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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden,

er ihm, er sehe den Krieg zwischen Oesterreich und Frankreich als das größte
Unglück an, das Europa treffen könnte; denn die Folge davon würde die Ver¬
nichtung Oesterreichs sein. Es müsse alles geschehen, um den Kampf zu ver¬
hindern. In den Zeiten der Revolution, unter einer schwachen Regierung sei
Frankreich stark genug gewesen, dein Bunde der europäischen Staaten Wider¬
stand zu leisten; unmöglich könne man annehmen, daß es jetzt, nach einem so
ungeheuern Zuwachse seiner Macht und unter Führung des besten Feldherrn,
durch die Vorgänge in Spanien abgehalten werden würde, sich gegen Oesterreich
zu behaupten. "Das ist mein Glaubensbekenntniß, Sire," fuhr er fort, "und
ich theile es Ihnen in voller Offenheit mit, indem ich mir vorbehalte, mündlich
mehr darüber zu sagen."

Schon oft hatte Alexander geklagt, daß ihm aus der Verbindung mit
Preußen nur Sorgen und Opfer erwüchsen. Im Begriff, sich Napoleon noch
mehr zu nähern, sollte er dies noch einmal bitter empfinden. Es kam zwischen
ihm und Coulaincvurt über die Behandlung Preußens zu lebhaften Erörterungen.
Der Zar verhehlte nicht, daß er die französischen Bedingungen für unvereinbar
mit dem Geist und Buchstaben des Tilsiter Friedens erachte und die Rücksicht
auf Rußland vermisse, die Napoleon versprochen habe. Zu Schüler sagte er
kurz vor seiner Abreise nach Erfurt, wo er mit Napoleon zusammentreffen wollte:
"Ich werde mich bei der Zusammenkunft durchaus auf nichts einlassen, ehe nicht
Preußens Angelegenheiten nach Wunsch geordnet sind."

Am 18. September kam der Zar auf dieser Reise durch Königsberg, wo
er einige Tage am preußischen Hofe verweilte. Wie früher, so herrschte auch
jetzt nur eine Stimme über sein liebenswürdiges Wesen; für jeden der Waffen¬
gefährten aus dem Kriege von 1807 hatte er ein verbindliches Wort, und in
Gesellschaft der Damen zeigte er die alte Anmuth und Ritterlichkeit. Dagegen
machte er auch jetzt nicht den Eindruck der Entschlossenheit, und selbst die Gräfin
Voß, seine schwärmerische Verehrerin, klagte über seine Schwäche. Stein hatte
eine etwas günstigere Meinung, er hoffte, Alexander werde in Erfurt für den
Frieden sprechen und sich nicht in die Bundesgenossenschaft gegen Oesterreich
hineinziehen lassen.

Wenige Tage vor der Ankunft des Zaren war eine Erwiederung aus die
Freundschaftsversicheruugen eingetroffen, die Friedrich Wilhelm dem Wiener
Cabinet durch Hrubi hatte übermitteln lassen. Stadion nahm keinen Anstand,
dem Wunsche des Königs nach Aufklärung über die Stellung Oesterreichs zu
Frankreich zu entsprechen. Napoleon, so berichtete Hrubi dem Grafen Goltz Mitte
September, habe sich über die Verstärkung der österreichischen Armee beklagt,
und die Auseinandersetzungen, die darüber erfolgt wären, hätten in der letzten
Zeit einen sehr ernsten Charakter angenommen; man müsse nun abwarten, ob
es Metternich, der Befehl erhalten, nochmals auf den lediglich defensiven Cha¬
rakter der Heeresreform hinzuweisen, gelingen werde, die Mißstimmung in Paris


Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden,

er ihm, er sehe den Krieg zwischen Oesterreich und Frankreich als das größte
Unglück an, das Europa treffen könnte; denn die Folge davon würde die Ver¬
nichtung Oesterreichs sein. Es müsse alles geschehen, um den Kampf zu ver¬
hindern. In den Zeiten der Revolution, unter einer schwachen Regierung sei
Frankreich stark genug gewesen, dein Bunde der europäischen Staaten Wider¬
stand zu leisten; unmöglich könne man annehmen, daß es jetzt, nach einem so
ungeheuern Zuwachse seiner Macht und unter Führung des besten Feldherrn,
durch die Vorgänge in Spanien abgehalten werden würde, sich gegen Oesterreich
zu behaupten. „Das ist mein Glaubensbekenntniß, Sire," fuhr er fort, „und
ich theile es Ihnen in voller Offenheit mit, indem ich mir vorbehalte, mündlich
mehr darüber zu sagen."

Schon oft hatte Alexander geklagt, daß ihm aus der Verbindung mit
Preußen nur Sorgen und Opfer erwüchsen. Im Begriff, sich Napoleon noch
mehr zu nähern, sollte er dies noch einmal bitter empfinden. Es kam zwischen
ihm und Coulaincvurt über die Behandlung Preußens zu lebhaften Erörterungen.
Der Zar verhehlte nicht, daß er die französischen Bedingungen für unvereinbar
mit dem Geist und Buchstaben des Tilsiter Friedens erachte und die Rücksicht
auf Rußland vermisse, die Napoleon versprochen habe. Zu Schüler sagte er
kurz vor seiner Abreise nach Erfurt, wo er mit Napoleon zusammentreffen wollte:
„Ich werde mich bei der Zusammenkunft durchaus auf nichts einlassen, ehe nicht
Preußens Angelegenheiten nach Wunsch geordnet sind."

Am 18. September kam der Zar auf dieser Reise durch Königsberg, wo
er einige Tage am preußischen Hofe verweilte. Wie früher, so herrschte auch
jetzt nur eine Stimme über sein liebenswürdiges Wesen; für jeden der Waffen¬
gefährten aus dem Kriege von 1807 hatte er ein verbindliches Wort, und in
Gesellschaft der Damen zeigte er die alte Anmuth und Ritterlichkeit. Dagegen
machte er auch jetzt nicht den Eindruck der Entschlossenheit, und selbst die Gräfin
Voß, seine schwärmerische Verehrerin, klagte über seine Schwäche. Stein hatte
eine etwas günstigere Meinung, er hoffte, Alexander werde in Erfurt für den
Frieden sprechen und sich nicht in die Bundesgenossenschaft gegen Oesterreich
hineinziehen lassen.

Wenige Tage vor der Ankunft des Zaren war eine Erwiederung aus die
Freundschaftsversicheruugen eingetroffen, die Friedrich Wilhelm dem Wiener
Cabinet durch Hrubi hatte übermitteln lassen. Stadion nahm keinen Anstand,
dem Wunsche des Königs nach Aufklärung über die Stellung Oesterreichs zu
Frankreich zu entsprechen. Napoleon, so berichtete Hrubi dem Grafen Goltz Mitte
September, habe sich über die Verstärkung der österreichischen Armee beklagt,
und die Auseinandersetzungen, die darüber erfolgt wären, hätten in der letzten
Zeit einen sehr ernsten Charakter angenommen; man müsse nun abwarten, ob
es Metternich, der Befehl erhalten, nochmals auf den lediglich defensiven Cha¬
rakter der Heeresreform hinzuweisen, gelingen werde, die Mißstimmung in Paris


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/70>, abgerufen am 31.05.2024.