Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

einmal auf ihm bei dem heutigen Stande der musikalischen Erziehung die wich¬
tigsten und begehrtesten Früchte. Daher müssen sich alle guten Geister hier
znsaunnenschaaren, wenn das Feld nicht dem Verderben anheimfallen soll.

Nheinberger erscheint zunächst als ein Virtuos der Form, als einer der
wenigen Künstler, denen der Kontrapunkt nud die hohe Technik der Kunst ein
Spiel und eine Lust ist. Die Gedanken wachsen ihm, wühreud er sie uuter
den Händen hält, und herbe Motive beginnen zu grünen und zu blühen, wenn
er sie einmal sest an sich gezogen. Er darf sich einen trocknen Anfang und
strenge Aufgaben erlauben, weil er der großen Kombinationen sicher ist. Es
ist imposant, wie er ein Stück ins andre zieht, auf früheres zurücklenkt und in
der Form den Geist anregt. Zweistimmige Fugen schön zu schreiben, mit inter¬
essantem Inhalt zu füllen, hinreißend und warm zu schließen? ist keine Kleinig¬
keit -- Nheinberger bewegt sich in dieser Form so frei wie in einem Liede ohne
Worte. Viel gepflegt hat er auch die Variativnenform und die der Etude.
Von seinen Phnntasiestücken erregten die reizenden Nummern "Im Walde" zuerst
Gefallen. Das Terrain aber, wo sich seiue Phantasie am reichsten und von
allen Seiten zeigt, scheint das des Kapriziösen zu sein. Namentlich sein op. 43
ist ein Meisterstück dieser Gattung.

Als weitre Gäste in der Klaviermusik siud vou anerkannten Tvnsetzern
ferner noch zu nennen: Bruch, Gernsheim, Goldmark und I. Brüll. Der
erstere hat leider nicht viel für Klavier geschrieben, und dieses wenige ist nicht
alles gleich gut. Ju seinem ox. 12 stehen aber zwei Nummern in L-clnr und
D-moll, die in schlagender Erfindung Schwärmerei eines glücklichen Gemütes
malen und mit echtesten musikalischen Blute durchgeführt sind. Gernsheim hat
außer Phautasiestücken auch Variationen und andre Klnvierlompositivueu großer
Form veröffentlicht, die für das große Publikum etwas zu zurückhaltend sind.
Gvldmark verrät als Klavierkomponist namentlich in "Sturm und Drang" eine
starke Neigung zu Meherbeers schlechten Seiten. Unter dem Streben nach ganz
absonderlichen Wirkungen stellt sich aber auch mancher echte und eigene Natur-
klaug ein, der dem Komponisten der Sakuntala-Ouvertüre aufs Konto kommt.

Auch Joseph Brambach, der durch größere Kompositionen für Chor und
Drchester bekannt geworden ist, hat eine Reihe von Klcivicrwerteu geschrieben,
U> denen sich ein Mann von Bildung, gründlicher Mnsiterfahrnng und eine
tiefere Natur zeigt. Seine "Novelletten,, namentlich lohnen das Aufsuchen. Es
sind das Stücke von natürlicher Fertigkeit und Schwung. Die erste "Im humo-
ristischen Ton" und ein Trauermarsch sind sein Bestes. Endlich ist in dieser
Rubrik S. Jndassohn als geschickter Eklektiker zu nennen.

Sehr unrecht würde es sein, uuter deu bedeutendsten neueren Klavier-
kvmpvnisten nicht Adolph Imsen zu erwähnen. Im Klavier ist er zwar
"icht zu einer gleichen Position gelangt wie im Liede; dennoch war er glück¬
licher als z. B. Carl Löwe, der auf diesem Felde nur dirute Niederlagen


Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

einmal auf ihm bei dem heutigen Stande der musikalischen Erziehung die wich¬
tigsten und begehrtesten Früchte. Daher müssen sich alle guten Geister hier
znsaunnenschaaren, wenn das Feld nicht dem Verderben anheimfallen soll.

