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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Ehe wir uns der Schlnßgruppe, den bedeutendsten Klavierkomponisten des
letzten Jahrzehnts, zuwenden, ist noch einer Reihe von Männern zu gedenken,
die ans dem Gebiete der Klavierkvmposition eigentlich mir Gastrollen gegeben
haben. Es sind unter ihnen etliche unsrer berufensten Tonsetzer, Männer, die
in andern Gattungen der Komposition ihren Ruf begründet haben und als
spezielle Klavierkompvnisten weniger beachtet werden, obwohl sie das in hohem
Grade verdienen.

In erster Linie sind hier Kiel und Rheiuberger zu nennen. Kiel, auf
dem Gebiete der Emsemblemusik für Klavier bekannt und von allen gediegnen
Musikfreunden gern ausgesucht, hat auch für das Klaviersvlo eine Reihe von
Kompositionen geschrieben, die ihn als eine originelle, abgeschlossene Natur zeigen.
Wir verehren ihn als Verfasser einer "Tarantella" (op. 27), die sich dnrch die
großen Schritte auszeichnet, mit welchen hier der Salon durcheilt wird, und
als Komponisten eines Notturno, das so knapp geschrieben ist, wie es nur die
gute Sitte irgend erlaubt. Höchst interessant sind unter Kiels Klavierkompo¬
sitionen die Hefte op. 28 und 36. Jenes bringt eine Suite, deren erste
Nummer eine einsätzige Sonate bildet. Sie ist als ein Beitrag zur Entwicklung
neuer Formeu sehr merkwürdig und auf ihren musikalischen Inhalt augesehen
ein sehr reiches, lebendiges Stück. Das Scherzvso waltet vor und ist mit Beet-
hvvenscher Frische und Geradheit ausgedrückt. In op. 36 erblicken wir einen
der erfreulichsten Beweise, daß Bachs Wesen und Art wieder in die neue Klavier¬
musik einziehen wird. Es sind drei Giguen, gesunde Nachkommen einer vor
Alters hochbeliebten Tonfamilie, von der wir nnr wünschen können, daß sie in der
gegenwärtigen Klavierkompositivn wieder anstehe. Es giebt keine bessere Abwehr
gegen melancholische und sentimentale Strömungen, als wie sie das frische Ge¬
schlecht der Giguen bietet, und für launiges Gezänk, anmutige Neckerei eignet
sich keine Form besser als dieser fugirte Sechsachteltakt. Wenn die Giguen
wieder anfkümeu, so hätte es auch noch das Gute, daß diejenigen, die welche
schreiben wollten, doch etliches Solide zuvor lernen müßten.

Zu dein Kapitel "Geographische Klaviermusik" hat Kiel in seinem on- 33
einen der freundlichsten Beiträge geliefert. Das Heft heißt "Reiseerinnerungen"
und führt uns zunächst nach Venedig, wo wir Ruderente und die Terzen des
Stanzengesanges zu hören bekommen. Von da geht es an den Comer-See,
wo wieder der Kahn ruhig dahintreibt. Im glatten Gleiten kommt dem Kom¬
ponisten eine wunderschön träumerische Melodie vou höchster Einfachheit. Die
Reise schließt in Brienz bei Jodlerklang und Alpentanz; der Maestro jauchzt
mit drein.

Rheinbergers Klavierkompositiouen finden sich zuweilen auf deu Konzert¬
zetteln und sind durchschnittlich bekannter als die von Kiel, im ganzen aber
auch nicht so sehr, wie sie verdienen. Möchten seine Erfolge so sein, daß sie
den Komponisten veranlaßten, dieses Feld mehr zu kultiviren. Es wachsen nun


Ehe wir uns der Schlnßgruppe, den bedeutendsten Klavierkomponisten des
letzten Jahrzehnts, zuwenden, ist noch einer Reihe von Männern zu gedenken,
die ans dem Gebiete der Klavierkvmposition eigentlich mir Gastrollen gegeben
haben. Es sind unter ihnen etliche unsrer berufensten Tonsetzer, Männer, die
in andern Gattungen der Komposition ihren Ruf begründet haben und als
spezielle Klavierkompvnisten weniger beachtet werden, obwohl sie das in hohem
Grade verdienen.

In erster Linie sind hier Kiel und Rheiuberger zu nennen. Kiel, auf
dem Gebiete der Emsemblemusik für Klavier bekannt und von allen gediegnen
Musikfreunden gern ausgesucht, hat auch für das Klaviersvlo eine Reihe von
Kompositionen geschrieben, die ihn als eine originelle, abgeschlossene Natur zeigen.
Wir verehren ihn als Verfasser einer „Tarantella" (op. 27), die sich dnrch die
großen Schritte auszeichnet, mit welchen hier der Salon durcheilt wird, und
als Komponisten eines Notturno, das so knapp geschrieben ist, wie es nur die
gute Sitte irgend erlaubt. Höchst interessant sind unter Kiels Klavierkompo¬
sitionen die Hefte op. 28 und 36. Jenes bringt eine Suite, deren erste
Nummer eine einsätzige Sonate bildet. Sie ist als ein Beitrag zur Entwicklung
neuer Formeu sehr merkwürdig und auf ihren musikalischen Inhalt augesehen
ein sehr reiches, lebendiges Stück. Das Scherzvso waltet vor und ist mit Beet-
hvvenscher Frische und Geradheit ausgedrückt. In op. 36 erblicken wir einen
der erfreulichsten Beweise, daß Bachs Wesen und Art wieder in die neue Klavier¬
musik einziehen wird. Es sind drei Giguen, gesunde Nachkommen einer vor
Alters hochbeliebten Tonfamilie, von der wir nnr wünschen können, daß sie in der
gegenwärtigen Klavierkompositivn wieder anstehe. Es giebt keine bessere Abwehr
gegen melancholische und sentimentale Strömungen, als wie sie das frische Ge¬
schlecht der Giguen bietet, und für launiges Gezänk, anmutige Neckerei eignet
sich keine Form besser als dieser fugirte Sechsachteltakt. Wenn die Giguen
wieder anfkümeu, so hätte es auch noch das Gute, daß diejenigen, die welche
schreiben wollten, doch etliches Solide zuvor lernen müßten.

