Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Xaver, zum brillanten Stil. Der Komponist erscheint von der Hand des Vir¬
tuosen geleitet, und seine Werke enthalten eine kleine Sammlung von Klaug-
effckteu, bald rauschenden, bald säuselnden Charakters. Eine "Staeeatoetüde"
von ihm ist nach dieser Richtung hin besonders bemerkenswert. Der ältere
Bruder Philipp erscheint als die bedeutendste, poetische Kraft nnter den jungen
Berliner Klavierkomponisten. Am meisten ans der Tiefe geholt sind einzelne
Nummern seines Cyklus "Bergfahrt"; namentlich die als "Einsamer Pfad" be¬
zeichnete mischt die Schauer und Wonnen, das Bangen und Entzücken in er¬
greifender Weise. Sehr stark fließt ihm die humoristische Ader. Seine Humo¬
resken, Albumblätter, Mazurken, Caprieeios gehören zu deu liebenswürdigsten
und eigentümlichsten Gebilden künstlerischen Frohsinns. Gern läßt er einen Teil
Übermut am Klavier aus, stürmt dahin wie der jüngste Wildfang, poltert anch,
daß mau erschrickt und zeigt dünn ein lachendes Gesicht. Es giebt wenige neuere
Komponisten, denen man so das Vergnüge" an der Sache anmerkt.

Die Genannten sind Zöglinge von Knllack. Ans dessen Lehre ging auch
I. L. Nievdö hervor, der ein hervoragendeS Talent besitzt, seine anmutigen
Gedanken klaviermäßig auszuspinnen. Er schüttet die ausgesuchtesten Spielarten
uur so hin; immer geht es bei ihm lebendig zu, zuweilen auch wild. Nach dem
zu urteilen, was seine "Italienischen Volkstänze" und seine "Etüden für den
Vortrng" merken lassen, scheint der junge Komponist alle Fähigkeiten zu einer
guten komischen Oper zu haben. Viel Jugendkraft zeigt Heidingsfeld. Einer
der jungen Berliner Komponisten ist wegen eines Neuernngsversuches zu er¬
wähnen, dem vou etlichen Stellen aus eine größere Bedeutung beigelegt worden
ist. Es ist Paul Geißler mit einem Hefte Klavierstücke, das deu Titel
"Monologe" führt. Diese "Monologe" sind freie Phantasien über musikalisch
gestimmte Szenen aus bekannteren und unbekannteren Gedichten. Mit ersicht¬
licher Absicht sind darin alle festen Formen vermieden, das Präludium wird
aufgelöst in Akkordtränmereien, das Lied in Jnterjektionen. Ihr Stil ist
ein Gemisch heterogener Elemente, die allerdings ein poetischer Drang lose zu¬
sammenheilt. Die Einwirkung Lisztscher Vorbilder ist nicht zu verkeimen, sie
läßt sich bis in die Details des musikalischen Ausdrucks verfolgen, in dem Vor¬
walten rhetorischer Baßmelvdien und der Neigung zu absonderlichen Klanglagen.
Als eignes Gut des Komponisten bemerkt man nnr einen eigensinnigen Hang
zu Seqnenzen. Über den Versuch, neue Formen zu gewinnen, kann man sich
ja freuen, der Grad des musikalischen Könnens aber, mit dem er unternommen
worden ist, läßt sich nicht als ungewöhnlich bezeichnen, und für Kunstwerke
können wir diese "Monologe" nicht erklären.

Ein völlig mißglückter Versuch, die Führer der neudeutschen Partei auf
dem Klavier zu kopiren und zu überbieten, ging von einer Dame aus: Aline.
