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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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zuverlässigen Halt giebt; sie bietet einen Widerpart gegen barocke Exzesse, vor
denen seine Phantasie nicht sicher ist. Namentlich seine heitern Kompositionen
bereiten einen großen Genuß. Hier trifft man am meisten Französisches: eine
Fülle von pikanten Wendungen und die Kunst, an und für sich harmlose und
ewfache Dinge in einer Veleuchtungsart darzustellen, für welche es kein andres
Wort als <Z8pr1t giebt. Seiner Jugendliebe zu Bach ist Saint-Smelts in seinen
^lavierkompositionen treu geblieben und pflegt ihr in manchem Stücke alter
Form Ausdruck zu geben. Bekannt ist seine gravitätische "Gavotte."

Saint-Säens ist unter den gegenwärtigen Klavierkvmpvnisten in Frankreich
der hervorragendste, aber nicht der einzige bedeutende. Die französische Klavier¬
schule, zur Zeit Couper ins auf dem Gebiete der Klavierornamentik tonangebend,
but nie aufgehört, mit der Entwicklung der Spielkunst und der Komposition
Schritt zu halten. Die letztere erhielt von ihr wichtige Impulse für die Aus¬
bildung des virtuosen Stiles. An der Arbeit der romantischen Periode betei¬
ligten sich hervorragend zwei Franzosen: Cesar Auguste Franck (geb. 1322)
old Charles Valentin Altar (geb. 1813). Der letztere gab an Kühnheit
"ud Originalität seinem Landsmann Berlioz nichts nach und ist wie dieser oft
u"t deu verschiednen Brenghels der niederländischen Malerschule verglichen worden.
^" der Etüdenkomposition hat sich gleichfalls ein Franzose ausgezeichnet:
^rgenton, dessen Muäk8 xovtiouvL die technisch schwierigsten Probleme mit
^r freundlichsten Miene und in einfach gehaltvoller Weise entwickeln. Bei allen
"rsen französischen Klavierkomponisten tritt jedoch das spezifisch nationale Ele¬
ment mir wenig hervor; stärker geschieht dies schon bei Tschaikowsky, und am
stärksten bei Dvvrtschcck und bei Grieg.

Tschaikowsky hat elf Klavierhefte veröffentlicht, welche idenlisirte Tänze,
Humoresken, Lieder ohne Worte und andre Musikstücke genrehaften Charakters
Ehalten. An Reichtum und Mannichfaltigkeit des Talentes bleibt er hinter
'Uibiiistein, den die Russen ja ebenfalls zur Hälfte als den ihrigen reklamiren,
^nel. Er übertrifft ihn aber an Haltung und Sicherheit und kann sich in den
'fünften der Kompositionstechnik getrost mit ihm messen. An dieser hat er sicht-
^ seiue große Frende und bringt gerne einen dg.88v ostin^to und andre Hand-
Ü^sse des gewiegten Kvntrcipunktikers ostensibel an. Diese Neigung entspringt
^ ihm weniger der Pedanterie als dem Übermute, der einen Zug in seinem
, ^'sen bildet. Er erinnert darin an Rossini, dessen lustiges Gelächter zuweilen
'u Tschnikvwkys Kompositionen wiederklingt. Tschaikowsky ist eine lebenslustige,
^ftvolle, gesunde Natur. Seine Schwächen sind nicht die des Salomnaunes,
lvnderu Unarten des Sohnes ans dem Volke. Niemals verfällt er in Schwulst,
^'^r zuweilen in zu nngenirte Gemütlichkeit und ins Triviale. Selbst in den
Augenblicken aber, wo der Mangel an vollendetem Geschmack hervortritt, bleibt
^ uur selten Proben von musikalischer Originalität schuldig und schwingt sich"le genug plötzlich wieder in die höhere Sphäre der genialen Natur ans. Na-


^renzlwlon IV. 1882. 18

zuverlässigen Halt giebt; sie bietet einen Widerpart gegen barocke Exzesse, vor
denen seine Phantasie nicht sicher ist. Namentlich seine heitern Kompositionen
bereiten einen großen Genuß. Hier trifft man am meisten Französisches: eine
Fülle von pikanten Wendungen und die Kunst, an und für sich harmlose und
ewfache Dinge in einer Veleuchtungsart darzustellen, für welche es kein andres
Wort als <Z8pr1t giebt. Seiner Jugendliebe zu Bach ist Saint-Smelts in seinen
^lavierkompositionen treu geblieben und pflegt ihr in manchem Stücke alter
Form Ausdruck zu geben. Bekannt ist seine gravitätische „Gavotte."

Saint-Säens ist unter den gegenwärtigen Klavierkvmpvnisten in Frankreich
der hervorragendste, aber nicht der einzige bedeutende. Die französische Klavier¬
schule, zur Zeit Couper ins auf dem Gebiete der Klavierornamentik tonangebend,
but nie aufgehört, mit der Entwicklung der Spielkunst und der Komposition
Schritt zu halten. Die letztere erhielt von ihr wichtige Impulse für die Aus¬
bildung des virtuosen Stiles. An der Arbeit der romantischen Periode betei¬
ligten sich hervorragend zwei Franzosen: Cesar Auguste Franck (geb. 1322)
old Charles Valentin Altar (geb. 1813). Der letztere gab an Kühnheit
"ud Originalität seinem Landsmann Berlioz nichts nach und ist wie dieser oft
u»t deu verschiednen Brenghels der niederländischen Malerschule verglichen worden.
^" der Etüdenkomposition hat sich gleichfalls ein Franzose ausgezeichnet:
^rgenton, dessen Muäk8 xovtiouvL die technisch schwierigsten Probleme mit
^r freundlichsten Miene und in einfach gehaltvoller Weise entwickeln. Bei allen
"rsen französischen Klavierkomponisten tritt jedoch das spezifisch nationale Ele¬
ment mir wenig hervor; stärker geschieht dies schon bei Tschaikowsky, und am
stärksten bei Dvvrtschcck und bei Grieg.

