Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Klaviermusik seit Robert Schiunaun.

in der eigentlichen Arbeit doch so viel Gediegenheit, daß man auch für seine
Phantasie eine Zeit der größern Freiheit erwarten darf.

Andre dieser jünger" Klavierkvmp"nisten haben durch Beharrlichkeit eine
deutlichere Position erobert. Unter ihnen gebührt nach chronologischer Ordnung
der Vortritt dem bereits verstorbenen Franz Bendel. Er hat sehr viele Irr¬
fahrten im Reiche der Salonmnsik unternommen. Der poetische Duft, welchen
nähere Freunde, wie Weitzmann (der Verfasser einer Geschichte des Klnvier-
spiels, die an Kritiklosigkeit leidet) bei dieser Gelegenheit an ihm rühmten, ist
thatsächlich, nicht bemerkbar. Dagegen findet man in einzelnen dieser Snlon-
stncke, wie im "Waldesrauschen," ein nobles Streben, interessante Arbeit, zu¬
weilen nnr mit starkem Gewürz nendentscher Harmonik versehen, längere Me¬
lodien, als in Salonsachen gebrünchlich, und einen Zug zum traulich Beschaulichen,
zum volkstümlich Derben, der sich namentlich in hübschen Tanzformen ünßert,
bei denen er den Dreivierteltakt bevorzugt. Gegen das Ende seines Lebens lief
er auch glücklich in deu Hafen ein, wo sein Talent heimisch war und schrieb:
..Sechs deutsche Märchenbilder" (c>p. 135). Es sind: "Fran Holle, Schnee¬
wittchen, Aschenbrödel, die Bremer Stadtmusikanten, Rotkäppchen, Hans im
Glücke." Beutel komponirt diese bekannten Märchen etwas breit, aber um den
Hnnptstellen mit kurzen, geraden Strichen treffend und deutlich genug, um die
Phantasie immer im klaren zu halten. Schon der bloße Versuch, einen unge¬
wohnten Pfad einzuschlagen, wirkt wie eine Wohlthat! Sehr drollig sind die
Bremer Stadtmusikanten, in denen nach einander auftreten: Katze, Esel, Hase
und Huiid. Das Motiv der Katzen hat Beutel später für die Einleitung zu
einem Magyarentanz benutzt -- ein uubeabsichtigter Hohn ans die Lehre von
der musikalischen Charakteristik.

Um dieselbe Zeit ungefähr, wo Bendels "Märchenbilder" erschienen, machte
ein andrer Komponist mit "Albumblütteru" verdientes Aufsehen. Es ist Her¬
mann Schulz (nicht zu verwechseln mit Bernhard Scholtz, der gleichfalls
W'ele, zum Teil größere Klavierwerke herausgegeben hat), eine mit Imsen im
hohen Grade verwandte Individualität. Diesen durch Liebenswürdigkeit und
einen Anflug von Kränklichkeit interessanten Bagatellen sind später größe Kla-
vierkomposit'lonen gefolgt, welche aber eine weitere Entwicklung des Komponisten
"ut deu notwendigen Sieg über das weichliche Wesen nicht zu erstreben scheinen.

Als Vorort der neuesten deutsche" Klavierkvmpvsition hat sich in den letzten
Jahren Berlin geltend gemacht. Hier traten zu gleicher Zeit mehrere junge
Künstler ans, deren Klavierwerke das Mittelmaß überragen. Es sind nament¬
lich die Gebrüder Scharwenka und Moritz Moskowsky. Die Individualität
des letztere" spricht sich um schärfsten ans dem Gebiete der behaglichen Lebens¬
freude aus, wo er seine Stimmungen in allerliebste Themen faßt. Immer
erfreut er durch eine gediegne Form, die die Bekanntschaft mit Bach und eine
vorzügliche Schule verrät. Von den beiden Scharwenka neigt der jüngere,


Die Klaviermusik seit Robert Schiunaun.

in der eigentlichen Arbeit doch so viel Gediegenheit, daß man auch für seine
Phantasie eine Zeit der größern Freiheit erwarten darf.