Hunde, die in ihren Klavierkompvsitivnen an Übertreibungen jeglicher Art das
ärgste geleistet hat, was die neuere Klaiermusik bietet. Der Rarität halber


Xaver, zum brillanten Stil. Der Komponist erscheint von der Hand des Vir¬
tuosen geleitet, und seine Werke enthalten eine kleine Sammlung von Klaug-
effckteu, bald rauschenden, bald säuselnden Charakters. Eine „Staeeatoetüde"
von ihm ist nach dieser Richtung hin besonders bemerkenswert. Der ältere
Bruder Philipp erscheint als die bedeutendste, poetische Kraft nnter den jungen
Berliner Klavierkomponisten. Am meisten ans der Tiefe geholt sind einzelne
Nummern seines Cyklus „Bergfahrt"; namentlich die als „Einsamer Pfad" be¬
zeichnete mischt die Schauer und Wonnen, das Bangen und Entzücken in er¬
greifender Weise. Sehr stark fließt ihm die humoristische Ader. Seine Humo¬
resken, Albumblätter, Mazurken, Caprieeios gehören zu deu liebenswürdigsten
und eigentümlichsten Gebilden künstlerischen Frohsinns. Gern läßt er einen Teil
Übermut am Klavier aus, stürmt dahin wie der jüngste Wildfang, poltert anch,
daß mau erschrickt und zeigt dünn ein lachendes Gesicht. Es giebt wenige neuere
Komponisten, denen man so das Vergnüge» an der Sache anmerkt.

Die Genannten sind Zöglinge von Knllack. Ans dessen Lehre ging auch
I. L. Nievdö hervor, der ein hervoragendeS Talent besitzt, seine anmutigen
Gedanken klaviermäßig auszuspinnen. Er schüttet die ausgesuchtesten Spielarten
uur so hin; immer geht es bei ihm lebendig zu, zuweilen auch wild. Nach dem
zu urteilen, was seine „Italienischen Volkstänze" und seine „Etüden für den
Vortrng" merken lassen, scheint der junge Komponist alle Fähigkeiten zu einer
guten komischen Oper zu haben. Viel Jugendkraft zeigt Heidingsfeld. Einer
der jungen Berliner Komponisten ist wegen eines Neuernngsversuches zu er¬
wähnen, dem vou etlichen Stellen aus eine größere Bedeutung beigelegt worden
ist. Es ist Paul Geißler mit einem Hefte Klavierstücke, das deu Titel
„Monologe" führt. Diese „Monologe" sind freie Phantasien über musikalisch
gestimmte Szenen aus bekannteren und unbekannteren Gedichten. Mit ersicht¬
licher Absicht sind darin alle festen Formen vermieden, das Präludium wird
aufgelöst in Akkordtränmereien, das Lied in Jnterjektionen. Ihr Stil ist
ein Gemisch heterogener Elemente, die allerdings ein poetischer Drang lose zu¬
sammenheilt. Die Einwirkung Lisztscher Vorbilder ist nicht zu verkeimen, sie
läßt sich bis in die Details des musikalischen Ausdrucks verfolgen, in dem Vor¬
walten rhetorischer Baßmelvdien und der Neigung zu absonderlichen Klanglagen.
Als eignes Gut des Komponisten bemerkt man nnr einen eigensinnigen Hang
zu Seqnenzen. Über den Versuch, neue Formen zu gewinnen, kann man sich
ja freuen, der Grad des musikalischen Könnens aber, mit dem er unternommen
worden ist, läßt sich nicht als ungewöhnlich bezeichnen, und für Kunstwerke
können wir diese „Monologe" nicht erklären.

Ein völlig mißglückter Versuch, die Führer der neudeutschen Partei auf
dem Klavier zu kopiren und zu überbieten, ging von einer Dame aus: Aline.