Nheinberger erscheint zunächst als ein Virtuos der Form, als einer der
wenigen Künstler, denen der Kontrapunkt nud die hohe Technik der Kunst ein
Spiel und eine Lust ist. Die Gedanken wachsen ihm, wühreud er sie uuter
den Händen hält, und herbe Motive beginnen zu grünen und zu blühen, wenn
er sie einmal sest an sich gezogen. Er darf sich einen trocknen Anfang und
strenge Aufgaben erlauben, weil er der großen Kombinationen sicher ist. Es
ist imposant, wie er ein Stück ins andre zieht, auf früheres zurücklenkt und in
der Form den Geist anregt. Zweistimmige Fugen schön zu schreiben, mit inter¬
essantem Inhalt zu füllen, hinreißend und warm zu schließen? ist keine Kleinig¬
keit — Nheinberger bewegt sich in dieser Form so frei wie in einem Liede ohne
Worte. Viel gepflegt hat er auch die Variativnenform und die der Etude.
Von seinen Phnntasiestücken erregten die reizenden Nummern „Im Walde" zuerst
Gefallen. Das Terrain aber, wo sich seiue Phantasie am reichsten und von
allen Seiten zeigt, scheint das des Kapriziösen zu sein. Namentlich sein op. 43
ist ein Meisterstück dieser Gattung.

Als weitre Gäste in der Klaviermusik siud vou anerkannten Tvnsetzern
ferner noch zu nennen: Bruch, Gernsheim, Goldmark und I. Brüll. Der
erstere hat leider nicht viel für Klavier geschrieben, und dieses wenige ist nicht
alles gleich gut. Ju seinem ox. 12 stehen aber zwei Nummern in L-clnr und
D-moll, die in schlagender Erfindung Schwärmerei eines glücklichen Gemütes
malen und mit echtesten musikalischen Blute durchgeführt sind. Gernsheim hat
außer Phautasiestücken auch Variationen und andre Klnvierlompositivueu großer
Form veröffentlicht, die für das große Publikum etwas zu zurückhaltend sind.
Gvldmark verrät als Klavierkomponist namentlich in „Sturm und Drang" eine
starke Neigung zu Meherbeers schlechten Seiten. Unter dem Streben nach ganz
absonderlichen Wirkungen stellt sich aber auch mancher echte und eigene Natur-
klaug ein, der dem Komponisten der Sakuntala-Ouvertüre aufs Konto kommt.

Auch Joseph Brambach, der durch größere Kompositionen für Chor und
Drchester bekannt geworden ist, hat eine Reihe von Klcivicrwerteu geschrieben,
U> denen sich ein Mann von Bildung, gründlicher Mnsiterfahrnng und eine
tiefere Natur zeigt. Seine „Novelletten,, namentlich lohnen das Aufsuchen. Es
sind das Stücke von natürlicher Fertigkeit und Schwung. Die erste „Im humo-
ristischen Ton" und ein Trauermarsch sind sein Bestes. Endlich ist in dieser
Rubrik S. Jndassohn als geschickter Eklektiker zu nennen.

