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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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die Uniformirten und die Zerlumpten. Die letzte Ratte, die das Schiff verläßt,
das wird der Armenvorsteher sein. Das ist ein Zukunftsposten: Königlich nor¬
wegischer Ober-Staats-Armenvorsteher mit dem Rang und der Uniform eiues
Kriegseommissars. Ich würde selbst um diesen Posten angesucht haben, wem?
ich nicht in Ungnade gefallen wäre."

Der Kiellandsche Roman stellt die schärfsten, unversöhnlichsten Gegensätze
einander gegenüber. Auf der einen Seite Bauern von treuem, hartem Fleiß,
welche der kargen Erde den Lebensunterhalt abgewinnen und in halb dumpfer
Bewußtlosigkeit dahinleben, so daß über ihnen die ganze Schaar der Unifor¬
mirten vom Minister bis zum Vorenskriver und Kanzleiboten ihr buntes Narren¬
spiel treiben und tüchtige Hände und starke Herzen wie Njüdel Vatnemo und
den Lootsen-Aeltermann Lauritz Boldemcm-Seehus zur Flucht übers Welt¬
meer bringen. Auch sie, die hart angeklagten, wissen kaum, was sie thun, sie
träumen, daß ihre Arbeit dem Lande Nutzen schaffe. "Ja, meine Herren," sagt
Minister und Staatsrath Bennechen, "es ist so viel die Rede dcwvn, daß unsre
Zeit die Zeit der Arbeit sei, aber nur gering ist die Zahl derer -- ich sage
es mit Bedauern --, die recht verstehen, was wahre Arbeit ist, wer die wahren
Arbeiter im Lande sind. Denn das ist der Kreis von Männern, welche die Ord¬
nung höher halten als den Eigenwillen" u. s. w. -- also wiederum die ge-
sammte Bureaukratie, von welcher der Verfasser eine scharfe Carricatur zeichnet,
und welche durchaus als ein Haufe schönredender, nichtsthuender, Papier be¬
schreibender und verbrauchender, vor alleu Dingen gut essender und trinkender
Leute dargestellt wird, unter denen in aller Harmlosigkeit die greulichsten Dinge
möglich sind. Die beiden Hauptepisoden des Buches: die Heirat der jungen
Christine Vatnemo mit dem alten im Ministerium einflußreichen Kanzleibotcn
Andreas Mob, ihrem Oheim, und ihr Ruin durch diese Heirat und das seltsame
Verhältniß zwischen der unschönen Ministerstochter Hilda Bennechen und dem
Kammerherrn Georg Delfin stellen die ganze innere Verlogenheit, die Unfähig¬
keit dieses Kreises zu männlichen Tugenden und Entschlüssen noch blendender
vor Augen als die Geschichte der elenden Intrigue, durch welche Njädel um
seinen Besitz und beinahe auch um seinen Verstand gebracht wird. Minister
Bennechen hat einen Sohn, den braven, plumpen Doctor Johann (alle braven
Leute scheinen nach Kiellands Auffassung plump und wortkarg!), der sich in die
junge Bäuerin Christine verliebt und sie heiraten würde, wenn sich nicht unter
Zustimmung des Herrn Ministers und seiner Gemahlin der alte, durch schänd¬
liche Ausschweifungen gänzlich ruinirte Andreas Mos seiner Nichte bemächtigte,
sie zu seiner Frau machte und damit einem frühen Tode in die Arme lieferte,
der ihr nur durch die stille Neigung des armen Doctor Johann versüßt
wird. Kammerherr Georg Delfin, der von Zeit zu Zeit in dem flachen, nich¬
tigen Treiben eine Anwandlung menschlicher Empfindung hat, verspürt den
innern Werth der unbedeutenden Hilda, hat aber natürlich nicht den Muth, sich


die Uniformirten und die Zerlumpten. Die letzte Ratte, die das Schiff verläßt,
das wird der Armenvorsteher sein. Das ist ein Zukunftsposten: Königlich nor¬
wegischer Ober-Staats-Armenvorsteher mit dem Rang und der Uniform eiues
Kriegseommissars. Ich würde selbst um diesen Posten angesucht haben, wem?
ich nicht in Ungnade gefallen wäre."

Der Kiellandsche Roman stellt die schärfsten, unversöhnlichsten Gegensätze
einander gegenüber. Auf der einen Seite Bauern von treuem, hartem Fleiß,
welche der kargen Erde den Lebensunterhalt abgewinnen und in halb dumpfer
Bewußtlosigkeit dahinleben, so daß über ihnen die ganze Schaar der Unifor¬
mirten vom Minister bis zum Vorenskriver und Kanzleiboten ihr buntes Narren¬
spiel treiben und tüchtige Hände und starke Herzen wie Njüdel Vatnemo und
den Lootsen-Aeltermann Lauritz Boldemcm-Seehus zur Flucht übers Welt¬
meer bringen. Auch sie, die hart angeklagten, wissen kaum, was sie thun, sie
träumen, daß ihre Arbeit dem Lande Nutzen schaffe. „Ja, meine Herren," sagt
Minister und Staatsrath Bennechen, „es ist so viel die Rede dcwvn, daß unsre
Zeit die Zeit der Arbeit sei, aber nur gering ist die Zahl derer — ich sage
es mit Bedauern —, die recht verstehen, was wahre Arbeit ist, wer die wahren
Arbeiter im Lande sind. Denn das ist der Kreis von Männern, welche die Ord¬
nung höher halten als den Eigenwillen" u. s. w. — also wiederum die ge-
sammte Bureaukratie, von welcher der Verfasser eine scharfe Carricatur zeichnet,
und welche durchaus als ein Haufe schönredender, nichtsthuender, Papier be¬
schreibender und verbrauchender, vor alleu Dingen gut essender und trinkender
Leute dargestellt wird, unter denen in aller Harmlosigkeit die greulichsten Dinge
möglich sind. Die beiden Hauptepisoden des Buches: die Heirat der jungen
Christine Vatnemo mit dem alten im Ministerium einflußreichen Kanzleibotcn
Andreas Mob, ihrem Oheim, und ihr Ruin durch diese Heirat und das seltsame
Verhältniß zwischen der unschönen Ministerstochter Hilda Bennechen und dem
Kammerherrn Georg Delfin stellen die ganze innere Verlogenheit, die Unfähig¬
keit dieses Kreises zu männlichen Tugenden und Entschlüssen noch blendender
vor Augen als die Geschichte der elenden Intrigue, durch welche Njädel um
seinen Besitz und beinahe auch um seinen Verstand gebracht wird. Minister
Bennechen hat einen Sohn, den braven, plumpen Doctor Johann (alle braven
Leute scheinen nach Kiellands Auffassung plump und wortkarg!), der sich in die
junge Bäuerin Christine verliebt und sie heiraten würde, wenn sich nicht unter
Zustimmung des Herrn Ministers und seiner Gemahlin der alte, durch schänd¬
liche Ausschweifungen gänzlich ruinirte Andreas Mos seiner Nichte bemächtigte,
sie zu seiner Frau machte und damit einem frühen Tode in die Arme lieferte,
der ihr nur durch die stille Neigung des armen Doctor Johann versüßt
wird. Kammerherr Georg Delfin, der von Zeit zu Zeit in dem flachen, nich¬
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innern Werth der unbedeutenden Hilda, hat aber natürlich nicht den Muth, sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/37>, abgerufen am 15.05.2024.