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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Hypothese unmöglich gemacht hätte. Übereinstimmend wird von den ersten Be¬
obachtern berichtet, daß die Statue mit abgebrochenen Armen gefunden worden
sei; einer versichert, daß beide Arme bei der Statue am Boden gelegen haben,
und zwar der rechte in der Haltung, als wolle er das fallende Gewand auf
der linken Hüfte zurückhalten, der linke einen Apfel emporhaltend.

Nach allem scheint folgendes festzustehen. Die erhaltenen Bruchstücke eines
Armes und einer linken Hand gehören zur streue, womit die Annahme des
Schildes von selbst hinfällig wird. An ein triumphirendes Vorzeigen des in der
linken Hand befindlichen Gegenstandes zu denken verbietet aber die Beschaffen¬
heit der Hand selbst. Eine neue Ergänzung der Statue also wird, wenn sie
Aussicht auf Zustimmung haben will, vor allem eine ungezwungene, befriedigende
Erklärung der linken Hand geben müssen. Dies ist denn auch der Punkt, wo
der Verfasser unsrer Schrift den Hebel ansetzt.

Hasse giebt -- und hierin liegt das Hauptverdienst seiner Studie -- eine
sachmüunisch genaue anatomische Analyse nicht bloß der beiden wichtigen Frag¬
mente, sondern auch der Statue selbst in ihren einzelnen Teilen. Von der
Voraussetzung ausgehend, daß der Schöpfer des Bildwerkes selbst genaue ana¬
tomische Kenntnisse gehabt habe, einer Voraussetzung, die bei weiterer Betrach¬
tung Schritt für Schritt die glänzendste Bestätigung findet, berichtet er einfach,
was ihn:, dem Kenner des lebenden menschlichen Körpers, die einzelnen Körper¬
teile der Statue, ihre Stellung und ihre Muskulatur erzählen, und knüpft darau
die von selbst sich ergebenden Konsequenzen. Die Hauptsätze seiner Analyse sind
folgende.

Das größere Bruchstück ist ein Stück des linken Oberarms. Ein Merkmal
an ihm ist besonders bedeutsam: der Wulst am Ellbogeneude, welcher sich nach
vorn abwärts allmählich verbreitert, abflacht und gegen die Oberfläche verliert.
Es ist der Bcugewulst, welcher an dieser Stelle eines jeden Oberarms in dem¬
selben Augenblicke erscheint, wo der Unterarm gegen den Oberarm stark gebogen
wird. Er ist ein unumstößlicher anatomischer Beweis dafür, daß der Unterarm
in starker Beugestellung gegen den Oberarm gehalten war, und zwar im wesent¬
lichen in der Ebene des Oberarms.

Die linke Hand, deren Finger leider arg verstümmelt sind, ist eine gut
gebildete, fleischige Frauenhand, deren Maßverhältnisse ebenso wie die des Ober¬
armstückes vollkommen denen der Statue entsprechen. Von jeher ist der an¬
gebliche Apfel und die Art, wie er gehalten wird, auffällig gewesen. Er ist
nicht größer als eine große wälsche Nuß und unten abgeplattet. Gehalten wird
er in der Hauptsache vom Daumen, vom vierten und vom fünften Finger,
während der Mittelfinger halb, der Zeigefinger beinahe ganz geöffnet ist.

Sehr bezeichnend ist die Haltung des an der Statue selbst befindlichen
rechten Oberarmstückes; sie wirft ans die Stellung des verloren gegangenen Arm¬
teiles ein klares Licht. Das Armstück ist eng an die Brust angeschmiegt. Dieser


Hypothese unmöglich gemacht hätte. Übereinstimmend wird von den ersten Be¬
obachtern berichtet, daß die Statue mit abgebrochenen Armen gefunden worden
sei; einer versichert, daß beide Arme bei der Statue am Boden gelegen haben,
und zwar der rechte in der Haltung, als wolle er das fallende Gewand auf
der linken Hüfte zurückhalten, der linke einen Apfel emporhaltend.

Nach allem scheint folgendes festzustehen. Die erhaltenen Bruchstücke eines
Armes und einer linken Hand gehören zur streue, womit die Annahme des
Schildes von selbst hinfällig wird. An ein triumphirendes Vorzeigen des in der
linken Hand befindlichen Gegenstandes zu denken verbietet aber die Beschaffen¬
heit der Hand selbst. Eine neue Ergänzung der Statue also wird, wenn sie
Aussicht auf Zustimmung haben will, vor allem eine ungezwungene, befriedigende
Erklärung der linken Hand geben müssen. Dies ist denn auch der Punkt, wo
der Verfasser unsrer Schrift den Hebel ansetzt.

Hasse giebt — und hierin liegt das Hauptverdienst seiner Studie — eine
sachmüunisch genaue anatomische Analyse nicht bloß der beiden wichtigen Frag¬
mente, sondern auch der Statue selbst in ihren einzelnen Teilen. Von der
Voraussetzung ausgehend, daß der Schöpfer des Bildwerkes selbst genaue ana¬
tomische Kenntnisse gehabt habe, einer Voraussetzung, die bei weiterer Betrach¬
tung Schritt für Schritt die glänzendste Bestätigung findet, berichtet er einfach,
was ihn:, dem Kenner des lebenden menschlichen Körpers, die einzelnen Körper¬
teile der Statue, ihre Stellung und ihre Muskulatur erzählen, und knüpft darau
die von selbst sich ergebenden Konsequenzen. Die Hauptsätze seiner Analyse sind
folgende.

