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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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zuzuführen. Einzelner dieser nationalen Getränke fangen wir allerdings bereits
an überdrüssig zu werden. Der Geschmack an dem kräftigsten derselben, dem
ungarischen, ist uns dnrch die Menge falscher Fabrikate fast ganz verdorben
worden. Was insbesondre die slavische Musik betrifft, so wohnt ihr im Ver¬
gleich zu den andern nationalen Mnsikweisen vielleicht die geringste Lebenskraft
Ume. Sie hat in ihren kurzen, überstürzenden Rhythmen etwas ungemein
lebendiges, frisch naives, aber auch beschränktes. Neben Dvortschak ist von böh-
uuschen Klavierkomponisten noch F. Smetano zu erwähnen, der sich aber mit
leinen "Albumblätteru" mehr als sein jüngerer Landsmann auf der Hauptstraße
der Kunst hält.

Das Skandinavische war in der Klaviermusik schon zu Schumanns Zeit
vertreten, am bedeutendsten durch Ricks Gabe. Bei ihm ist das nationale
Element aber uur angedeutet, in das Ganze mit allerkleinsten Fäden eingewebt,
die Ton und Kolorit seiner Klavierkomposition eigentümlich nünnciren; ge¬
legentlich spricht es auch aus der herben Haltung der einzelnen Stücke und aus
der Wahl der Stoffe. Gabe stand noch unter dein Einflüsse eiuer Kunstan-
schnuuug, nach welcher Reichtum und Schönheit höher steht als Eigenart. Aus
dieser Reserve führte Eduard Grieg die "nordische Musik" heraus. Er folgt
wehr einem realistischen Glaubensbekenntnisse und erkennt einen schöne" Beruf
der Kunst darin, daß sie das Volksleben zeigt wie es ist. Freude und Trauer
lUlden sich überall, wo Menschen wohnen; aber die Spielarten, in denen sie
>ich außer", sind über alle Begriffe mannichfach. Von diesem Standpunkte ans
^scheinen Griegs Kompositionen als getreue Kulturbilder des norwegischen
^viles, als musikalische Ergänzungen zu Björnsons Bauernnovellen, in denen
'^erz und Seele jenes interessanten Volkes offen vor uns liegen. Den raschesten
^ublick gewährt uns Grieg in seinem ox. 17, einem Hefte, das "Skandinavische
^anze und Volksweisen" enthält. Für Melancholiker ist darin wenig Erholung
^" ^üben. Die Tänze namentlich mit ihren leeren Quinten, ihren liegenden
Tassen, ihren ärmlichen, im kleinsten Kreise festgenagelten Melodien geben ein
rauria.es Bild, das einen an die Worte erinnern kann, mit denen Hebbel in
^"en "Nibelungen" den Norden schildert:


Erst kommt ein Volk, das nicht mehr singen kann,
An dieses grenzt ein andres, das nicht lacht,
Dann folgt ein stummes, und so geht es fort.

^er halhj. ^ Stummheit erscheint hier zurückgelegt, und mit zehnfacher
^ehnsucht denkt mau an das glückliche Italien, wo die Kinder einer wärmeren
^omne die innere Lust in breiten Gesängen ausströmen lassen. Die Lieder und
^allndeu siud viel gelenkiger und weisen auf ein Gefühlsleben von seltner Tiefe.
sie von demselben Boden sein sollen und aus der gleichen Zeit wie die
^uze, ist kaum anzunehmen. Fungirt Grieg hier nur als Herausgeber und
earbeiter, so zeigt er in seinem op. 19, wie er als Künstler an diesen nationalen


zuzuführen. Einzelner dieser nationalen Getränke fangen wir allerdings bereits
an überdrüssig zu werden. Der Geschmack an dem kräftigsten derselben, dem
ungarischen, ist uns dnrch die Menge falscher Fabrikate fast ganz verdorben
worden. Was insbesondre die slavische Musik betrifft, so wohnt ihr im Ver¬
gleich zu den andern nationalen Mnsikweisen vielleicht die geringste Lebenskraft
Ume. Sie hat in ihren kurzen, überstürzenden Rhythmen etwas ungemein
lebendiges, frisch naives, aber auch beschränktes. Neben Dvortschak ist von böh-
uuschen Klavierkomponisten noch F. Smetano zu erwähnen, der sich aber mit
leinen „Albumblätteru" mehr als sein jüngerer Landsmann auf der Hauptstraße
der Kunst hält.