Zu dein Kapitel „Geographische Klaviermusik" hat Kiel in seinem on- 33
einen der freundlichsten Beiträge geliefert. Das Heft heißt „Reiseerinnerungen"
und führt uns zunächst nach Venedig, wo wir Ruderente und die Terzen des
Stanzengesanges zu hören bekommen. Von da geht es an den Comer-See,
wo wieder der Kahn ruhig dahintreibt. Im glatten Gleiten kommt dem Kom¬
ponisten eine wunderschön träumerische Melodie vou höchster Einfachheit. Die
Reise schließt in Brienz bei Jodlerklang und Alpentanz; der Maestro jauchzt
mit drein.

Rheinbergers Klavierkompositiouen finden sich zuweilen auf deu Konzert¬
zetteln und sind durchschnittlich bekannter als die von Kiel, im ganzen aber
auch nicht so sehr, wie sie verdienen. Möchten seine Erfolge so sein, daß sie
den Komponisten veranlaßten, dieses Feld mehr zu kultiviren. Es wachsen nun


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[0138] Ehe wir uns der Schlnßgruppe, den bedeutendsten Klavierkomponisten des letzten Jahrzehnts, zuwenden, ist noch einer Reihe von Männern zu gedenken, die ans dem Gebiete der Klavierkvmposition eigentlich mir Gastrollen gegeben haben. Es sind unter ihnen etliche unsrer berufensten Tonsetzer, Männer, die in andern Gattungen der Komposition ihren Ruf begründet haben und als spezielle Klavierkompvnisten weniger beachtet werden, obwohl sie das in hohem Grade verdienen. In erster Linie sind hier Kiel und Rheiuberger zu nennen. Kiel, auf dem Gebiete der Emsemblemusik für Klavier bekannt und von allen gediegnen Musikfreunden gern ausgesucht, hat auch für das Klaviersvlo eine Reihe von Kompositionen geschrieben, die ihn als eine originelle, abgeschlossene Natur zeigen. Wir verehren ihn als Verfasser einer „Tarantella" (op. 27), die sich dnrch die großen Schritte auszeichnet, mit welchen hier der Salon durcheilt wird, und als Komponisten eines Notturno, das so knapp geschrieben ist, wie es nur die gute Sitte irgend erlaubt. Höchst interessant sind unter Kiels Klavierkompo¬ sitionen die Hefte op. 28 und 36. Jenes bringt eine Suite, deren erste Nummer eine einsätzige Sonate bildet. Sie ist als ein Beitrag zur Entwicklung neuer Formeu sehr merkwürdig und auf ihren musikalischen Inhalt augesehen ein sehr reiches, lebendiges Stück. Das Scherzvso waltet vor und ist mit Beet- hvvenscher Frische und Geradheit ausgedrückt. In op. 36 erblicken wir einen der erfreulichsten Beweise, daß Bachs Wesen und Art wieder in die neue Klavier¬ musik einziehen wird. Es sind drei Giguen, gesunde Nachkommen einer vor Alters hochbeliebten Tonfamilie, von der wir nnr wünschen können, daß sie in der gegenwärtigen Klavierkompositivn wieder anstehe. Es giebt keine bessere Abwehr gegen melancholische und sentimentale Strömungen, als wie sie das frische Ge¬ schlecht der Giguen bietet, und für launiges Gezänk, anmutige Neckerei eignet sich keine Form besser als dieser fugirte Sechsachteltakt. Wenn die Giguen wieder anfkümeu, so hätte es auch noch das Gute, daß diejenigen, die welche schreiben wollten, doch etliches Solide zuvor lernen müßten. Zu dein Kapitel „Geographische Klaviermusik" hat Kiel in seinem on- 33 einen der freundlichsten Beiträge geliefert. Das Heft heißt „Reiseerinnerungen" und führt uns zunächst nach Venedig, wo wir Ruderente und die Terzen des Stanzengesanges zu hören bekommen. Von da geht es an den Comer-See, wo wieder der Kahn ruhig dahintreibt. Im glatten Gleiten kommt dem Kom¬ ponisten eine wunderschön träumerische Melodie vou höchster Einfachheit. Die Reise schließt in Brienz bei Jodlerklang und Alpentanz; der Maestro jauchzt mit drein. Rheinbergers Klavierkompositiouen finden sich zuweilen auf deu Konzert¬ zetteln und sind durchschnittlich bekannter als die von Kiel, im ganzen aber auch nicht so sehr, wie sie verdienen. Möchten seine Erfolge so sein, daß sie den Komponisten veranlaßten, dieses Feld mehr zu kultiviren. Es wachsen nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/138>, abgerufen am 17.06.2024.