Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus Zeit nach dem Tilsitor Fricdv".

zeugt sei; er habe seinen Minister beauftragt, dem Kaiser die unumgängliche!?
Modificationen zu bezeichne". Eine Andeutung darüber, daß Goltz mit der
Weisung versehe" worden, für den Fall eines Mißlingens der russischen Ver¬
mittelung ohne Rückfrage beim Könige die Ratification zuzusagen, findet sich bei
den Acten nicht; die Instruction, die ihm mündlich ertheilt wurde, beschränkte
sich auf die Weisung, die Vollziehung der Unterschrift nur dann anzukündigen,
wenn die Bemühungen Alexanders Erfolg gehabt hätten.

Dies war der Standpunkt der preußischen Politik an jenem verhängniß-
bollen 21. September. Aber schon nach wenigen Tagen trat eine Veränderung
ein. Am 14. hatte Prinz Wilhelm in Se. Cloud sich bei Napoleon verabschiedet
und bei dieser Gelegenheit gefragt, ob er die Gewißheit mit sich nehmen dürfe,
daß nach der Unterzeichnung der Convention der Kaiser Preußen nicht mehr mi߬
trauen werde. Napoleon war darauf uoch einmal auf das Steinsche Schreiben
an Wittgenstein gekommen und hatte sich über die feindseligen Absichten beklagt,
die sich in der nächsten Umgebung des Königs kundgegeben hätten, im übrigen
sich aber versöhnlich geäußert: "Ich achte den König," hatte er bemerkt, "und
habe volles Vertrauen zu ihn, -- sagen Sie ihm das. Die glückliche Zukunft
seines Königreichs ruht in seinen Händen und wird von seinen eignen Entschlüssen
abhängen. Will er mein wahrer und aufrichtiger Freund sein, so werde ich stets
der seinige sein, aber dann darf much nichts ihn davon abwendig machen. Möge
^' hierin dem Kaiser Alexander nacheifern, der trotz der Kabalen seines Cabinets
und seines Hofes treu mit mir verbunden bleibt. Sorgen Sie nur dafür, daß
alle falschen Berechnungen, alle Intriguen bei Ihnen ein Ende nehmen." Auch
in Betreff der Abzahlung der Kriegsschuld gab Napoleon dem Prinzen einige
Hoffnung. Man möge, sagte er, nur guten Willen zeigen, dann werde er der
preußischen Regierung zwei, auch drei Jahre Zeit lassen, ohne sie zu drängen.
Ja er begnügte sich nicht mit dieser mündlichen Erklärung, sondern sprach dem
Könige und der Königin noch an demselben Tage schriftlich den Wunsch nach
Wiederherstellung des frühern freundschaftlichen Verhältnisses mit Preußen aus.
Deu König ersuchte er, die schmerzlichen Erlebnisse der letzten Zeit zu vergessen,
und der Königin sprach er seine Freude darüber aus, daß der Erfüllung ihres
Wunsches, nach Berlin zurückzukehren, nun nichts mehr im Wege stehe.

Prinz Wilhelm sah hierin günstige Vorzeichen für die schließliche Auseinander¬
setzung mit Frankreich. Er rieth daher seinem Bruder, sich aller Hintergedanken
^u entschlagen und die Unterschrift des Vertrags vom 8. September nicht zu
beanstanden. Zunächst müsse Napoleon sehen, daß Preußen es ehrlich meine,
dann werde er den Vorstellungen Alexanders in Erfurt umso leichter Gehör
"eben. Von der Richtigkeit dieser Anschauung durchdrungen, hinterließ der Prinz
bei seiner Abreise aus Paris dem Bnrvn von Vrvckhauscn den Auftrag, falls ihm
^iun unvollständige, an bestimmte Clauseln gebundnc Ratification zugehen sollte,
von derselben keinen Gebrauch zu machen, sondern neue Weisungen abzuwarten.


