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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

Unter den unmittelbaren Schülern Liszts sind zwei dem Geist ihres
Meisters in ihren eignen Klavierkompositionen am meisten getren geblieben:
Hans von Bülow und Carl Tausig, beide unter den Pianisten des neun¬
zehnten Jahrhunderts Größen ersten Ranges. Die bedeutendste von Bülows
Klavierkompositionen ist seine "Ballade," ein schwermütig grüblerischer Phcmtasie-
erguß, dem heimlich das vielverarbeitete Motto ?<zr g,8xvra, ack a.8er", zu Gründe
zu liegen scheint. Aus ihr spricht ein höherer und kräftiger Geist. Die Mehrzahl
bon Bülows Klavierkompositionen entbehrt der individuellen Physiognomie. Zum
Teil hängen sie stark um Schumannschen Schößen, wie der Valso as 1'InMnu
(op. 18), der wie eine endlose Umschreibung eines Davidsbüudlertanzes erscheint
-- "Eusebius zuckt es um die Lippen" --, zum audern Teile stehen sie aus
einer überraschend harmlosen Kunststufe, von der sich der Autor nur vorüber¬
gehend flüchtig erhebt, um eiuen feineren Musiker und eine kräftigere Natur sehen
zu lassen. In die letztere Kategorie schlüge eine der umfangreichsten von Bülows
Klavierkompositionen: der (ÜArnevAltt all NilMv (viz. L1), eine lose Sammlung
vou Polkas, Maznrken, Tarantellen, Walzern, die alle, wenn auch nicht eigen¬
tümlich, so doch lebendig gehalten sind. Interessant durch die echt italienische
Färbung sind die eingestreuten Intermezzi.

Tausig hatte von der Natur für deu Kvmpvuistcnberus eine nicht zu ver¬
achtende Portion vou Befühiguug erhalten, die aber entweder gar nicht oder
nicht zur rechten Zeit zur Ausbildung gelaugte. Seine Klavierstücke zeigen ein
ungewöhnliches Talent, Themen von Charakter und faßbarer Stimmung zu er¬
finden; eins der schönsten, eigen und einfach, eröffnet seine große "Phantasie."
Aus glücklichen Anfängen aber ebensogut weiterzukommen, hat er uicht erreicht.
Das abgerundetste und erfreulichste, was von ihm vorliegt, sino die Uouv"1l"z8
8are-v8 cis Vienirv, in deuen hübsche Straußsche Walzer vou allem möglichen
Schabernack einer ausgelassenen Phantasie verfolgt werden.

Der Lisztschen Richtung gehören der Form nach zum Teil die Klavierkom-
pvsitioueu vou Haus von Bronsnrt an. Ganz in dem Stile der "sympho¬
nischen Dichtung" ist z. B. die "Melusine" gehalten. In manchen seiner
Klaviersachen tritt aber Bronsart selbständig auf und zeigt sich da als eine
durch männliches Pathos ausgezeichnete Natur. In seinen "Nachklängen aus
der Jugendzeit" stehen unter den Titeln "Elegie" und "Vision" zwei in dieser
Hinsicht hochbedeutende Nummern. Theodor Ratzenberger, ein andrer Schüler
liszts, der viel für Klavier komponirt hat, bleibt in der Regel im gewöhn¬
lichen Geleise und relnpitnlirt Reminiscenzen. Zuweilen aber, wenn ihn der
Geist des Virtuosen überkommt, spielt er sich über hausbackene Einfülle in
Schwung. Über etliche Lisztsche Schüler, die als Virtuosen Ansehen genießen,
kann man sich nicht genug wundern, wie schlecht sie komponiren, selbst über
L- Brassin. Das Stümperhafteste hat R. Josefy mit einem "Abendlied"
geleistet.


Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

Unter den unmittelbaren Schülern Liszts sind zwei dem Geist ihres
Meisters in ihren eignen Klavierkompositionen am meisten getren geblieben:
Hans von Bülow und Carl Tausig, beide unter den Pianisten des neun¬
zehnten Jahrhunderts Größen ersten Ranges. Die bedeutendste von Bülows
Klavierkompositionen ist seine „Ballade," ein schwermütig grüblerischer Phcmtasie-
erguß, dem heimlich das vielverarbeitete Motto ?<zr g,8xvra, ack a.8er», zu Gründe
zu liegen scheint. Aus ihr spricht ein höherer und kräftiger Geist. Die Mehrzahl
bon Bülows Klavierkompositionen entbehrt der individuellen Physiognomie. Zum
Teil hängen sie stark um Schumannschen Schößen, wie der Valso as 1'InMnu
(op. 18), der wie eine endlose Umschreibung eines Davidsbüudlertanzes erscheint
— „Eusebius zuckt es um die Lippen" —, zum audern Teile stehen sie aus
einer überraschend harmlosen Kunststufe, von der sich der Autor nur vorüber¬
gehend flüchtig erhebt, um eiuen feineren Musiker und eine kräftigere Natur sehen
zu lassen. In die letztere Kategorie schlüge eine der umfangreichsten von Bülows
Klavierkompositionen: der (ÜArnevAltt all NilMv (viz. L1), eine lose Sammlung
vou Polkas, Maznrken, Tarantellen, Walzern, die alle, wenn auch nicht eigen¬
tümlich, so doch lebendig gehalten sind. Interessant durch die echt italienische
Färbung sind die eingestreuten Intermezzi.

Tausig hatte von der Natur für deu Kvmpvuistcnberus eine nicht zu ver¬
achtende Portion vou Befühiguug erhalten, die aber entweder gar nicht oder
nicht zur rechten Zeit zur Ausbildung gelaugte. Seine Klavierstücke zeigen ein
ungewöhnliches Talent, Themen von Charakter und faßbarer Stimmung zu er¬
finden; eins der schönsten, eigen und einfach, eröffnet seine große „Phantasie."
Aus glücklichen Anfängen aber ebensogut weiterzukommen, hat er uicht erreicht.
Das abgerundetste und erfreulichste, was von ihm vorliegt, sino die Uouv«1l«z8
8are-v8 cis Vienirv, in deuen hübsche Straußsche Walzer vou allem möglichen
Schabernack einer ausgelassenen Phantasie verfolgt werden.

Der Lisztschen Richtung gehören der Form nach zum Teil die Klavierkom-
pvsitioueu vou Haus von Bronsnrt an. Ganz in dem Stile der „sympho¬
nischen Dichtung" ist z. B. die „Melusine" gehalten. In manchen seiner
Klaviersachen tritt aber Bronsart selbständig auf und zeigt sich da als eine
durch männliches Pathos ausgezeichnete Natur. In seinen „Nachklängen aus
der Jugendzeit" stehen unter den Titeln „Elegie" und „Vision" zwei in dieser
Hinsicht hochbedeutende Nummern. Theodor Ratzenberger, ein andrer Schüler
liszts, der viel für Klavier komponirt hat, bleibt in der Regel im gewöhn¬
lichen Geleise und relnpitnlirt Reminiscenzen. Zuweilen aber, wenn ihn der
Geist des Virtuosen überkommt, spielt er sich über hausbackene Einfülle in
Schwung. Über etliche Lisztsche Schüler, die als Virtuosen Ansehen genießen,
kann man sich nicht genug wundern, wie schlecht sie komponiren, selbst über
L- Brassin. Das Stümperhafteste hat R. Josefy mit einem „Abendlied"
geleistet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/137>, abgerufen am 17.06.2024.