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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

durchgesetzt haben werde. Er gestattete, daß ihm ein Memoire vorgelegt wurde,
in welchem die Veränderungen des Vertrags vom 8. September angegeben waren,
die der König namentlich mit Rücksicht auf die Finanzen seines Staates für
nothwendig erachtete, und willigte darein, daß Stein ihm in Erfurt als kundiger
Rathgeber zur Seite gestellt werden sollte.

Als der Zar am 20. September abgereist war, traf in Königsberg die
Kunde von dem kurz vor der Unterzeichnung des zuletzt erwähnten Vertrages
vorgefallenen ein. Stein sah seinen Brief an Wittgenstein im Moniteur mit
einer kurze", aber in den schärfsten Ausdrücken gehaltenen Einleitung über die
"Denkart des preußischen Ministeriums" abgedruckt. Die Wirkung dieses Er¬
eignisses auf den Hof spiegelt sich in den Worten der Gräfin Voß wieder: "Dies
ist die letzte Staffel unsers Unglücks! Die Königin ist trostlos, der König wüthend
über dieses neue Mißgeschick." Stein bat sogleich um seine Entlassung, die
Friedrich Wilhelm jedoch mit dem Bemerken verweigerte, darüber könne erst nach
der Rückkehr des Kaisers Alexander beschlossen werden. An die Entsendung
Steins nach Erfurt war unter den gegenwärtigen Umständen nicht mehr zu
denken, die Mission wurde dem Grafen Goltz übertragen, der den Befehl erhielt,
zunächst nach Leipzig zu gehen und dort deu Bescheid des Zaren zu erwarten.
Noch vor seiner Abreise aber mußte man sich entscheiden, ob der König die von
seinem Bruder unterzeichnete Convention annehmen solle oder nicht. Bei den
Berathungen, die hierüber stattfanden, gingen die Meinungen auseinander. Einige
Stimmen waren für unbedingte Annahme, ja es scheint sogar noch einmal die
von Theodor von Schön 1807 vertretene Ansicht aufgewacht zu sein, daß es
für den Staat ersprießlicher sei, die Befreiung mit einer Gebietsabtretung in
Schlesien zu erkaufen, als sich den Bedingungen des Vertrages zu unterwerfen.
Denn gegen diesen Vorschlag wendet sich ein Gutachten Steins vom 21. Sep¬
tember, welches in dem Hasselschen Buche zum erstenmale veröffentlicht wird.
Es heißt darin: "Ich kann nie zu einer Cession von Provinzen rathen; die
Schwierigkeit der Wiederherstellung der Monarchie wird immer größer, und verliert
man Schlesien, so verliert man die Hälfte des Staats, zwei Millionen Menschen
und fünf und eine halbe Million Thaler Revenuen." Allerdings sei es schwer
zu bestimmen, welche Folgen die Verweigerung der Ratification haben würde,
allein wenn Alexander festhalte, sei die Hoffnung nicht aufzugeben, daß Napoleon
dessen Vorstellungen Gehör geben werde; sei dies nicht der Fall, dann bleibe
freilich nichts übrig als "zu unterschreiben und zu halten, was man könne."
Der Rath, deu Stein gab, war, die Convention vom 8. September in der Ge¬
stalt, wie sie vorlag, nicht anzunehmen, sondern unter Alexanders Beistand mildere
Bedingungen zu beantragen, und Friedrich Wilhelm war damit einverstanden.
Goltz sollte dem französischen Kaiser ein Handschreiben überbringen, in welchem
der König sagte, er halte es für unvereinbar mit den Gesetzen der Loyalität,
einen Vertrag zu sanetiouiren, von dessen Unerfüllbarkeit man im Voraus über-


Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

durchgesetzt haben werde. Er gestattete, daß ihm ein Memoire vorgelegt wurde,
in welchem die Veränderungen des Vertrags vom 8. September angegeben waren,
die der König namentlich mit Rücksicht auf die Finanzen seines Staates für
nothwendig erachtete, und willigte darein, daß Stein ihm in Erfurt als kundiger
Rathgeber zur Seite gestellt werden sollte.

Als der Zar am 20. September abgereist war, traf in Königsberg die
Kunde von dem kurz vor der Unterzeichnung des zuletzt erwähnten Vertrages
vorgefallenen ein. Stein sah seinen Brief an Wittgenstein im Moniteur mit
einer kurze», aber in den schärfsten Ausdrücken gehaltenen Einleitung über die
„Denkart des preußischen Ministeriums" abgedruckt. Die Wirkung dieses Er¬
eignisses auf den Hof spiegelt sich in den Worten der Gräfin Voß wieder: „Dies
ist die letzte Staffel unsers Unglücks! Die Königin ist trostlos, der König wüthend
über dieses neue Mißgeschick." Stein bat sogleich um seine Entlassung, die
Friedrich Wilhelm jedoch mit dem Bemerken verweigerte, darüber könne erst nach
der Rückkehr des Kaisers Alexander beschlossen werden. An die Entsendung
Steins nach Erfurt war unter den gegenwärtigen Umständen nicht mehr zu
denken, die Mission wurde dem Grafen Goltz übertragen, der den Befehl erhielt,
zunächst nach Leipzig zu gehen und dort deu Bescheid des Zaren zu erwarten.
Noch vor seiner Abreise aber mußte man sich entscheiden, ob der König die von
seinem Bruder unterzeichnete Convention annehmen solle oder nicht. Bei den
Berathungen, die hierüber stattfanden, gingen die Meinungen auseinander. Einige
Stimmen waren für unbedingte Annahme, ja es scheint sogar noch einmal die
von Theodor von Schön 1807 vertretene Ansicht aufgewacht zu sein, daß es
für den Staat ersprießlicher sei, die Befreiung mit einer Gebietsabtretung in
Schlesien zu erkaufen, als sich den Bedingungen des Vertrages zu unterwerfen.
Denn gegen diesen Vorschlag wendet sich ein Gutachten Steins vom 21. Sep¬
tember, welches in dem Hasselschen Buche zum erstenmale veröffentlicht wird.
Es heißt darin: „Ich kann nie zu einer Cession von Provinzen rathen; die
Schwierigkeit der Wiederherstellung der Monarchie wird immer größer, und verliert
man Schlesien, so verliert man die Hälfte des Staats, zwei Millionen Menschen
und fünf und eine halbe Million Thaler Revenuen." Allerdings sei es schwer
zu bestimmen, welche Folgen die Verweigerung der Ratification haben würde,
allein wenn Alexander festhalte, sei die Hoffnung nicht aufzugeben, daß Napoleon
dessen Vorstellungen Gehör geben werde; sei dies nicht der Fall, dann bleibe
freilich nichts übrig als „zu unterschreiben und zu halten, was man könne."
Der Rath, deu Stein gab, war, die Convention vom 8. September in der Ge¬
stalt, wie sie vorlag, nicht anzunehmen, sondern unter Alexanders Beistand mildere
Bedingungen zu beantragen, und Friedrich Wilhelm war damit einverstanden.
Goltz sollte dem französischen Kaiser ein Handschreiben überbringen, in welchem
der König sagte, er halte es für unvereinbar mit den Gesetzen der Loyalität,
einen Vertrag zu sanetiouiren, von dessen Unerfüllbarkeit man im Voraus über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/72>, abgerufen am 09.06.2024.