Aus Zeit nach dem Tilsitor Fricdv».

zeugt sei; er habe seinen Minister beauftragt, dem Kaiser die unumgängliche!?
Modificationen zu bezeichne». Eine Andeutung darüber, daß Goltz mit der
Weisung versehe» worden, für den Fall eines Mißlingens der russischen Ver¬
mittelung ohne Rückfrage beim Könige die Ratification zuzusagen, findet sich bei
den Acten nicht; die Instruction, die ihm mündlich ertheilt wurde, beschränkte
sich auf die Weisung, die Vollziehung der Unterschrift nur dann anzukündigen,
wenn die Bemühungen Alexanders Erfolg gehabt hätten.

Dies war der Standpunkt der preußischen Politik an jenem verhängniß-
bollen 21. September. Aber schon nach wenigen Tagen trat eine Veränderung
ein. Am 14. hatte Prinz Wilhelm in Se. Cloud sich bei Napoleon verabschiedet
und bei dieser Gelegenheit gefragt, ob er die Gewißheit mit sich nehmen dürfe,
daß nach der Unterzeichnung der Convention der Kaiser Preußen nicht mehr mi߬
trauen werde. Napoleon war darauf uoch einmal auf das Steinsche Schreiben
an Wittgenstein gekommen und hatte sich über die feindseligen Absichten beklagt,
die sich in der nächsten Umgebung des Königs kundgegeben hätten, im übrigen
sich aber versöhnlich geäußert: „Ich achte den König," hatte er bemerkt, „und
habe volles Vertrauen zu ihn, — sagen Sie ihm das. Die glückliche Zukunft
seines Königreichs ruht in seinen Händen und wird von seinen eignen Entschlüssen
abhängen. Will er mein wahrer und aufrichtiger Freund sein, so werde ich stets
der seinige sein, aber dann darf much nichts ihn davon abwendig machen. Möge
^' hierin dem Kaiser Alexander nacheifern, der trotz der Kabalen seines Cabinets
und seines Hofes treu mit mir verbunden bleibt. Sorgen Sie nur dafür, daß
alle falschen Berechnungen, alle Intriguen bei Ihnen ein Ende nehmen." Auch
in Betreff der Abzahlung der Kriegsschuld gab Napoleon dem Prinzen einige
Hoffnung. Man möge, sagte er, nur guten Willen zeigen, dann werde er der
preußischen Regierung zwei, auch drei Jahre Zeit lassen, ohne sie zu drängen.
Ja er begnügte sich nicht mit dieser mündlichen Erklärung, sondern sprach dem
Könige und der Königin noch an demselben Tage schriftlich den Wunsch nach
Wiederherstellung des frühern freundschaftlichen Verhältnisses mit Preußen aus.
Deu König ersuchte er, die schmerzlichen Erlebnisse der letzten Zeit zu vergessen,
und der Königin sprach er seine Freude darüber aus, daß der Erfüllung ihres
Wunsches, nach Berlin zurückzukehren, nun nichts mehr im Wege stehe.

