Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Gpilog zum j)cirsifal.

Gewinn gezählt und schmunzelnd, nachdem der Millionenftrom allsgetröpfelt
war, blankes, rotes Gold in ihre Kassetten gestrichen. Selbst das an allen
Schaufenstern in den mannichfaltigsten Formaten, gestochen, gemeißelt und
sogar als Pfeifenkopf modellirt prangende Porträt des "Meisters" hat seinen
siegesfrohen Ausdruck verloren und schaut ernst und trübe auf öde Straßen
und leere Plätze, und der Tempel, den sich der "Meister" auf der luftigen
Höhe der Bürgerreuth so groß und prätentiös erbaut hat, wird für lange
Zeit wieder vereinsamt sein. Der heilige Gral bleibt den Augen darnach schmach¬
tender Jünger verhüllt und Burg Monsalvat blickt trauernd und verlassen in
das stille, von Nebeln und Regeuschauern erfüllte Thal.

Über "Parsifal," das Textbuch und sein Verhältnis zur Dichtung Wolframs
von Eschenbach, über Ausstattung und Jnszenirung des Werkes, über Dekora¬
tionen, Kostüme, Ritter und Blumenmädchen hat man seit Jahren so viel Tinte
verschriebe,,, daß es vermessenes Beginnen wäre, darauf zurückkommen zu wollen.
Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß fast in allen diesen ästhetisirenden Betrach¬
tungen die Hauptsache jeder Oper, die Musik, verhältnismäßig geringe Beach¬
tung und nur wenig eingehende Beurteilung gefunden hat. Der Grund dieser
Erscheinung ist, abgesehen davon, daß viele der bedeutendsten Fachkritiker, über¬
zeugt von der Nutzlosigkeit aller Bemühungen, dem im Irrwahn befangenen
Publikum über Wagners künstlerische Begabung, wie über seine Verkehrtheiten
und Irrtümer den Staar zu stechen, ferne geblieben sind, doch wohl nur in
dem Umstände zu suchen, daß die Mehrzahl der von allen großen Blättern
entsandten Berichterstatter zwar mehr oder minder philosophisch geschulte Kri¬
tiker und sedergewandte Schriftsteller, aber keine urteilsfähigen Musiker waren.
Sobald sie einmal notgedrungen die Rede auf die Musik brachten, eilten sie
entweder flüchtig über diesen wichtigsten Teil des Werkes hinweg oder verloren
sich in nichtssagenden Gefasel, das dem Leser nicht nur keinerlei Aufklärung
und Verständnis bot, sondern, in abgeschmackten Phantastereien sich verlierend,
den nach Erkenntnis verlangenden nur noch mehr verwirrte.

Sprichwörter sagen: "Der Meister kann die Form zerbrechen" und "Nur
Lumpe sind bescheiden" und "Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt
man ohne ihr." Wagner zerbricht die Formen der Sprache und der Tonkunst,
wie die des geselligen, ans Herkommen und gegenseitige Achtung und Wert¬
schätzung gegründeten Lebens. Er ist der kühnste und rücksichtsloseste Neuerer
auf allen von ihm betretenen Gebieten und der glücklichste, denn die Welt jubelt
seinen Ausschreitungen begeistert zu und nimmt sie als höchste Offenbarungen
freudig und willig hin; mit andern Worten: sie läßt sich von ihm, dem "großen
Manne," alles bieten.

Bei welchem andern Dichter würde man eine Drangsalirung der Sprache
und einen Reimzwang entschuldigen, wie ihn Wagner sich gestattet, wenn er
Verse schmiedet, wie die folgenden:


Gpilog zum j)cirsifal.

Gewinn gezählt und schmunzelnd, nachdem der Millionenftrom allsgetröpfelt
war, blankes, rotes Gold in ihre Kassetten gestrichen. Selbst das an allen
Schaufenstern in den mannichfaltigsten Formaten, gestochen, gemeißelt und
sogar als Pfeifenkopf modellirt prangende Porträt des „Meisters" hat seinen
siegesfrohen Ausdruck verloren und schaut ernst und trübe auf öde Straßen
und leere Plätze, und der Tempel, den sich der „Meister" auf der luftigen
Höhe der Bürgerreuth so groß und prätentiös erbaut hat, wird für lange
Zeit wieder vereinsamt sein. Der heilige Gral bleibt den Augen darnach schmach¬
tender Jünger verhüllt und Burg Monsalvat blickt trauernd und verlassen in
das stille, von Nebeln und Regeuschauern erfüllte Thal.