Sehr unrecht würde es sein, uuter deu bedeutendsten neueren Klavier-
kvmpvnisten nicht Adolph Imsen zu erwähnen. Im Klavier ist er zwar
"icht zu einer gleichen Position gelangt wie im Liede; dennoch war er glück¬
licher als z. B. Carl Löwe, der auf diesem Felde nur dirute Niederlagen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0139" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194117"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Klaviermusik seit Robert Schumann.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_450" prev="#ID_449"> einmal auf ihm bei dem heutigen Stande der musikalischen Erziehung die wich¬<lb/>
tigsten und begehrtesten Früchte. Daher müssen sich alle guten Geister hier<lb/>
znsaunnenschaaren, wenn das Feld nicht dem Verderben anheimfallen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_451"> Nheinberger erscheint zunächst als ein Virtuos der Form, als einer der<lb/>
wenigen Künstler, denen der Kontrapunkt nud die hohe Technik der Kunst ein<lb/>
Spiel und eine Lust ist. Die Gedanken wachsen ihm, wühreud er sie uuter<lb/>
den Händen hält, und herbe Motive beginnen zu grünen und zu blühen, wenn<lb/>
er sie einmal sest an sich gezogen. Er darf sich einen trocknen Anfang und<lb/>
strenge Aufgaben erlauben, weil er der großen Kombinationen sicher ist. Es<lb/>
ist imposant, wie er ein Stück ins andre zieht, auf früheres zurücklenkt und in<lb/>
der Form den Geist anregt. Zweistimmige Fugen schön zu schreiben, mit inter¬<lb/>
essantem Inhalt zu füllen, hinreißend und warm zu schließen? ist keine Kleinig¬<lb/>
keit &#x2014; Nheinberger bewegt sich in dieser Form so frei wie in einem Liede ohne<lb/>
Worte. Viel gepflegt hat er auch die Variativnenform und die der Etude.<lb/>
Von seinen Phnntasiestücken erregten die reizenden Nummern &#x201E;Im Walde" zuerst<lb/>
Gefallen. Das Terrain aber, wo sich seiue Phantasie am reichsten und von<lb/>
allen Seiten zeigt, scheint das des Kapriziösen zu sein. Namentlich sein op. 43<lb/>
ist ein Meisterstück dieser Gattung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_452"> Als weitre Gäste in der Klaviermusik siud vou anerkannten Tvnsetzern<lb/>
ferner noch zu nennen: Bruch, Gernsheim, Goldmark und I. Brüll. Der<lb/>
erstere hat leider nicht viel für Klavier geschrieben, und dieses wenige ist nicht<lb/>
alles gleich gut. Ju seinem ox. 12 stehen aber zwei Nummern in L-clnr und<lb/>
D-moll, die in schlagender Erfindung Schwärmerei eines glücklichen Gemütes<lb/>
malen und mit echtesten musikalischen Blute durchgeführt sind. Gernsheim hat<lb/>
außer Phautasiestücken auch Variationen und andre Klnvierlompositivueu großer<lb/>
Form veröffentlicht, die für das große Publikum etwas zu zurückhaltend sind.<lb/>
Gvldmark verrät als Klavierkomponist namentlich in &#x201E;Sturm und Drang" eine<lb/>
starke Neigung zu Meherbeers schlechten Seiten. Unter dem Streben nach ganz<lb/>
absonderlichen Wirkungen stellt sich aber auch mancher echte und eigene Natur-<lb/>
klaug ein, der dem Komponisten der Sakuntala-Ouvertüre aufs Konto kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_453"> Auch Joseph Brambach, der durch größere Kompositionen für Chor und<lb/>
Drchester bekannt geworden ist, hat eine Reihe von Klcivicrwerteu geschrieben,<lb/>
U&gt; denen sich ein Mann von Bildung, gründlicher Mnsiterfahrnng und eine<lb/>
tiefere Natur zeigt. Seine &#x201E;Novelletten,, namentlich lohnen das Aufsuchen. Es<lb/>
sind das Stücke von natürlicher Fertigkeit und Schwung. Die erste &#x201E;Im humo-<lb/>
ristischen Ton" und ein Trauermarsch sind sein Bestes. Endlich ist in dieser<lb/>