Andre dieser jünger» Klavierkvmp»nisten haben durch Beharrlichkeit eine
deutlichere Position erobert. Unter ihnen gebührt nach chronologischer Ordnung
der Vortritt dem bereits verstorbenen Franz Bendel. Er hat sehr viele Irr¬
fahrten im Reiche der Salonmnsik unternommen. Der poetische Duft, welchen
nähere Freunde, wie Weitzmann (der Verfasser einer Geschichte des Klnvier-
spiels, die an Kritiklosigkeit leidet) bei dieser Gelegenheit an ihm rühmten, ist
thatsächlich, nicht bemerkbar. Dagegen findet man in einzelnen dieser Snlon-
stncke, wie im „Waldesrauschen," ein nobles Streben, interessante Arbeit, zu¬
weilen nnr mit starkem Gewürz nendentscher Harmonik versehen, längere Me¬
lodien, als in Salonsachen gebrünchlich, und einen Zug zum traulich Beschaulichen,
zum volkstümlich Derben, der sich namentlich in hübschen Tanzformen ünßert,
bei denen er den Dreivierteltakt bevorzugt. Gegen das Ende seines Lebens lief
er auch glücklich in deu Hafen ein, wo sein Talent heimisch war und schrieb:
..Sechs deutsche Märchenbilder" (c>p. 135). Es sind: „Fran Holle, Schnee¬
wittchen, Aschenbrödel, die Bremer Stadtmusikanten, Rotkäppchen, Hans im
Glücke." Beutel komponirt diese bekannten Märchen etwas breit, aber um den
Hnnptstellen mit kurzen, geraden Strichen treffend und deutlich genug, um die
Phantasie immer im klaren zu halten. Schon der bloße Versuch, einen unge¬
wohnten Pfad einzuschlagen, wirkt wie eine Wohlthat! Sehr drollig sind die
Bremer Stadtmusikanten, in denen nach einander auftreten: Katze, Esel, Hase
und Huiid. Das Motiv der Katzen hat Beutel später für die Einleitung zu
einem Magyarentanz benutzt — ein uubeabsichtigter Hohn ans die Lehre von
der musikalischen Charakteristik.

Um dieselbe Zeit ungefähr, wo Bendels „Märchenbilder" erschienen, machte
ein andrer Komponist mit „Albumblütteru" verdientes Aufsehen. Es ist Her¬
mann Schulz (nicht zu verwechseln mit Bernhard Scholtz, der gleichfalls
W'ele, zum Teil größere Klavierwerke herausgegeben hat), eine mit Imsen im
hohen Grade verwandte Individualität. Diesen durch Liebenswürdigkeit und
einen Anflug von Kränklichkeit interessanten Bagatellen sind später größe Kla-
vierkomposit'lonen gefolgt, welche aber eine weitere Entwicklung des Komponisten
"ut deu notwendigen Sieg über das weichliche Wesen nicht zu erstreben scheinen.