Über „Parsifal," das Textbuch und sein Verhältnis zur Dichtung Wolframs
von Eschenbach, über Ausstattung und Jnszenirung des Werkes, über Dekora¬
tionen, Kostüme, Ritter und Blumenmädchen hat man seit Jahren so viel Tinte
verschriebe,,, daß es vermessenes Beginnen wäre, darauf zurückkommen zu wollen.
Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß fast in allen diesen ästhetisirenden Betrach¬
tungen die Hauptsache jeder Oper, die Musik, verhältnismäßig geringe Beach¬
tung und nur wenig eingehende Beurteilung gefunden hat. Der Grund dieser
Erscheinung ist, abgesehen davon, daß viele der bedeutendsten Fachkritiker, über¬
zeugt von der Nutzlosigkeit aller Bemühungen, dem im Irrwahn befangenen
Publikum über Wagners künstlerische Begabung, wie über seine Verkehrtheiten
und Irrtümer den Staar zu stechen, ferne geblieben sind, doch wohl nur in
dem Umstände zu suchen, daß die Mehrzahl der von allen großen Blättern
entsandten Berichterstatter zwar mehr oder minder philosophisch geschulte Kri¬
tiker und sedergewandte Schriftsteller, aber keine urteilsfähigen Musiker waren.
Sobald sie einmal notgedrungen die Rede auf die Musik brachten, eilten sie
entweder flüchtig über diesen wichtigsten Teil des Werkes hinweg oder verloren
sich in nichtssagenden Gefasel, das dem Leser nicht nur keinerlei Aufklärung
und Verständnis bot, sondern, in abgeschmackten Phantastereien sich verlierend,
den nach Erkenntnis verlangenden nur noch mehr verwirrte.

Sprichwörter sagen: „Der Meister kann die Form zerbrechen" und „Nur
Lumpe sind bescheiden" und „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt
man ohne ihr." Wagner zerbricht die Formen der Sprache und der Tonkunst,
wie die des geselligen, ans Herkommen und gegenseitige Achtung und Wert¬
schätzung gegründeten Lebens. Er ist der kühnste und rücksichtsloseste Neuerer
auf allen von ihm betretenen Gebieten und der glücklichste, denn die Welt jubelt
seinen Ausschreitungen begeistert zu und nimmt sie als höchste Offenbarungen
freudig und willig hin; mit andern Worten: sie läßt sich von ihm, dem „großen
Manne," alles bieten.

