Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Ein Blick auf Italien.

aucherlei Dinge giebt es, die ein Italien auszusetzen sind: ein
unreifer Parlameutarisiuns mit Parteiministerien, eine mangel¬
hafte Verwaltung, politisches Cliquenwesen, eine vielfach Thor¬
heit predigende Presse, eine auswärtige Politik mit großen An¬
sprüchen und kleinem Mute. Indeß wer billig denkt, wird sich
dabei erinnern, daß gut Ding Weile haben will, und daß Italien als Einheit
noch recht jung ist. Vor vierundzwanzig Jahren war es noch ein geographischer
begriff mit einem politischen Leben, das fast nur unterirdisch pulsirte und an
der Oberfläche von österreichischen und französischen Einflüssen, die nebenbuhle¬
risch wirkten, bewegt und gestört wurde. Die Regierungen des Landes waren
nur in ihrer Feindschaft gegen allen Fortschritt und alle Bildung ihrer Unter¬
thanen einig. Kirche und Staat bemühten sich gemeinschaftlich, das vielbegabte
^oll in tiefer Unwissenheit zu erhalten. Nur in Piemont und nach einigen
Seiten in Toskana sah man Anläufe zu besserem. Das Band der Sprache
verknüpfte nur die wenigen Gebildeten, die überhaupt lasen, sonst sprach -- wie
Viktor Hehn in seiner vortrefflichen Darstellung dieser Misere sagt*) -- jede
Landschaft ihre Mundart, die von den entfernter wohnenden nicht verstanden
wurde. Die Italiener kannten sich wenig untereinander; denn Reifen war nicht
^rede und wegen Paß- und Mauthchikanen unbequem. Gegen einen Zollverein,
>venu überhaupt an einen solchen gedacht wurde, sträubte sich der Lokalegoismus.
Die Hoffnung auf Reform schien ein Traum, und kluge Leute waren im Hin¬
blick darauf. daß die Halbinsel vom Beginn des Mittelalters an immer in Klein¬
staaten gespalten gewesen, der Meinung, der gegenwärtige Zustand sei vollkommen



*) Italien, Ansichten und Streiflichter, 2. Ruft., S. 307 ff.
Grenzboten IV. 1882.20


Ein Blick auf Italien.

aucherlei Dinge giebt es, die ein Italien auszusetzen sind: ein
unreifer Parlameutarisiuns mit Parteiministerien, eine mangel¬
hafte Verwaltung, politisches Cliquenwesen, eine vielfach Thor¬
heit predigende Presse, eine auswärtige Politik mit großen An¬
sprüchen und kleinem Mute. Indeß wer billig denkt, wird sich
dabei erinnern, daß gut Ding Weile haben will, und daß Italien als Einheit
noch recht jung ist. Vor vierundzwanzig Jahren war es noch ein geographischer
begriff mit einem politischen Leben, das fast nur unterirdisch pulsirte und an
der Oberfläche von österreichischen und französischen Einflüssen, die nebenbuhle¬
risch wirkten, bewegt und gestört wurde. Die Regierungen des Landes waren
nur in ihrer Feindschaft gegen allen Fortschritt und alle Bildung ihrer Unter¬
thanen einig. Kirche und Staat bemühten sich gemeinschaftlich, das vielbegabte
^oll in tiefer Unwissenheit zu erhalten. Nur in Piemont und nach einigen
Seiten in Toskana sah man Anläufe zu besserem. Das Band der Sprache
verknüpfte nur die wenigen Gebildeten, die überhaupt lasen, sonst sprach — wie
Viktor Hehn in seiner vortrefflichen Darstellung dieser Misere sagt*) — jede
Landschaft ihre Mundart, die von den entfernter wohnenden nicht verstanden
wurde. Die Italiener kannten sich wenig untereinander; denn Reifen war nicht
^rede und wegen Paß- und Mauthchikanen unbequem. Gegen einen Zollverein,
>venu überhaupt an einen solchen gedacht wurde, sträubte sich der Lokalegoismus.
Die Hoffnung auf Reform schien ein Traum, und kluge Leute waren im Hin¬
blick darauf. daß die Halbinsel vom Beginn des Mittelalters an immer in Klein¬
staaten gespalten gewesen, der Meinung, der gegenwärtige Zustand sei vollkommen