Das größere Bruchstück ist ein Stück des linken Oberarms. Ein Merkmal
an ihm ist besonders bedeutsam: der Wulst am Ellbogeneude, welcher sich nach
vorn abwärts allmählich verbreitert, abflacht und gegen die Oberfläche verliert.
Es ist der Bcugewulst, welcher an dieser Stelle eines jeden Oberarms in dem¬
selben Augenblicke erscheint, wo der Unterarm gegen den Oberarm stark gebogen
wird. Er ist ein unumstößlicher anatomischer Beweis dafür, daß der Unterarm
in starker Beugestellung gegen den Oberarm gehalten war, und zwar im wesent¬
lichen in der Ebene des Oberarms.

Die linke Hand, deren Finger leider arg verstümmelt sind, ist eine gut
gebildete, fleischige Frauenhand, deren Maßverhältnisse ebenso wie die des Ober¬
armstückes vollkommen denen der Statue entsprechen. Von jeher ist der an¬
gebliche Apfel und die Art, wie er gehalten wird, auffällig gewesen. Er ist
nicht größer als eine große wälsche Nuß und unten abgeplattet. Gehalten wird
er in der Hauptsache vom Daumen, vom vierten und vom fünften Finger,
während der Mittelfinger halb, der Zeigefinger beinahe ganz geöffnet ist.

Sehr bezeichnend ist die Haltung des an der Statue selbst befindlichen
rechten Oberarmstückes; sie wirft ans die Stellung des verloren gegangenen Arm¬
teiles ein klares Licht. Das Armstück ist eng an die Brust angeschmiegt. Dieser


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[0182] Hypothese unmöglich gemacht hätte. Übereinstimmend wird von den ersten Be¬ obachtern berichtet, daß die Statue mit abgebrochenen Armen gefunden worden sei; einer versichert, daß beide Arme bei der Statue am Boden gelegen haben, und zwar der rechte in der Haltung, als wolle er das fallende Gewand auf der linken Hüfte zurückhalten, der linke einen Apfel emporhaltend. Nach allem scheint folgendes festzustehen. Die erhaltenen Bruchstücke eines Armes und einer linken Hand gehören zur streue, womit die Annahme des Schildes von selbst hinfällig wird. An ein triumphirendes Vorzeigen des in der linken Hand befindlichen Gegenstandes zu denken verbietet aber die Beschaffen¬ heit der Hand selbst. Eine neue Ergänzung der Statue also wird, wenn sie Aussicht auf Zustimmung haben will, vor allem eine ungezwungene, befriedigende Erklärung der linken Hand geben müssen. Dies ist denn auch der Punkt, wo der Verfasser unsrer Schrift den Hebel ansetzt. Hasse giebt — und hierin liegt das Hauptverdienst seiner Studie — eine sachmüunisch genaue anatomische Analyse nicht bloß der beiden wichtigen Frag¬ mente, sondern auch der Statue selbst in ihren einzelnen Teilen. Von der Voraussetzung ausgehend, daß der Schöpfer des Bildwerkes selbst genaue ana¬ tomische Kenntnisse gehabt habe, einer Voraussetzung, die bei weiterer Betrach¬ tung Schritt für Schritt die glänzendste Bestätigung findet, berichtet er einfach, was ihn:, dem Kenner des lebenden menschlichen Körpers, die einzelnen Körper¬ teile der Statue, ihre Stellung und ihre Muskulatur erzählen, und knüpft darau die von selbst sich ergebenden Konsequenzen. Die Hauptsätze seiner Analyse sind folgende. Das größere Bruchstück ist ein Stück des linken Oberarms. Ein Merkmal an ihm ist besonders bedeutsam: der Wulst am Ellbogeneude, welcher sich nach vorn abwärts allmählich verbreitert, abflacht und gegen die Oberfläche verliert. Es ist der Bcugewulst, welcher an dieser Stelle eines jeden Oberarms in dem¬ selben Augenblicke erscheint, wo der Unterarm gegen den Oberarm stark gebogen wird. Er ist ein unumstößlicher anatomischer Beweis dafür, daß der Unterarm in starker Beugestellung gegen den Oberarm gehalten war, und zwar im wesent¬ lichen in der Ebene des Oberarms. Die linke Hand, deren Finger leider arg verstümmelt sind, ist eine gut gebildete, fleischige Frauenhand, deren Maßverhältnisse ebenso wie die des Ober¬ armstückes vollkommen denen der Statue entsprechen. Von jeher ist der an¬ gebliche Apfel und die Art, wie er gehalten wird, auffällig gewesen. Er ist nicht größer als eine große wälsche Nuß und unten abgeplattet. Gehalten wird er in der Hauptsache vom Daumen, vom vierten und vom fünften Finger, während der Mittelfinger halb, der Zeigefinger beinahe ganz geöffnet ist. Sehr bezeichnend ist die Haltung des an der Statue selbst befindlichen rechten Oberarmstückes; sie wirft ans die Stellung des verloren gegangenen Arm¬ teiles ein klares Licht. Das Armstück ist eng an die Brust angeschmiegt. Dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/182>, abgerufen am 17.06.2024.