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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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tionalweisen streut er in seine Kompositionen nnr als Episoden el", und das
Lob spezifisch russischer Musiktendenzen, welches ihm wiederholt gemacht worden
ist, dürfte er selbst wenig beanspruchen. Sogar in Klavierstücken deskriptiver
Natur, wo nationale Vorwürfe sich gut anbringen ließen, macht er von dieser
Gelegenheit keinen Gebrauch. In seinem ox. 37, welches in 12 Nummern die
Jahreszeiten schildert, verlauft alles so normal wie in Pommern. Daß der
Komponist den Gegenstand als Russe behandelt, kann man höchstens am Mai
und am November merken. Jenen charakterisirt er durch "helle Nächte," diesen
durch eine "Troika-Fahrt."

Mit unverkennbarer Entschiedenheit betont Anton Dvortschak als Komponist
seine Nationalität. Der Künstler in ihm ist achtungswert; aber er würde nicht hin¬
gereicht haben, anf den böhmischen Komponisten das Augenmerk zu richten, wenn
er nicht eine so innige Verbindung mit dem unverfälschten Musikanten einge¬
gangen wäre, mit dem Spielmann, der des Sonntags unter der Linde und
auf dem Tanzboden die Geige streicht fürs Volk. Die "Slavischen Tänze" für
das Pianoforte zu vier Händen -- für welches sie übrigens nicht komponirt
sind, wie man erfährt, wenn man sie vom Orchester hört --, mit denen Dvortschak
zuerst Aufsehe" erreichte, kamen in die rechte Zeit, in die Periode, wo man über
der Klaviermusik ganz vergessen konnte, daß es noch Fröhlichkeit im Lande giebt
und lustige Menschen, die sich beim Klang der Fiedel glücklich wie im Himmel
fühlen. Den "Slavischen Tänzen" ließ Dvortschak später Kompositionen surKlcivier-
svlo folge", aus denen wir namentlich ein Heft Walzer hervorheben, darunter
manche kecke Nummer, in der mit beiden Füßen zugleich dreingesprungen wird.
Vou der Rasse der besten "slavischen Tünze" enthalten auch die "Furiante"
die eine und die andre Probe, zugleich auch von jener Mischung von Frische
und Banalität, welche die Eigenart des böhmischen Komponisten kennzeichnet.
Wo er den nationalen Boden verläßt, verliert er an Interesse. Bei seinen
"Silhouetten" für Klavier (op. 8) fragt man: Was ist denn silhonettirt? I"
zwei Nummern scheinen Meyerbeer und Chopin gemeint zu sein.

Slavische Tänze wurden bereits zu Anfange dieses Jahrhunderts den Kunst"
kreisen vorgezeigt. Die Allgemeine musikalische Zeitung gab davon in einem ihrer
ersten Bände Proben, ohne damit ein weiteres Interesse zu erregen. Erst als
die romantische Strömung auch die Musik ergriffen hatte, tauchte mau ein i"
die musikalischen Sonderschätze der einzelnen Volksstämme. Vom Jahre 1840
ab fangen die Kataloge an, die Spuren solcher Entdeckungsreisen aufzuzeigen-
Einzelne Klavierkompvnisten richten ihren geschäftigen Sinn anf den neue"
Veutevrt. Der oben schon erwähnte Pianist R. Williners z. B. kredenzt da
eine ganze musikalische Länderkarte; er hat das ganze vielstämmige Osterreich
durchkomponirt vom Erzgebirge bis zur Adria. Auch die Rumänen sind Mit
einer Phantasie bedacht. Heute stehen wir noch mitten in diesem Prozesse, der
wohl das Gute haben kann, einer zeitweilig ermatteten Kunst neue Lebenssäfte


tionalweisen streut er in seine Kompositionen nnr als Episoden el», und das
Lob spezifisch russischer Musiktendenzen, welches ihm wiederholt gemacht worden
ist, dürfte er selbst wenig beanspruchen. Sogar in Klavierstücken deskriptiver
Natur, wo nationale Vorwürfe sich gut anbringen ließen, macht er von dieser
Gelegenheit keinen Gebrauch. In seinem ox. 37, welches in 12 Nummern die
Jahreszeiten schildert, verlauft alles so normal wie in Pommern. Daß der
Komponist den Gegenstand als Russe behandelt, kann man höchstens am Mai
und am November merken. Jenen charakterisirt er durch „helle Nächte," diesen
durch eine „Troika-Fahrt."

Mit unverkennbarer Entschiedenheit betont Anton Dvortschak als Komponist
seine Nationalität. Der Künstler in ihm ist achtungswert; aber er würde nicht hin¬
gereicht haben, anf den böhmischen Komponisten das Augenmerk zu richten, wenn
er nicht eine so innige Verbindung mit dem unverfälschten Musikanten einge¬
gangen wäre, mit dem Spielmann, der des Sonntags unter der Linde und
auf dem Tanzboden die Geige streicht fürs Volk. Die „Slavischen Tänze" für
das Pianoforte zu vier Händen — für welches sie übrigens nicht komponirt
sind, wie man erfährt, wenn man sie vom Orchester hört —, mit denen Dvortschak
zuerst Aufsehe» erreichte, kamen in die rechte Zeit, in die Periode, wo man über
der Klaviermusik ganz vergessen konnte, daß es noch Fröhlichkeit im Lande giebt
und lustige Menschen, die sich beim Klang der Fiedel glücklich wie im Himmel
fühlen. Den „Slavischen Tänzen" ließ Dvortschak später Kompositionen surKlcivier-
svlo folge», aus denen wir namentlich ein Heft Walzer hervorheben, darunter
manche kecke Nummer, in der mit beiden Füßen zugleich dreingesprungen wird.
Vou der Rasse der besten „slavischen Tünze" enthalten auch die „Furiante"
die eine und die andre Probe, zugleich auch von jener Mischung von Frische
und Banalität, welche die Eigenart des böhmischen Komponisten kennzeichnet.
Wo er den nationalen Boden verläßt, verliert er an Interesse. Bei seinen
„Silhouetten" für Klavier (op. 8) fragt man: Was ist denn silhonettirt? I"
zwei Nummern scheinen Meyerbeer und Chopin gemeint zu sein.

Slavische Tänze wurden bereits zu Anfange dieses Jahrhunderts den Kunst"
kreisen vorgezeigt. Die Allgemeine musikalische Zeitung gab davon in einem ihrer
ersten Bände Proben, ohne damit ein weiteres Interesse zu erregen. Erst als
die romantische Strömung auch die Musik ergriffen hatte, tauchte mau ein i»
die musikalischen Sonderschätze der einzelnen Volksstämme. Vom Jahre 1840
ab fangen die Kataloge an, die Spuren solcher Entdeckungsreisen aufzuzeigen-
Einzelne Klavierkompvnisten richten ihren geschäftigen Sinn anf den neue»
Veutevrt. Der oben schon erwähnte Pianist R. Williners z. B. kredenzt da
eine ganze musikalische Länderkarte; er hat das ganze vielstämmige Osterreich
durchkomponirt vom Erzgebirge bis zur Adria. Auch die Rumänen sind Mit
einer Phantasie bedacht. Heute stehen wir noch mitten in diesem Prozesse, der
wohl das Gute haben kann, einer zeitweilig ermatteten Kunst neue Lebenssäfte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/142>, abgerufen am 17.06.2024.