Das Skandinavische war in der Klaviermusik schon zu Schumanns Zeit
vertreten, am bedeutendsten durch Ricks Gabe. Bei ihm ist das nationale
Element aber uur angedeutet, in das Ganze mit allerkleinsten Fäden eingewebt,
die Ton und Kolorit seiner Klavierkomposition eigentümlich nünnciren; ge¬
legentlich spricht es auch aus der herben Haltung der einzelnen Stücke und aus
der Wahl der Stoffe. Gabe stand noch unter dein Einflüsse eiuer Kunstan-
schnuuug, nach welcher Reichtum und Schönheit höher steht als Eigenart. Aus
dieser Reserve führte Eduard Grieg die „nordische Musik" heraus. Er folgt
wehr einem realistischen Glaubensbekenntnisse und erkennt einen schöne» Beruf
der Kunst darin, daß sie das Volksleben zeigt wie es ist. Freude und Trauer
lUlden sich überall, wo Menschen wohnen; aber die Spielarten, in denen sie
>ich außer», sind über alle Begriffe mannichfach. Von diesem Standpunkte ans
^scheinen Griegs Kompositionen als getreue Kulturbilder des norwegischen
^viles, als musikalische Ergänzungen zu Björnsons Bauernnovellen, in denen
'^erz und Seele jenes interessanten Volkes offen vor uns liegen. Den raschesten
^ublick gewährt uns Grieg in seinem ox. 17, einem Hefte, das „Skandinavische
^anze und Volksweisen" enthält. Für Melancholiker ist darin wenig Erholung
^„ ^üben. Die Tänze namentlich mit ihren leeren Quinten, ihren liegenden
Tassen, ihren ärmlichen, im kleinsten Kreise festgenagelten Melodien geben ein
rauria.es Bild, das einen an die Worte erinnern kann, mit denen Hebbel in
^"en „Nibelungen" den Norden schildert:


Erst kommt ein Volk, das nicht mehr singen kann,
An dieses grenzt ein andres, das nicht lacht,
Dann folgt ein stummes, und so geht es fort.

^er halhj. ^ Stummheit erscheint hier zurückgelegt, und mit zehnfacher
^ehnsucht denkt mau an das glückliche Italien, wo die Kinder einer wärmeren
^omne die innere Lust in breiten Gesängen ausströmen lassen. Die Lieder und
^allndeu siud viel gelenkiger und weisen auf ein Gefühlsleben von seltner Tiefe.
sie von demselben Boden sein sollen und aus der gleichen Zeit wie die
^uze, ist kaum anzunehmen. Fungirt Grieg hier nur als Herausgeber und
earbeiter, so zeigt er in seinem op. 19, wie er als Künstler an diesen nationalen


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[0143] zuzuführen. Einzelner dieser nationalen Getränke fangen wir allerdings bereits an überdrüssig zu werden. Der Geschmack an dem kräftigsten derselben, dem ungarischen, ist uns dnrch die Menge falscher Fabrikate fast ganz verdorben worden. Was insbesondre die slavische Musik betrifft, so wohnt ihr im Ver¬ gleich zu den andern nationalen Mnsikweisen vielleicht die geringste Lebenskraft Ume. Sie hat in ihren kurzen, überstürzenden Rhythmen etwas ungemein lebendiges, frisch naives, aber auch beschränktes. Neben Dvortschak ist von böh- uuschen Klavierkomponisten noch F. Smetano zu erwähnen, der sich aber mit leinen „Albumblätteru" mehr als sein jüngerer Landsmann auf der Hauptstraße der Kunst hält. Das Skandinavische war in der Klaviermusik schon zu Schumanns Zeit vertreten, am bedeutendsten durch Ricks Gabe. Bei ihm ist das nationale Element aber uur angedeutet, in das Ganze mit allerkleinsten Fäden eingewebt, die Ton und Kolorit seiner Klavierkomposition eigentümlich nünnciren; ge¬ legentlich spricht es auch aus der herben Haltung der einzelnen Stücke und aus der Wahl der Stoffe. Gabe stand noch unter dein Einflüsse eiuer Kunstan- schnuuug, nach welcher Reichtum und Schönheit höher steht als Eigenart. Aus dieser Reserve führte Eduard Grieg die „nordische Musik" heraus. Er folgt wehr einem realistischen Glaubensbekenntnisse und erkennt einen schöne» Beruf der Kunst darin, daß sie das Volksleben zeigt wie es ist. Freude und Trauer lUlden sich überall, wo Menschen wohnen; aber die Spielarten, in denen sie >ich außer», sind über alle Begriffe mannichfach. Von diesem Standpunkte ans ^scheinen Griegs Kompositionen als getreue Kulturbilder des norwegischen ^viles, als musikalische Ergänzungen zu Björnsons Bauernnovellen, in denen '^erz und Seele jenes interessanten Volkes offen vor uns liegen. Den raschesten ^ublick gewährt uns Grieg in seinem ox. 17, einem Hefte, das „Skandinavische ^anze und Volksweisen" enthält. Für Melancholiker ist darin wenig Erholung ^„ ^üben. Die Tänze namentlich mit ihren leeren Quinten, ihren liegenden Tassen, ihren ärmlichen, im kleinsten Kreise festgenagelten Melodien geben ein rauria.es Bild, das einen an die Worte erinnern kann, mit denen Hebbel in ^"en „Nibelungen" den Norden schildert: Erst kommt ein Volk, das nicht mehr singen kann, An dieses grenzt ein andres, das nicht lacht, Dann folgt ein stummes, und so geht es fort. ^er halhj. ^ Stummheit erscheint hier zurückgelegt, und mit zehnfacher ^ehnsucht denkt mau an das glückliche Italien, wo die Kinder einer wärmeren ^omne die innere Lust in breiten Gesängen ausströmen lassen. Die Lieder und ^allndeu siud viel gelenkiger und weisen auf ein Gefühlsleben von seltner Tiefe. sie von demselben Boden sein sollen und aus der gleichen Zeit wie die ^uze, ist kaum anzunehmen. Fungirt Grieg hier nur als Herausgeber und earbeiter, so zeigt er in seinem op. 19, wie er als Künstler an diesen nationalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/143>, abgerufen am 17.06.2024.