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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden.

Die nächste Entscheidung Friedrich Wilhelms nach Empfang dieser Nach¬
richten (28. September) entsprach dem Vorschlage seines Bruders nicht ganz.
Am 29. wurde eine Ordre an Goltz aufgesetzt, in welcher es hieß, der König
werde das Schreiben Napoleons erwiedern und diese Gelegenheit benutzen, um
unter Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Erfüllung der Convention Ermäßigung
der Bedingungen derselben zu beantrage". Das Schreiben an Napoleon wurde
ebenfalls entworfen. ES schilderte die erlittenen Drangsale, bat um endliche Be¬
freiung der dem Lande auferlegten Lasten und stellte für mildere Behandlung
in etwas rhetorischer Sprache die unauslöschliche Dankbarkeit des königliche"
Hauses und des preußischen Volkes in Aussicht. Höchst bezeichnend ist, daß
Goltz angewiesen wurde, von dem Briefe keinen Gebrauch zu machen, falls Aus¬
sicht auf Bewilligung der gewünschten Modification vorhanden sei. Entgegen¬
gesetzten Falles sollte er den Text des Schreibens Alexander mittheile" und erst,
wenn dieser damit einverstanden wäre, es übergeben.

Die Ordre für Goltz lag schon zur Unterschrift bereit, als der König sich i"
letzter Stunde anders entschloß, die Ratifikation vollzog "ut dieselbe nebst dem
Briefe an Napoleon dem Grafen Goltz zusende" ließ. Dabei war es natürlich
der Wille Friedrich Wilhelms, daß sein Minister alles aufbieten solle, um im
Verein mit dem Zaren Napoleon zur Nachgiebigkeit zu bewege". Die Voll¬
ziehungsurkunde wurde so eingerichtet, daß die erstrebten Veränderungen der
streitigen Artikel nachträglich in den Text eingeschaltet werden konnten. Aber von
einem Vorbehalt war nicht mehr die Rede, die Ratification erstreckte sich auch
auf den Fall, daß der Kaiser von seinen Forderungen nichts nachließ.

Der Verfasser unsres Buches fragt: "Hatte nun Friedrich Wilhelm wirklich
die Absicht, mit seiner Politik ganz in die Bahnen Frankreichs einzulenken, jeder
andern Combination sich zu entschlagen?" Die Korrespondenz Götzens, auf die
wir nun mit ihm zurückkommen, läßt daran zweifeln.

Wir haben oben gesehen, daß Götzen nach seiner Uebernahme des Com-
mandos über die oberschlesischen Festungen den Major Luc'ep nach Wien
schickte, um zu recognosciren. Dieser war ein gewandter und hochgebildeter
Offizier, der aber "geneigt war, auf eigne Hand Politik zu treiben." Die Wahr¬
nehmungen, die er machte, überzeugten ihn, daß man in den Kreise", in die ihn
Götzens Empfehlungen eingeführt hatten, lebhaft baldigen Krieg mit Frankreich
wünschte. Man erging sich sogar schon in Gesprächen über das Für und Wider
der strategischen Operationen gegen die in Deutschland verblichnen französischen
Truppen. Lueeh betheiligte sich an diesen Discussionen, er empfahl den Oester-
reichern einen doppelten Angriff, von der Oder und von der Weichsel her, weil
sich dann die Truppen seines Königs gleich anfangs mit den Kaiserlichen ver¬
einigen könnten, die Stimmung in Preußen schilderte er äußerst kriegerisch, kurz,
sein ganzes Auftreten ließ schließen, daß Götzen ihn nicht bloß geschickt, um Er¬
kundigungen einzuziehen, sondern daß er auch Auftrag habe, den militärischen


Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden.

Die nächste Entscheidung Friedrich Wilhelms nach Empfang dieser Nach¬
richten (28. September) entsprach dem Vorschlage seines Bruders nicht ganz.
Am 29. wurde eine Ordre an Goltz aufgesetzt, in welcher es hieß, der König
werde das Schreiben Napoleons erwiedern und diese Gelegenheit benutzen, um
unter Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Erfüllung der Convention Ermäßigung
der Bedingungen derselben zu beantrage». Das Schreiben an Napoleon wurde
ebenfalls entworfen. ES schilderte die erlittenen Drangsale, bat um endliche Be¬
freiung der dem Lande auferlegten Lasten und stellte für mildere Behandlung
in etwas rhetorischer Sprache die unauslöschliche Dankbarkeit des königliche»
Hauses und des preußischen Volkes in Aussicht. Höchst bezeichnend ist, daß
Goltz angewiesen wurde, von dem Briefe keinen Gebrauch zu machen, falls Aus¬
sicht auf Bewilligung der gewünschten Modification vorhanden sei. Entgegen¬
gesetzten Falles sollte er den Text des Schreibens Alexander mittheile» und erst,
wenn dieser damit einverstanden wäre, es übergeben.

Die Ordre für Goltz lag schon zur Unterschrift bereit, als der König sich i»
letzter Stunde anders entschloß, die Ratifikation vollzog »ut dieselbe nebst dem
Briefe an Napoleon dem Grafen Goltz zusende» ließ. Dabei war es natürlich
der Wille Friedrich Wilhelms, daß sein Minister alles aufbieten solle, um im
Verein mit dem Zaren Napoleon zur Nachgiebigkeit zu bewege». Die Voll¬
ziehungsurkunde wurde so eingerichtet, daß die erstrebten Veränderungen der
streitigen Artikel nachträglich in den Text eingeschaltet werden konnten. Aber von
einem Vorbehalt war nicht mehr die Rede, die Ratification erstreckte sich auch
auf den Fall, daß der Kaiser von seinen Forderungen nichts nachließ.

Der Verfasser unsres Buches fragt: „Hatte nun Friedrich Wilhelm wirklich
die Absicht, mit seiner Politik ganz in die Bahnen Frankreichs einzulenken, jeder
andern Combination sich zu entschlagen?" Die Korrespondenz Götzens, auf die
wir nun mit ihm zurückkommen, läßt daran zweifeln.

Wir haben oben gesehen, daß Götzen nach seiner Uebernahme des Com-
mandos über die oberschlesischen Festungen den Major Luc'ep nach Wien
schickte, um zu recognosciren. Dieser war ein gewandter und hochgebildeter
Offizier, der aber „geneigt war, auf eigne Hand Politik zu treiben." Die Wahr¬
nehmungen, die er machte, überzeugten ihn, daß man in den Kreise», in die ihn
Götzens Empfehlungen eingeführt hatten, lebhaft baldigen Krieg mit Frankreich
wünschte. Man erging sich sogar schon in Gesprächen über das Für und Wider
der strategischen Operationen gegen die in Deutschland verblichnen französischen
Truppen. Lueeh betheiligte sich an diesen Discussionen, er empfahl den Oester-
reichern einen doppelten Angriff, von der Oder und von der Weichsel her, weil
sich dann die Truppen seines Königs gleich anfangs mit den Kaiserlichen ver¬
einigen könnten, die Stimmung in Preußen schilderte er äußerst kriegerisch, kurz,
sein ganzes Auftreten ließ schließen, daß Götzen ihn nicht bloß geschickt, um Er¬
kundigungen einzuziehen, sondern daß er auch Auftrag habe, den militärischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/74>, abgerufen am 08.06.2024.