Hunde, die in ihren Klavierkompvsitivnen an Übertreibungen jeglicher Art das
ärgste geleistet hat, was die neuere Klaiermusik bietet. Der Rarität halber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194124"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_475" prev="#ID_474"> Xaver, zum brillanten Stil. Der Komponist erscheint von der Hand des Vir¬<lb/>
tuosen geleitet, und seine Werke enthalten eine kleine Sammlung von Klaug-<lb/>
effckteu, bald rauschenden, bald säuselnden Charakters. Eine &#x201E;Staeeatoetüde"<lb/>
von ihm ist nach dieser Richtung hin besonders bemerkenswert. Der ältere<lb/>
Bruder Philipp erscheint als die bedeutendste, poetische Kraft nnter den jungen<lb/>
Berliner Klavierkomponisten. Am meisten ans der Tiefe geholt sind einzelne<lb/>
Nummern seines Cyklus &#x201E;Bergfahrt"; namentlich die als &#x201E;Einsamer Pfad" be¬<lb/>
zeichnete mischt die Schauer und Wonnen, das Bangen und Entzücken in er¬<lb/>
greifender Weise. Sehr stark fließt ihm die humoristische Ader. Seine Humo¬<lb/>
resken, Albumblätter, Mazurken, Caprieeios gehören zu deu liebenswürdigsten<lb/>
und eigentümlichsten Gebilden künstlerischen Frohsinns. Gern läßt er einen Teil<lb/>
Übermut am Klavier aus, stürmt dahin wie der jüngste Wildfang, poltert anch,<lb/>
daß mau erschrickt und zeigt dünn ein lachendes Gesicht. Es giebt wenige neuere<lb/>
Komponisten, denen man so das Vergnüge» an der Sache anmerkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_476"> Die Genannten sind Zöglinge von Knllack. Ans dessen Lehre ging auch<lb/>
I. L. Nievdö hervor, der ein hervoragendeS Talent besitzt, seine anmutigen<lb/>
Gedanken klaviermäßig auszuspinnen. Er schüttet die ausgesuchtesten Spielarten<lb/>
uur so hin; immer geht es bei ihm lebendig zu, zuweilen auch wild. Nach dem<lb/>
zu urteilen, was seine &#x201E;Italienischen Volkstänze" und seine &#x201E;Etüden für den<lb/>
Vortrng" merken lassen, scheint der junge Komponist alle Fähigkeiten zu einer<lb/>
guten komischen Oper zu haben. Viel Jugendkraft zeigt Heidingsfeld. Einer<lb/>
der jungen Berliner Komponisten ist wegen eines Neuernngsversuches zu er¬<lb/>
wähnen, dem vou etlichen Stellen aus eine größere Bedeutung beigelegt worden<lb/>
ist. Es ist Paul Geißler mit einem Hefte Klavierstücke, das deu Titel<lb/>
&#x201E;Monologe" führt. Diese &#x201E;Monologe" sind freie Phantasien über musikalisch<lb/>
gestimmte Szenen aus bekannteren und unbekannteren Gedichten. Mit ersicht¬<lb/>
licher Absicht sind darin alle festen Formen vermieden, das Präludium wird<lb/>
aufgelöst in Akkordtränmereien, das Lied in Jnterjektionen. Ihr Stil ist<lb/>
ein Gemisch heterogener Elemente, die allerdings ein poetischer Drang lose zu¬<lb/>
sammenheilt. Die Einwirkung Lisztscher Vorbilder ist nicht zu verkeimen, sie<lb/>
läßt sich bis in die Details des musikalischen Ausdrucks verfolgen, in dem Vor¬<lb/>
walten rhetorischer Baßmelvdien und der Neigung zu absonderlichen Klanglagen.<lb/>
Als eignes Gut des Komponisten bemerkt man nnr einen eigensinnigen Hang<lb/>
zu Seqnenzen. Über den Versuch, neue Formen zu gewinnen, kann man sich<lb/>
ja freuen, der Grad des musikalischen Könnens aber, mit dem er unternommen<lb/>
worden ist, läßt sich nicht als ungewöhnlich bezeichnen, und für Kunstwerke<lb/>
können wir diese &#x201E;Monologe" nicht erklären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_477" next="#ID_478"> Ein völlig mißglückter Versuch, die Führer der neudeutschen Partei auf<lb/>