Als Vorort der neuesten deutsche» Klavierkvmpvsition hat sich in den letzten
Jahren Berlin geltend gemacht. Hier traten zu gleicher Zeit mehrere junge
Künstler ans, deren Klavierwerke das Mittelmaß überragen. Es sind nament¬
lich die Gebrüder Scharwenka und Moritz Moskowsky. Die Individualität
des letztere» spricht sich um schärfsten ans dem Gebiete der behaglichen Lebens¬
freude aus, wo er seine Stimmungen in allerliebste Themen faßt. Immer
erfreut er durch eine gediegne Form, die die Bekanntschaft mit Bach und eine
vorzügliche Schule verrät. Von den beiden Scharwenka neigt der jüngere,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194123"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Klaviermusik seit Robert Schiunaun.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_471" prev="#ID_470"> in der eigentlichen Arbeit doch so viel Gediegenheit, daß man auch für seine<lb/>
Phantasie eine Zeit der größern Freiheit erwarten darf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_472"> Andre dieser jünger» Klavierkvmp»nisten haben durch Beharrlichkeit eine<lb/>
deutlichere Position erobert. Unter ihnen gebührt nach chronologischer Ordnung<lb/>
der Vortritt dem bereits verstorbenen Franz Bendel. Er hat sehr viele Irr¬<lb/>
fahrten im Reiche der Salonmnsik unternommen. Der poetische Duft, welchen<lb/>
nähere Freunde, wie Weitzmann (der Verfasser einer Geschichte des Klnvier-<lb/>
spiels, die an Kritiklosigkeit leidet) bei dieser Gelegenheit an ihm rühmten, ist<lb/>
thatsächlich, nicht bemerkbar. Dagegen findet man in einzelnen dieser Snlon-<lb/>
stncke, wie im &#x201E;Waldesrauschen," ein nobles Streben, interessante Arbeit, zu¬<lb/>
weilen nnr mit starkem Gewürz nendentscher Harmonik versehen, längere Me¬<lb/>
lodien, als in Salonsachen gebrünchlich, und einen Zug zum traulich Beschaulichen,<lb/>
zum volkstümlich Derben, der sich namentlich in hübschen Tanzformen ünßert,<lb/>
bei denen er den Dreivierteltakt bevorzugt. Gegen das Ende seines Lebens lief<lb/>
er auch glücklich in deu Hafen ein, wo sein Talent heimisch war und schrieb:<lb/>
..Sechs deutsche Märchenbilder" (c&gt;p. 135). Es sind: &#x201E;Fran Holle, Schnee¬<lb/>
wittchen, Aschenbrödel, die Bremer Stadtmusikanten, Rotkäppchen, Hans im<lb/>
Glücke." Beutel komponirt diese bekannten Märchen etwas breit, aber um den<lb/>
Hnnptstellen mit kurzen, geraden Strichen treffend und deutlich genug, um die<lb/>
Phantasie immer im klaren zu halten. Schon der bloße Versuch, einen unge¬<lb/>
wohnten Pfad einzuschlagen, wirkt wie eine Wohlthat! Sehr drollig sind die<lb/>
Bremer Stadtmusikanten, in denen nach einander auftreten: Katze, Esel, Hase<lb/>
und Huiid. Das Motiv der Katzen hat Beutel später für die Einleitung zu<lb/>
einem Magyarentanz benutzt &#x2014; ein uubeabsichtigter Hohn ans die Lehre von<lb/>
der musikalischen Charakteristik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_473"> Um dieselbe Zeit ungefähr, wo Bendels &#x201E;Märchenbilder" erschienen, machte<lb/>
ein andrer Komponist mit &#x201E;Albumblütteru" verdientes Aufsehen. Es ist Her¬<lb/>
mann Schulz (nicht zu verwechseln mit Bernhard Scholtz, der gleichfalls<lb/>
W'ele, zum Teil größere Klavierwerke herausgegeben hat), eine mit Imsen im<lb/>
hohen Grade verwandte Individualität. Diesen durch Liebenswürdigkeit und<lb/>
einen Anflug von Kränklichkeit interessanten Bagatellen sind später größe Kla-<lb/>
vierkomposit'lonen gefolgt, welche aber eine weitere Entwicklung des Komponisten<lb/>
"ut deu notwendigen Sieg über das weichliche Wesen nicht zu erstreben scheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_474" next="#ID_475"> Als Vorort der neuesten deutsche» Klavierkvmpvsition hat sich in den letzten<lb/>