Tschaikowsky hat elf Klavierhefte veröffentlicht, welche idenlisirte Tänze,
Humoresken, Lieder ohne Worte und andre Musikstücke genrehaften Charakters
Ehalten. An Reichtum und Mannichfaltigkeit des Talentes bleibt er hinter
'Uibiiistein, den die Russen ja ebenfalls zur Hälfte als den ihrigen reklamiren,
^nel. Er übertrifft ihn aber an Haltung und Sicherheit und kann sich in den
'fünften der Kompositionstechnik getrost mit ihm messen. An dieser hat er sicht-
^ seiue große Frende und bringt gerne einen dg.88v ostin^to und andre Hand-
Ü^sse des gewiegten Kvntrcipunktikers ostensibel an. Diese Neigung entspringt
^ ihm weniger der Pedanterie als dem Übermute, der einen Zug in seinem
, ^'sen bildet. Er erinnert darin an Rossini, dessen lustiges Gelächter zuweilen
'u Tschnikvwkys Kompositionen wiederklingt. Tschaikowsky ist eine lebenslustige,
^ftvolle, gesunde Natur. Seine Schwächen sind nicht die des Salomnaunes,
lvnderu Unarten des Sohnes ans dem Volke. Niemals verfällt er in Schwulst,
^'^r zuweilen in zu nngenirte Gemütlichkeit und ins Triviale. Selbst in den
Augenblicken aber, wo der Mangel an vollendetem Geschmack hervortritt, bleibt
^ uur selten Proben von musikalischer Originalität schuldig und schwingt sich"le genug plötzlich wieder in die höhere Sphäre der genialen Natur ans. Na-


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[0141] zuverlässigen Halt giebt; sie bietet einen Widerpart gegen barocke Exzesse, vor denen seine Phantasie nicht sicher ist. Namentlich seine heitern Kompositionen bereiten einen großen Genuß. Hier trifft man am meisten Französisches: eine Fülle von pikanten Wendungen und die Kunst, an und für sich harmlose und ewfache Dinge in einer Veleuchtungsart darzustellen, für welche es kein andres Wort als <Z8pr1t giebt. Seiner Jugendliebe zu Bach ist Saint-Smelts in seinen ^lavierkompositionen treu geblieben und pflegt ihr in manchem Stücke alter Form Ausdruck zu geben. Bekannt ist seine gravitätische „Gavotte." Saint-Säens ist unter den gegenwärtigen Klavierkvmpvnisten in Frankreich der hervorragendste, aber nicht der einzige bedeutende. Die französische Klavier¬ schule, zur Zeit Couper ins auf dem Gebiete der Klavierornamentik tonangebend, but nie aufgehört, mit der Entwicklung der Spielkunst und der Komposition Schritt zu halten. Die letztere erhielt von ihr wichtige Impulse für die Aus¬ bildung des virtuosen Stiles. An der Arbeit der romantischen Periode betei¬ ligten sich hervorragend zwei Franzosen: Cesar Auguste Franck (geb. 1322) old Charles Valentin Altar (geb. 1813). Der letztere gab an Kühnheit "ud Originalität seinem Landsmann Berlioz nichts nach und ist wie dieser oft u»t deu verschiednen Brenghels der niederländischen Malerschule verglichen worden. ^" der Etüdenkomposition hat sich gleichfalls ein Franzose ausgezeichnet: ^rgenton, dessen Muäk8 xovtiouvL die technisch schwierigsten Probleme mit ^r freundlichsten Miene und in einfach gehaltvoller Weise entwickeln. Bei allen "rsen französischen Klavierkomponisten tritt jedoch das spezifisch nationale Ele¬ ment mir wenig hervor; stärker geschieht dies schon bei Tschaikowsky, und am stärksten bei Dvvrtschcck und bei Grieg. Tschaikowsky hat elf Klavierhefte veröffentlicht, welche idenlisirte Tänze, Humoresken, Lieder ohne Worte und andre Musikstücke genrehaften Charakters Ehalten. An Reichtum und Mannichfaltigkeit des Talentes bleibt er hinter 'Uibiiistein, den die Russen ja ebenfalls zur Hälfte als den ihrigen reklamiren, ^nel. Er übertrifft ihn aber an Haltung und Sicherheit und kann sich in den 'fünften der Kompositionstechnik getrost mit ihm messen. An dieser hat er sicht- ^ seiue große Frende und bringt gerne einen dg.88v ostin^to und andre Hand- Ü^sse des gewiegten Kvntrcipunktikers ostensibel an. Diese Neigung entspringt ^ ihm weniger der Pedanterie als dem Übermute, der einen Zug in seinem , ^'sen bildet. Er erinnert darin an Rossini, dessen lustiges Gelächter zuweilen 'u Tschnikvwkys Kompositionen wiederklingt. Tschaikowsky ist eine lebenslustige, ^ftvolle, gesunde Natur. Seine Schwächen sind nicht die des Salomnaunes, lvnderu Unarten des Sohnes ans dem Volke. Niemals verfällt er in Schwulst, ^'^r zuweilen in zu nngenirte Gemütlichkeit und ins Triviale. Selbst in den Augenblicken aber, wo der Mangel an vollendetem Geschmack hervortritt, bleibt ^ uur selten Proben von musikalischer Originalität schuldig und schwingt sich"le genug plötzlich wieder in die höhere Sphäre der genialen Natur ans. Na- ^renzlwlon IV. 1882. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/141>, abgerufen am 17.06.2024.