Prinz Wilhelm sah hierin günstige Vorzeichen für die schließliche Auseinander¬
setzung mit Frankreich. Er rieth daher seinem Bruder, sich aller Hintergedanken
^u entschlagen und die Unterschrift des Vertrags vom 8. September nicht zu
beanstanden. Zunächst müsse Napoleon sehen, daß Preußen es ehrlich meine,
dann werde er den Vorstellungen Alexanders in Erfurt umso leichter Gehör
»eben. Von der Richtigkeit dieser Anschauung durchdrungen, hinterließ der Prinz
bei seiner Abreise aus Paris dem Bnrvn von Vrvckhauscn den Auftrag, falls ihm
^iun unvollständige, an bestimmte Clauseln gebundnc Ratification zugehen sollte,
von derselben keinen Gebrauch zu machen, sondern neue Weisungen abzuwarten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150795"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus   Zeit nach dem Tilsitor Fricdv».</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_193" prev="#ID_192"> zeugt sei; er habe seinen Minister beauftragt, dem Kaiser die unumgängliche!?<lb/>
Modificationen zu bezeichne». Eine Andeutung darüber, daß Goltz mit der<lb/>
Weisung versehe» worden, für den Fall eines Mißlingens der russischen Ver¬<lb/>
mittelung ohne Rückfrage beim Könige die Ratification zuzusagen, findet sich bei<lb/>
den Acten nicht; die Instruction, die ihm mündlich ertheilt wurde, beschränkte<lb/>
sich auf die Weisung, die Vollziehung der Unterschrift nur dann anzukündigen,<lb/>
wenn die Bemühungen Alexanders Erfolg gehabt hätten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_194"> Dies war der Standpunkt der preußischen Politik an jenem verhängniß-<lb/>
bollen 21. September. Aber schon nach wenigen Tagen trat eine Veränderung<lb/>
ein. Am 14. hatte Prinz Wilhelm in Se. Cloud sich bei Napoleon verabschiedet<lb/>
und bei dieser Gelegenheit gefragt, ob er die Gewißheit mit sich nehmen dürfe,<lb/>
daß nach der Unterzeichnung der Convention der Kaiser Preußen nicht mehr mi߬<lb/>
trauen werde. Napoleon war darauf uoch einmal auf das Steinsche Schreiben<lb/>
an Wittgenstein gekommen und hatte sich über die feindseligen Absichten beklagt,<lb/>
die sich in der nächsten Umgebung des Königs kundgegeben hätten, im übrigen<lb/>
sich aber versöhnlich geäußert: &#x201E;Ich achte den König," hatte er bemerkt, &#x201E;und<lb/>
habe volles Vertrauen zu ihn, &#x2014; sagen Sie ihm das. Die glückliche Zukunft<lb/>
seines Königreichs ruht in seinen Händen und wird von seinen eignen Entschlüssen<lb/>
abhängen. Will er mein wahrer und aufrichtiger Freund sein, so werde ich stets<lb/>
der seinige sein, aber dann darf much nichts ihn davon abwendig machen. Möge<lb/>
^' hierin dem Kaiser Alexander nacheifern, der trotz der Kabalen seines Cabinets<lb/>
und seines Hofes treu mit mir verbunden bleibt. Sorgen Sie nur dafür, daß<lb/>
alle falschen Berechnungen, alle Intriguen bei Ihnen ein Ende nehmen." Auch<lb/>
in Betreff der Abzahlung der Kriegsschuld gab Napoleon dem Prinzen einige<lb/>
Hoffnung. Man möge, sagte er, nur guten Willen zeigen, dann werde er der<lb/>
preußischen Regierung zwei, auch drei Jahre Zeit lassen, ohne sie zu drängen.<lb/>
Ja er begnügte sich nicht mit dieser mündlichen Erklärung, sondern sprach dem<lb/>
Könige und der Königin noch an demselben Tage schriftlich den Wunsch nach<lb/>
Wiederherstellung des frühern freundschaftlichen Verhältnisses mit Preußen aus.<lb/>
Deu König ersuchte er, die schmerzlichen Erlebnisse der letzten Zeit zu vergessen,<lb/>
und der Königin sprach er seine Freude darüber aus, daß der Erfüllung ihres<lb/>
Wunsches, nach Berlin zurückzukehren, nun nichts mehr im Wege stehe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_195"> Prinz Wilhelm sah hierin günstige Vorzeichen für die schließliche Auseinander¬<lb/>
setzung mit Frankreich. Er rieth daher seinem Bruder, sich aller Hintergedanken<lb/>
^u entschlagen und die Unterschrift des Vertrags vom 8. September nicht zu<lb/>
