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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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(Line neue Ergänzung der inilonischen Venus.

ringste Stütze und ist von allen maßgebenden Beurteilern verworfen worden.
Die Statue ist durchaus als Einzelfigur zu betrachten und als solche zu erklären.
Zwei Auffassungen sind es, die hier seit Jahrzehnten einander gegenüberstehen.
Nach der einen hätte die Venus mit beiden Händen einen auf das linke, vor¬
tretende Knie gestützten Schild -- den Schild des Mars -- gehalten, in
Welchem sie sich spiegelte; so hat zuletzt noch der Bildhauer Wittich die Statue
ergänzt. (Vgl. Lützows Zeitschrift für bildende Kunst, 1870.) Nach der andern
Auffassung hätte die Göttin mit der Rechten das herabgleitende Gewand in der
Nähe des Schooßes erfaßt, in der Linken, ähnlich wie die Venus von Capua,
einen Apfel -- den Siegespreis nach dem Urteil des Paris oder das Symbol
der Liebe -- triumphirend dem Beschauer entgegengehalten. Nach der zweiten
Annahme hätten wir also in den beiden Fragmenten, welche sich außer der
Statue selbst noch im Louvre befinden, welche nach den Fundberichten zugleich
mit der Statue gefunden worden sind, welche aber von den Vertretern des
Schildes als nicht zur Statue gehörig bei Seite geschoben worden: einem Arm¬
stück und einer verstümmelten halbgeschlossenen linken Hand, die einen runden
Gegenstand hält, Teile der Statue zu erblicken.

Gegen beide Annahmen sprechen eine Reihe von Bedenken, von denen hier
wenigstens die wichtigsten wiedergegeben werden mögen. Schon der Heraus¬
geber der Zeitschrift für bildende Kunst, C. v. Lützow, begleitete die Restau¬
ration Wittichs mit der richtigen Bemerkung, daß der in die Ferne gerichtete
Blick der Venus sich kaum mit einer Bespiegelung im Schilde vereinbaren lasse.
Dazu kommt ein anatomisches Bedenken. Das an der Statue erhaltene Bruch¬
stück des rechten Oberarmes ist fest gegen die Brust gedrückt und stark nach
links herüber gezogen. Diese Haltung wird in dem Augenblicke unnatürlich,
ja unmöglich, wo der Arm, wenn auch nach links abgebogen, mit ausgestrecktem
Unterarm einen auf dem linken Schenkel ruhenden Gegenstand hält; dann hört
die Pressung gegen die Brust auf, und der Oberarm wird frei. Die ganze Schild¬
hypothese ist ja aber nur deshalb entstanden, weil man Mißtrauen gegen die
Zusammengehörigkeit der erwähnten Fragmente mit der Statue hegte, und dieses
Mißtrauen wiederum gründete sich vor allem auf die Beschaffenheit des Bruch¬
stückes der linken Hand. Die Art, in welcher die linke Hand den angeblichen
Apfel hält, verträgt sich durchaus nicht mit einem triumphirenden Zeigen des¬
selben. Während dem letztern Gestus ein Halten des Apfels mit dem Daumen,
dem Zeige- und dem Mittelfinger, bei eingezogenem vierten und fünften Finger
entsprechen würde, sehen wir an der erhaltenen Hand die beiden letzten Finger
sich fest um den Apfel schließen, den Mittel- und den Zeigefinger dagegen, den
einen weniger, den andern mehr, sich über denselben erheben. Gleichwohl läßt
eine unbefangene Prüfung der Fundberichte kaum einen Zweifel darüber, daß
diese Fragmente zur Statue gehören, ja daß außerdem ein drittes zu ihr gc-
gehörte, welches verloren ist und welches, wenn es erhalten wäre, die ganze Schild-


Grenzbvten IV. 1882. 23
(Line neue Ergänzung der inilonischen Venus.

ringste Stütze und ist von allen maßgebenden Beurteilern verworfen worden.
Die Statue ist durchaus als Einzelfigur zu betrachten und als solche zu erklären.
Zwei Auffassungen sind es, die hier seit Jahrzehnten einander gegenüberstehen.
Nach der einen hätte die Venus mit beiden Händen einen auf das linke, vor¬
tretende Knie gestützten Schild — den Schild des Mars — gehalten, in
Welchem sie sich spiegelte; so hat zuletzt noch der Bildhauer Wittich die Statue
ergänzt. (Vgl. Lützows Zeitschrift für bildende Kunst, 1870.) Nach der andern
Auffassung hätte die Göttin mit der Rechten das herabgleitende Gewand in der
Nähe des Schooßes erfaßt, in der Linken, ähnlich wie die Venus von Capua,
einen Apfel — den Siegespreis nach dem Urteil des Paris oder das Symbol
der Liebe — triumphirend dem Beschauer entgegengehalten. Nach der zweiten
Annahme hätten wir also in den beiden Fragmenten, welche sich außer der
Statue selbst noch im Louvre befinden, welche nach den Fundberichten zugleich
mit der Statue gefunden worden sind, welche aber von den Vertretern des
Schildes als nicht zur Statue gehörig bei Seite geschoben worden: einem Arm¬
stück und einer verstümmelten halbgeschlossenen linken Hand, die einen runden
Gegenstand hält, Teile der Statue zu erblicken.

Gegen beide Annahmen sprechen eine Reihe von Bedenken, von denen hier
wenigstens die wichtigsten wiedergegeben werden mögen. Schon der Heraus¬
geber der Zeitschrift für bildende Kunst, C. v. Lützow, begleitete die Restau¬
ration Wittichs mit der richtigen Bemerkung, daß der in die Ferne gerichtete
Blick der Venus sich kaum mit einer Bespiegelung im Schilde vereinbaren lasse.
Dazu kommt ein anatomisches Bedenken. Das an der Statue erhaltene Bruch¬
stück des rechten Oberarmes ist fest gegen die Brust gedrückt und stark nach
links herüber gezogen. Diese Haltung wird in dem Augenblicke unnatürlich,
ja unmöglich, wo der Arm, wenn auch nach links abgebogen, mit ausgestrecktem
Unterarm einen auf dem linken Schenkel ruhenden Gegenstand hält; dann hört
die Pressung gegen die Brust auf, und der Oberarm wird frei. Die ganze Schild¬
hypothese ist ja aber nur deshalb entstanden, weil man Mißtrauen gegen die
Zusammengehörigkeit der erwähnten Fragmente mit der Statue hegte, und dieses
Mißtrauen wiederum gründete sich vor allem auf die Beschaffenheit des Bruch¬
stückes der linken Hand. Die Art, in welcher die linke Hand den angeblichen
Apfel hält, verträgt sich durchaus nicht mit einem triumphirenden Zeigen des¬
selben. Während dem letztern Gestus ein Halten des Apfels mit dem Daumen,
dem Zeige- und dem Mittelfinger, bei eingezogenem vierten und fünften Finger
entsprechen würde, sehen wir an der erhaltenen Hand die beiden letzten Finger
sich fest um den Apfel schließen, den Mittel- und den Zeigefinger dagegen, den
einen weniger, den andern mehr, sich über denselben erheben. Gleichwohl läßt
eine unbefangene Prüfung der Fundberichte kaum einen Zweifel darüber, daß
diese Fragmente zur Statue gehören, ja daß außerdem ein drittes zu ihr gc-
gehörte, welches verloren ist und welches, wenn es erhalten wäre, die ganze Schild-


Grenzbvten IV. 1882. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/181>, abgerufen am 17.06.2024.