dem Klavier zu kopiren und zu überbieten, ging von einer Dame aus: Aline.<lb/>
Hunde, die in ihren Klavierkompvsitivnen an Übertreibungen jeglicher Art das<lb/>
ärgste geleistet hat, was die neuere Klaiermusik bietet.  Der Rarität halber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] Xaver, zum brillanten Stil. Der Komponist erscheint von der Hand des Vir¬ tuosen geleitet, und seine Werke enthalten eine kleine Sammlung von Klaug- effckteu, bald rauschenden, bald säuselnden Charakters. Eine „Staeeatoetüde" von ihm ist nach dieser Richtung hin besonders bemerkenswert. Der ältere Bruder Philipp erscheint als die bedeutendste, poetische Kraft nnter den jungen Berliner Klavierkomponisten. Am meisten ans der Tiefe geholt sind einzelne Nummern seines Cyklus „Bergfahrt"; namentlich die als „Einsamer Pfad" be¬ zeichnete mischt die Schauer und Wonnen, das Bangen und Entzücken in er¬ greifender Weise. Sehr stark fließt ihm die humoristische Ader. Seine Humo¬ resken, Albumblätter, Mazurken, Caprieeios gehören zu deu liebenswürdigsten und eigentümlichsten Gebilden künstlerischen Frohsinns. Gern läßt er einen Teil Übermut am Klavier aus, stürmt dahin wie der jüngste Wildfang, poltert anch, daß mau erschrickt und zeigt dünn ein lachendes Gesicht. Es giebt wenige neuere Komponisten, denen man so das Vergnüge» an der Sache anmerkt. Die Genannten sind Zöglinge von Knllack. Ans dessen Lehre ging auch I. L. Nievdö hervor, der ein hervoragendeS Talent besitzt, seine anmutigen Gedanken klaviermäßig auszuspinnen. Er schüttet die ausgesuchtesten Spielarten uur so hin; immer geht es bei ihm lebendig zu, zuweilen auch wild. Nach dem zu urteilen, was seine „Italienischen Volkstänze" und seine „Etüden für den Vortrng" merken lassen, scheint der junge Komponist alle Fähigkeiten zu einer guten komischen Oper zu haben. Viel Jugendkraft zeigt Heidingsfeld. Einer der jungen Berliner Komponisten ist wegen eines Neuernngsversuches zu er¬ wähnen, dem vou etlichen Stellen aus eine größere Bedeutung beigelegt worden ist. Es ist Paul Geißler mit einem Hefte Klavierstücke, das deu Titel „Monologe" führt. Diese „Monologe" sind freie Phantasien über musikalisch gestimmte Szenen aus bekannteren und unbekannteren Gedichten. Mit ersicht¬ licher Absicht sind darin alle festen Formen vermieden, das Präludium wird aufgelöst in Akkordtränmereien, das Lied in Jnterjektionen. Ihr Stil ist ein Gemisch heterogener Elemente, die allerdings ein poetischer Drang lose zu¬ sammenheilt. Die Einwirkung Lisztscher Vorbilder ist nicht zu verkeimen, sie läßt sich bis in die Details des musikalischen Ausdrucks verfolgen, in dem Vor¬ walten rhetorischer Baßmelvdien und der Neigung zu absonderlichen Klanglagen. Als eignes Gut des Komponisten bemerkt man nnr einen eigensinnigen Hang zu Seqnenzen. Über den Versuch, neue Formen zu gewinnen, kann man sich ja freuen, der Grad des musikalischen Könnens aber, mit dem er unternommen worden ist, läßt sich nicht als ungewöhnlich bezeichnen, und für Kunstwerke können wir diese „Monologe" nicht erklären. Ein völlig mißglückter Versuch, die Führer der neudeutschen Partei auf dem Klavier zu kopiren und zu überbieten, ging von einer Dame aus: Aline. Hunde, die in ihren Klavierkompvsitivnen an Übertreibungen jeglicher Art das ärgste geleistet hat, was die neuere Klaiermusik bietet. Der Rarität halber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/146>, abgerufen am 17.06.2024.