beanstanden. Zunächst müsse Napoleon sehen, daß Preußen es ehrlich meine,<lb/>
dann werde er den Vorstellungen Alexanders in Erfurt umso leichter Gehör<lb/>
»eben. Von der Richtigkeit dieser Anschauung durchdrungen, hinterließ der Prinz<lb/>
bei seiner Abreise aus Paris dem Bnrvn von Vrvckhauscn den Auftrag, falls ihm<lb/>
^iun unvollständige, an bestimmte Clauseln gebundnc Ratification zugehen sollte,<lb/>
von derselben keinen Gebrauch zu machen, sondern neue Weisungen abzuwarten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0073] Aus Zeit nach dem Tilsitor Fricdv». zeugt sei; er habe seinen Minister beauftragt, dem Kaiser die unumgängliche!? Modificationen zu bezeichne». Eine Andeutung darüber, daß Goltz mit der Weisung versehe» worden, für den Fall eines Mißlingens der russischen Ver¬ mittelung ohne Rückfrage beim Könige die Ratification zuzusagen, findet sich bei den Acten nicht; die Instruction, die ihm mündlich ertheilt wurde, beschränkte sich auf die Weisung, die Vollziehung der Unterschrift nur dann anzukündigen, wenn die Bemühungen Alexanders Erfolg gehabt hätten. Dies war der Standpunkt der preußischen Politik an jenem verhängniß- bollen 21. September. Aber schon nach wenigen Tagen trat eine Veränderung ein. Am 14. hatte Prinz Wilhelm in Se. Cloud sich bei Napoleon verabschiedet und bei dieser Gelegenheit gefragt, ob er die Gewißheit mit sich nehmen dürfe, daß nach der Unterzeichnung der Convention der Kaiser Preußen nicht mehr mi߬ trauen werde. Napoleon war darauf uoch einmal auf das Steinsche Schreiben an Wittgenstein gekommen und hatte sich über die feindseligen Absichten beklagt, die sich in der nächsten Umgebung des Königs kundgegeben hätten, im übrigen sich aber versöhnlich geäußert: „Ich achte den König," hatte er bemerkt, „und habe volles Vertrauen zu ihn, — sagen Sie ihm das. Die glückliche Zukunft seines Königreichs ruht in seinen Händen und wird von seinen eignen Entschlüssen abhängen. Will er mein wahrer und aufrichtiger Freund sein, so werde ich stets der seinige sein, aber dann darf much nichts ihn davon abwendig machen. Möge ^' hierin dem Kaiser Alexander nacheifern, der trotz der Kabalen seines Cabinets und seines Hofes treu mit mir verbunden bleibt. Sorgen Sie nur dafür, daß alle falschen Berechnungen, alle Intriguen bei Ihnen ein Ende nehmen." Auch in Betreff der Abzahlung der Kriegsschuld gab Napoleon dem Prinzen einige Hoffnung. Man möge, sagte er, nur guten Willen zeigen, dann werde er der preußischen Regierung zwei, auch drei Jahre Zeit lassen, ohne sie zu drängen. Ja er begnügte sich nicht mit dieser mündlichen Erklärung, sondern sprach dem Könige und der Königin noch an demselben Tage schriftlich den Wunsch nach Wiederherstellung des frühern freundschaftlichen Verhältnisses mit Preußen aus. Deu König ersuchte er, die schmerzlichen Erlebnisse der letzten Zeit zu vergessen, und der Königin sprach er seine Freude darüber aus, daß der Erfüllung ihres Wunsches, nach Berlin zurückzukehren, nun nichts mehr im Wege stehe. Prinz Wilhelm sah hierin günstige Vorzeichen für die schließliche Auseinander¬ setzung mit Frankreich. Er rieth daher seinem Bruder, sich aller Hintergedanken ^u entschlagen und die Unterschrift des Vertrags vom 8. September nicht zu beanstanden. Zunächst müsse Napoleon sehen, daß Preußen es ehrlich meine, dann werde er den Vorstellungen Alexanders in Erfurt umso leichter Gehör »eben. Von der Richtigkeit dieser Anschauung durchdrungen, hinterließ der Prinz bei seiner Abreise aus Paris dem Bnrvn von Vrvckhauscn den Auftrag, falls ihm ^iun unvollständige, an bestimmte Clauseln gebundnc Ratification zugehen sollte, von derselben keinen Gebrauch zu machen, sondern neue Weisungen abzuwarten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/73
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/73>, abgerufen am 31.05.2024.