*) Italien, Ansichten und Streiflichter, 2. Ruft., S. 307 ff.
Grenzboten IV. 1882.20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194135"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341835_359176/figures/grenzboten_341835_359176_194135_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein Blick auf Italien.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_542" next="#ID_543"> aucherlei Dinge giebt es, die ein Italien auszusetzen sind: ein<lb/>
unreifer Parlameutarisiuns mit Parteiministerien, eine mangel¬<lb/>
hafte Verwaltung, politisches Cliquenwesen, eine vielfach Thor¬<lb/>
heit predigende Presse, eine auswärtige Politik mit großen An¬<lb/>
sprüchen und kleinem Mute. Indeß wer billig denkt, wird sich<lb/>
dabei erinnern, daß gut Ding Weile haben will, und daß Italien als Einheit<lb/>
noch recht jung ist. Vor vierundzwanzig Jahren war es noch ein geographischer<lb/>
begriff mit einem politischen Leben, das fast nur unterirdisch pulsirte und an<lb/>
der Oberfläche von österreichischen und französischen Einflüssen, die nebenbuhle¬<lb/>
risch wirkten, bewegt und gestört wurde. Die Regierungen des Landes waren<lb/>
nur in ihrer Feindschaft gegen allen Fortschritt und alle Bildung ihrer Unter¬<lb/>
thanen einig. Kirche und Staat bemühten sich gemeinschaftlich, das vielbegabte<lb/>
^oll in tiefer Unwissenheit zu erhalten. Nur in Piemont und nach einigen<lb/>
Seiten in Toskana sah man Anläufe zu besserem. Das Band der Sprache<lb/>
verknüpfte nur die wenigen Gebildeten, die überhaupt lasen, sonst sprach &#x2014; wie<lb/>
Viktor Hehn in seiner vortrefflichen Darstellung dieser Misere sagt*) &#x2014; jede<lb/>
Landschaft ihre Mundart, die von den entfernter wohnenden nicht verstanden<lb/>
wurde. Die Italiener kannten sich wenig untereinander; denn Reifen war nicht<lb/>
^rede und wegen Paß- und Mauthchikanen unbequem. Gegen einen Zollverein,<lb/>
&gt;venu überhaupt an einen solchen gedacht wurde, sträubte sich der Lokalegoismus.<lb/>
Die Hoffnung auf Reform schien ein Traum, und kluge Leute waren im Hin¬<lb/>
blick darauf. daß die Halbinsel vom Beginn des Mittelalters an immer in Klein¬<lb/>
staaten gespalten gewesen, der Meinung, der gegenwärtige Zustand sei vollkommen</p><lb/>
          <note xml:id="FID_11" place="foot"> *) Italien, Ansichten und Streiflichter, 2. Ruft., S. 307 ff.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1882.20</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] [Abbildung] Ein Blick auf Italien. aucherlei Dinge giebt es, die ein Italien auszusetzen sind: ein unreifer Parlameutarisiuns mit Parteiministerien, eine mangel¬ hafte Verwaltung, politisches Cliquenwesen, eine vielfach Thor¬ heit predigende Presse, eine auswärtige Politik mit großen An¬ sprüchen und kleinem Mute. Indeß wer billig denkt, wird sich dabei erinnern, daß gut Ding Weile haben will, und daß Italien als Einheit noch recht jung ist. Vor vierundzwanzig Jahren war es noch ein geographischer begriff mit einem politischen Leben, das fast nur unterirdisch pulsirte und an der Oberfläche von österreichischen und französischen Einflüssen, die nebenbuhle¬ risch wirkten, bewegt und gestört wurde. Die Regierungen des Landes waren nur in ihrer Feindschaft gegen allen Fortschritt und alle Bildung ihrer Unter¬ thanen einig. Kirche und Staat bemühten sich gemeinschaftlich, das vielbegabte ^oll in tiefer Unwissenheit zu erhalten. Nur in Piemont und nach einigen Seiten in Toskana sah man Anläufe zu besserem. Das Band der Sprache verknüpfte nur die wenigen Gebildeten, die überhaupt lasen, sonst sprach — wie Viktor Hehn in seiner vortrefflichen Darstellung dieser Misere sagt*) — jede Landschaft ihre Mundart, die von den entfernter wohnenden nicht verstanden wurde. Die Italiener kannten sich wenig untereinander; denn Reifen war nicht ^rede und wegen Paß- und Mauthchikanen unbequem. Gegen einen Zollverein, >venu überhaupt an einen solchen gedacht wurde, sträubte sich der Lokalegoismus. Die Hoffnung auf Reform schien ein Traum, und kluge Leute waren im Hin¬ blick darauf. daß die Halbinsel vom Beginn des Mittelalters an immer in Klein¬ staaten gespalten gewesen, der Meinung, der gegenwärtige Zustand sei vollkommen *) Italien, Ansichten und Streiflichter, 2. Ruft., S. 307 ff. Grenzboten IV. 1882.20

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/157>, abgerufen am 17.06.2024.