Bei welchem andern Dichter würde man eine Drangsalirung der Sprache
und einen Reimzwang entschuldigen, wie ihn Wagner sich gestattet, wenn er
Verse schmiedet, wie die folgenden:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194166"/>
          <fw type="header" place="top"> Gpilog zum j)cirsifal.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_630" prev="#ID_629"> Gewinn gezählt und schmunzelnd, nachdem der Millionenftrom allsgetröpfelt<lb/>
war, blankes, rotes Gold in ihre Kassetten gestrichen. Selbst das an allen<lb/>
Schaufenstern in den mannichfaltigsten Formaten, gestochen, gemeißelt und<lb/>
sogar als Pfeifenkopf modellirt prangende Porträt des &#x201E;Meisters" hat seinen<lb/>
siegesfrohen Ausdruck verloren und schaut ernst und trübe auf öde Straßen<lb/>
und leere Plätze, und der Tempel, den sich der &#x201E;Meister" auf der luftigen<lb/>
Höhe der Bürgerreuth so groß und prätentiös erbaut hat, wird für lange<lb/>
Zeit wieder vereinsamt sein. Der heilige Gral bleibt den Augen darnach schmach¬<lb/>
tender Jünger verhüllt und Burg Monsalvat blickt trauernd und verlassen in<lb/>
das stille, von Nebeln und Regeuschauern erfüllte Thal.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_631"> Über &#x201E;Parsifal," das Textbuch und sein Verhältnis zur Dichtung Wolframs<lb/>
von Eschenbach, über Ausstattung und Jnszenirung des Werkes, über Dekora¬<lb/>
tionen, Kostüme, Ritter und Blumenmädchen hat man seit Jahren so viel Tinte<lb/>
verschriebe,,, daß es vermessenes Beginnen wäre, darauf zurückkommen zu wollen.<lb/>
Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß fast in allen diesen ästhetisirenden Betrach¬<lb/>
tungen die Hauptsache jeder Oper, die Musik, verhältnismäßig geringe Beach¬<lb/>
tung und nur wenig eingehende Beurteilung gefunden hat. Der Grund dieser<lb/>
Erscheinung ist, abgesehen davon, daß viele der bedeutendsten Fachkritiker, über¬<lb/>
zeugt von der Nutzlosigkeit aller Bemühungen, dem im Irrwahn befangenen<lb/>
Publikum über Wagners künstlerische Begabung, wie über seine Verkehrtheiten<lb/>
und Irrtümer den Staar zu stechen, ferne geblieben sind, doch wohl nur in<lb/>
dem Umstände zu suchen, daß die Mehrzahl der von allen großen Blättern<lb/>
entsandten Berichterstatter zwar mehr oder minder philosophisch geschulte Kri¬<lb/>
tiker und sedergewandte Schriftsteller, aber keine urteilsfähigen Musiker waren.<lb/>
Sobald sie einmal notgedrungen die Rede auf die Musik brachten, eilten sie<lb/>
entweder flüchtig über diesen wichtigsten Teil des Werkes hinweg oder verloren<lb/>
sich in nichtssagenden Gefasel, das dem Leser nicht nur keinerlei Aufklärung<lb/>
und Verständnis bot, sondern, in abgeschmackten Phantastereien sich verlierend,<lb/>
den nach Erkenntnis verlangenden nur noch mehr verwirrte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_632"> Sprichwörter sagen: &#x201E;Der Meister kann die Form zerbrechen" und &#x201E;Nur<lb/>
Lumpe sind bescheiden" und &#x201E;Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt<lb/>
man ohne ihr." Wagner zerbricht die Formen der Sprache und der Tonkunst,<lb/>
wie die des geselligen, ans Herkommen und gegenseitige Achtung und Wert¬<lb/>
schätzung gegründeten Lebens. Er ist der kühnste und rücksichtsloseste Neuerer<lb/>
auf allen von ihm betretenen Gebieten und der glücklichste, denn die Welt jubelt<lb/>
seinen Ausschreitungen begeistert zu und nimmt sie als höchste Offenbarungen<lb/>
freudig und willig hin; mit andern Worten: sie läßt sich von ihm, dem &#x201E;großen<lb/>
Manne," alles bieten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_633" next="#ID_634"> Bei welchem andern Dichter würde man eine Drangsalirung der Sprache<lb/>
und einen Reimzwang entschuldigen, wie ihn Wagner sich gestattet, wenn er<lb/>
Verse schmiedet, wie die folgenden:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] Gpilog zum j)cirsifal. Gewinn gezählt und schmunzelnd, nachdem der Millionenftrom allsgetröpfelt war, blankes, rotes Gold in ihre Kassetten gestrichen. Selbst das an allen Schaufenstern in den mannichfaltigsten Formaten, gestochen, gemeißelt und sogar als Pfeifenkopf modellirt prangende Porträt des „Meisters" hat seinen siegesfrohen Ausdruck verloren und schaut ernst und trübe auf öde Straßen und leere Plätze, und der Tempel, den sich der „Meister" auf der luftigen Höhe der Bürgerreuth so groß und prätentiös erbaut hat, wird für lange Zeit wieder vereinsamt sein. Der heilige Gral bleibt den Augen darnach schmach¬ tender Jünger verhüllt und Burg Monsalvat blickt trauernd und verlassen in das stille, von Nebeln und Regeuschauern erfüllte Thal. Über „Parsifal," das Textbuch und sein Verhältnis zur Dichtung Wolframs von Eschenbach, über Ausstattung und Jnszenirung des Werkes, über Dekora¬ tionen, Kostüme, Ritter und Blumenmädchen hat man seit Jahren so viel Tinte verschriebe,,, daß es vermessenes Beginnen wäre, darauf zurückkommen zu wollen. Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß fast in allen diesen ästhetisirenden Betrach¬ tungen die Hauptsache jeder Oper, die Musik, verhältnismäßig geringe Beach¬ tung und nur wenig eingehende Beurteilung gefunden hat. Der Grund dieser Erscheinung ist, abgesehen davon, daß viele der bedeutendsten Fachkritiker, über¬ zeugt von der Nutzlosigkeit aller Bemühungen, dem im Irrwahn befangenen Publikum über Wagners künstlerische Begabung, wie über seine Verkehrtheiten und Irrtümer den Staar zu stechen, ferne geblieben sind, doch wohl nur in dem Umstände zu suchen, daß die Mehrzahl der von allen großen Blättern entsandten Berichterstatter zwar mehr oder minder philosophisch geschulte Kri¬ tiker und sedergewandte Schriftsteller, aber keine urteilsfähigen Musiker waren. Sobald sie einmal notgedrungen die Rede auf die Musik brachten, eilten sie entweder flüchtig über diesen wichtigsten Teil des Werkes hinweg oder verloren sich in nichtssagenden Gefasel, das dem Leser nicht nur keinerlei Aufklärung und Verständnis bot, sondern, in abgeschmackten Phantastereien sich verlierend, den nach Erkenntnis verlangenden nur noch mehr verwirrte. Sprichwörter sagen: „Der Meister kann die Form zerbrechen" und „Nur Lumpe sind bescheiden" und „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr." Wagner zerbricht die Formen der Sprache und der Tonkunst, wie die des geselligen, ans Herkommen und gegenseitige Achtung und Wert¬ schätzung gegründeten Lebens. Er ist der kühnste und rücksichtsloseste Neuerer auf allen von ihm betretenen Gebieten und der glücklichste, denn die Welt jubelt seinen Ausschreitungen begeistert zu und nimmt sie als höchste Offenbarungen freudig und willig hin; mit andern Worten: sie läßt sich von ihm, dem „großen Manne," alles bieten. Bei welchem andern Dichter würde man eine Drangsalirung der Sprache und einen Reimzwang entschuldigen, wie ihn Wagner sich gestattet, wenn er Verse schmiedet, wie die folgenden:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/188>, abgerufen am 17.06.2024.