Jahren Berlin geltend gemacht. Hier traten zu gleicher Zeit mehrere junge<lb/>
Künstler ans, deren Klavierwerke das Mittelmaß überragen. Es sind nament¬<lb/>
lich die Gebrüder Scharwenka und Moritz Moskowsky. Die Individualität<lb/>
des letztere» spricht sich um schärfsten ans dem Gebiete der behaglichen Lebens¬<lb/>
freude aus, wo er seine Stimmungen in allerliebste Themen faßt. Immer<lb/>
erfreut er durch eine gediegne Form, die die Bekanntschaft mit Bach und eine<lb/>
vorzügliche Schule verrät.  Von den beiden Scharwenka neigt der jüngere,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] Die Klaviermusik seit Robert Schiunaun. in der eigentlichen Arbeit doch so viel Gediegenheit, daß man auch für seine Phantasie eine Zeit der größern Freiheit erwarten darf. Andre dieser jünger» Klavierkvmp»nisten haben durch Beharrlichkeit eine deutlichere Position erobert. Unter ihnen gebührt nach chronologischer Ordnung der Vortritt dem bereits verstorbenen Franz Bendel. Er hat sehr viele Irr¬ fahrten im Reiche der Salonmnsik unternommen. Der poetische Duft, welchen nähere Freunde, wie Weitzmann (der Verfasser einer Geschichte des Klnvier- spiels, die an Kritiklosigkeit leidet) bei dieser Gelegenheit an ihm rühmten, ist thatsächlich, nicht bemerkbar. Dagegen findet man in einzelnen dieser Snlon- stncke, wie im „Waldesrauschen," ein nobles Streben, interessante Arbeit, zu¬ weilen nnr mit starkem Gewürz nendentscher Harmonik versehen, längere Me¬ lodien, als in Salonsachen gebrünchlich, und einen Zug zum traulich Beschaulichen, zum volkstümlich Derben, der sich namentlich in hübschen Tanzformen ünßert, bei denen er den Dreivierteltakt bevorzugt. Gegen das Ende seines Lebens lief er auch glücklich in deu Hafen ein, wo sein Talent heimisch war und schrieb: ..Sechs deutsche Märchenbilder" (c>p. 135). Es sind: „Fran Holle, Schnee¬ wittchen, Aschenbrödel, die Bremer Stadtmusikanten, Rotkäppchen, Hans im Glücke." Beutel komponirt diese bekannten Märchen etwas breit, aber um den Hnnptstellen mit kurzen, geraden Strichen treffend und deutlich genug, um die Phantasie immer im klaren zu halten. Schon der bloße Versuch, einen unge¬ wohnten Pfad einzuschlagen, wirkt wie eine Wohlthat! Sehr drollig sind die Bremer Stadtmusikanten, in denen nach einander auftreten: Katze, Esel, Hase und Huiid. Das Motiv der Katzen hat Beutel später für die Einleitung zu einem Magyarentanz benutzt — ein uubeabsichtigter Hohn ans die Lehre von der musikalischen Charakteristik. Um dieselbe Zeit ungefähr, wo Bendels „Märchenbilder" erschienen, machte ein andrer Komponist mit „Albumblütteru" verdientes Aufsehen. Es ist Her¬ mann Schulz (nicht zu verwechseln mit Bernhard Scholtz, der gleichfalls W'ele, zum Teil größere Klavierwerke herausgegeben hat), eine mit Imsen im hohen Grade verwandte Individualität. Diesen durch Liebenswürdigkeit und einen Anflug von Kränklichkeit interessanten Bagatellen sind später größe Kla- vierkomposit'lonen gefolgt, welche aber eine weitere Entwicklung des Komponisten "ut deu notwendigen Sieg über das weichliche Wesen nicht zu erstreben scheinen. Als Vorort der neuesten deutsche» Klavierkvmpvsition hat sich in den letzten Jahren Berlin geltend gemacht. Hier traten zu gleicher Zeit mehrere junge Künstler ans, deren Klavierwerke das Mittelmaß überragen. Es sind nament¬ lich die Gebrüder Scharwenka und Moritz Moskowsky. Die Individualität des letztere» spricht sich um schärfsten ans dem Gebiete der behaglichen Lebens¬ freude aus, wo er seine Stimmungen in allerliebste Themen faßt. Immer erfreut er durch eine gediegne Form, die die Bekanntschaft mit Bach und eine vorzügliche Schule verrät. Von den beiden Scharwenka neigt der jüngere,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/145>, abgerufen am 17.06.2024.