Rubrik S. Jndassohn als geschickter Eklektiker zu nennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_454" next="#ID_455"> Sehr unrecht würde es sein, uuter deu bedeutendsten neueren Klavier-<lb/>
kvmpvnisten nicht Adolph Imsen zu erwähnen. Im Klavier ist er zwar<lb/>
"icht zu einer gleichen Position gelangt wie im Liede; dennoch war er glück¬<lb/>
licher als z. B. Carl Löwe, der auf diesem Felde nur dirute Niederlagen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0139] Die Klaviermusik seit Robert Schumann. einmal auf ihm bei dem heutigen Stande der musikalischen Erziehung die wich¬ tigsten und begehrtesten Früchte. Daher müssen sich alle guten Geister hier znsaunnenschaaren, wenn das Feld nicht dem Verderben anheimfallen soll. Nheinberger erscheint zunächst als ein Virtuos der Form, als einer der wenigen Künstler, denen der Kontrapunkt nud die hohe Technik der Kunst ein Spiel und eine Lust ist. Die Gedanken wachsen ihm, wühreud er sie uuter den Händen hält, und herbe Motive beginnen zu grünen und zu blühen, wenn er sie einmal sest an sich gezogen. Er darf sich einen trocknen Anfang und strenge Aufgaben erlauben, weil er der großen Kombinationen sicher ist. Es ist imposant, wie er ein Stück ins andre zieht, auf früheres zurücklenkt und in der Form den Geist anregt. Zweistimmige Fugen schön zu schreiben, mit inter¬ essantem Inhalt zu füllen, hinreißend und warm zu schließen? ist keine Kleinig¬ keit — Nheinberger bewegt sich in dieser Form so frei wie in einem Liede ohne Worte. Viel gepflegt hat er auch die Variativnenform und die der Etude. Von seinen Phnntasiestücken erregten die reizenden Nummern „Im Walde" zuerst Gefallen. Das Terrain aber, wo sich seiue Phantasie am reichsten und von allen Seiten zeigt, scheint das des Kapriziösen zu sein. Namentlich sein op. 43 ist ein Meisterstück dieser Gattung. Als weitre Gäste in der Klaviermusik siud vou anerkannten Tvnsetzern ferner noch zu nennen: Bruch, Gernsheim, Goldmark und I. Brüll. Der erstere hat leider nicht viel für Klavier geschrieben, und dieses wenige ist nicht alles gleich gut. Ju seinem ox. 12 stehen aber zwei Nummern in L-clnr und D-moll, die in schlagender Erfindung Schwärmerei eines glücklichen Gemütes malen und mit echtesten musikalischen Blute durchgeführt sind. Gernsheim hat außer Phautasiestücken auch Variationen und andre Klnvierlompositivueu großer Form veröffentlicht, die für das große Publikum etwas zu zurückhaltend sind. Gvldmark verrät als Klavierkomponist namentlich in „Sturm und Drang" eine starke Neigung zu Meherbeers schlechten Seiten. Unter dem Streben nach ganz absonderlichen Wirkungen stellt sich aber auch mancher echte und eigene Natur- klaug ein, der dem Komponisten der Sakuntala-Ouvertüre aufs Konto kommt. Auch Joseph Brambach, der durch größere Kompositionen für Chor und Drchester bekannt geworden ist, hat eine Reihe von Klcivicrwerteu geschrieben, U> denen sich ein Mann von Bildung, gründlicher Mnsiterfahrnng und eine tiefere Natur zeigt. Seine „Novelletten,, namentlich lohnen das Aufsuchen. Es sind das Stücke von natürlicher Fertigkeit und Schwung. Die erste „Im humo- ristischen Ton" und ein Trauermarsch sind sein Bestes. Endlich ist in dieser Rubrik S. Jndassohn als geschickter Eklektiker zu nennen. Sehr unrecht würde es sein, uuter deu bedeutendsten neueren Klavier- kvmpvnisten nicht Adolph Imsen zu erwähnen. Im Klavier ist er zwar "icht zu einer gleichen Position gelangt wie im Liede; dennoch war er glück¬ licher als z. B. Carl Löwe, der auf diesem Felde nur dirute Niederlagen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/139
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/139>, abgerufen am 17.06.2024.