich gegen jedermann und machte darin zwischen Arm und Reich keinen Unterschied — er blieb immer derselbe bescheidene und zuvorkommende Mensch. Er lebte still und zurückge¬ zogen, ganz auf sein Haus angewiesen, er brach dadurch von vornherein jedem bösen Leumund die Spitze ab. Wenn er Neider hatte, so waren es solche in gutem Sinne, die ihn nicht um sein sorgenloses Leben, sondern unfein anspruchsloses Weib — um sein Glück beneideten. Seine Arbeiten wurden gesucht, man respectirte seine soliden Preise, und langsam aber sicher schien sein Wohlstand heranzureifen. Und bei alledem blieb er doch Socialdemokrat." Hier fehlt eben der Erzählung die Tiefe und der weitere Blick für die socialen Zustände, hier bleibt die Forderung psychologischer Motivirung völlig unerfüllt. Soll die sociale Frage in den Roman hereingezogen werden, so muß ein Charakter, wie derjenige SchornS ist, in ganz anderem engerem Zusammenhange dargestellt werden; mit den bloßen Worten „Schwärmer" und „er hätte sein Leben für seine Partei gelassen" ist hier wenig gethan. Die ganze Schwere der Frage, freilich auch die Gefahr, die für das große Talent in ihrem Ergreifen liegt, spiegelt uns der Roman eines begabten Nor¬ wegers: Arbeiter von Alexander L. Kielland wieder. (Autorisirte Ueber- setzung aus dem Norwegischen von Ccipitän C. von Sarcmw. Berlin, Verlag von A. B. Auerbach, 1881.) Der Verleger kündigt die deutsche Uebertragung dieses Werkes mit der Bemerkung an: „Mau darf wohl ohne Uebertreibung be¬ haupten, daß die sociale Frage in keinem belletristischen Producte der letzten Jahre mit gleicher Kühnheit und Kraft der Composition wie der Charak¬ teristik zum Gegenstände der künstlerischen Darstellung gemacht worden ist." Man kann das in einem gewissen Sinne zugeben, ohne deshalb Freude an dem Buche zu empfinden oder irgendwie die Meinung zu theilen, daß etwas für die Poesie oder etwas wesentliches für Erkenntniß der socialen Frage damit gewonnen sei. Die Grundtendenz des Kiellandscheu Romans enthüllt sich in dem Satze, daß alle wirklichen Arbeitskräfte nicht gedeihen können, so lange diejenigen, die sich für Arbeiter halten und keine sind, das große Wort führen. „Denn sehen Sie," sagt der ironische Kammerherr Georg Delfin auf dein Auswandererschisf zu Doctor Johann Bennechen, der gleichfalls im Begriff ist, nach Amerika zu gehen, „die Unifvrmirten bleiben zurück in diesem Lande und vermehren sich —

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/36
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/36>, abgerufen am 15.05.2024.