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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Balladen und Thyrsosträger.

Während dieser Worte war ein blasser Jüngling eingetreten, der sich nach
kurzer Begrüßung still neben der Thür niederließ und aufmerksam lauschte.

Das Regieren, sagte Dr. Stahlhardt, ist wohl uicht leicht. Wenn man
bedenkt, wieviel dazu gehört, alle die verschiednen Parteien im Stande in Bot¬
mäßigkeit und so viele wechselnde Ansichten und Bestrebungen mit einander in
Einklang zu erhalten, muß man gestehen, es ist nicht leicht, zu regieren.

O, es ist die schwerste aller Künste, sagte der andre.

Aber, wie mir scheint, auch prinzipiell verschieden von den andern Künsten.
So hatte ich mir immer einen Regenten als einem Schiffskapitän vergleichbar
vorgestellt, der in Stürmen und bei Windstille sein Schiff über das gefährliche
Meer hin dem sichern Hafen zuführt. Aber die Kunst des Kapitäns zeigt sich
doch wohl darin, daß er seine Passagiere glücklich ans Ziel bringt, nicht aber
darin, daß er selber wohlbehalten ankommt, die Kunst des Regenten aber zeigt
sich nach deiner Auffassung darin, daß er Regent bleibt. Und auch mit der
Kunst des Arztes ist das Regieren nicht zu vergleichen, denn für einen guten
Arzt hält mau den, dessen Patienten gesund sind, nicht aber den, der selbst ge¬
sund ist. Du aber meinst, eine gerechte Negierung erkenne man daran, daß sie
stark sei. Freilich stimme ich dir hierin zu. Nur ist eine Regierung deshalb
stark, weil sie gerecht ist, nicht aber gerecht, weil sie stark ist.

Du bist ein Haarspalter und Wortklauber, sagte der Abgeordnete, sich
erhebend, und das hindert dich eben, den Kern der Sache zu durchschauen, denn
undt im kleinlichen und einzelnen und mit kindischen Vergleichen kannst du die
Größe des Gegenstandes erfassen, sondern nur von einem hohen Standpunkte aus,
der einen weiten Überblick gewährt. Laß den diftelndcn Theoretiker einmal bei¬
seite und greif hinein ins volle Menschenleben. Welche Herrscher werden in
Wort und Bild durch alle Geschlechter der Menschheit gefeiert? Es sind die
starken Männer, die ihren Willen zum Gesetz zu machen wußten, aber sich nicht
um das kümmerten, was Stubengelehrte aus ihren Schweinsleder-Folianten als
Recht herausgeklaubt haben. Was hat Alexander berechtigt, sich die halbe Welt
An unterwerfen, oder Julius Cäsar, die republikanische Toga zu einem Königs¬
mantel umzuschncidern, oder Napoleon, Frankreich und Europa zu einem schach¬
telt für seine stolzen Armeen zu machen? Es war ihr überwältigendes Genie,
nichts weiter, und was das Recht war und die Gerechtigkeit, das hatten sie selber
An bestimmen, und niemand zweifelte an einer Auslegung, die das Siegerschwcrt
geschrieben hatte. Denk an das römische Weltreich, denk an England, denk an
^ Staaten, welche groß geworden sind. So lange es eine Geschichte giebt,
'on Menschen aufgezeichnet, so lange wird die Periode ihres Wachstums und
, Macht für glorreich und ruhmwürdig gelten, und lächerlich würde sich der-
lemge machen, der da nachgrübeln wollte, ob sie mit Recht oder mit Unrecht
Swß geworden wären. Der Staat ist groß, und darum ist alles, was er ge-
""n hat, eitel Gerechtigkeit. Niemals entwickeln sich die Machtverhältnisse der
'


^Mzbotm I. 1882. 19
Balladen und Thyrsosträger.

Während dieser Worte war ein blasser Jüngling eingetreten, der sich nach
kurzer Begrüßung still neben der Thür niederließ und aufmerksam lauschte.

Das Regieren, sagte Dr. Stahlhardt, ist wohl uicht leicht. Wenn man
bedenkt, wieviel dazu gehört, alle die verschiednen Parteien im Stande in Bot¬
mäßigkeit und so viele wechselnde Ansichten und Bestrebungen mit einander in
Einklang zu erhalten, muß man gestehen, es ist nicht leicht, zu regieren.

O, es ist die schwerste aller Künste, sagte der andre.

Aber, wie mir scheint, auch prinzipiell verschieden von den andern Künsten.
So hatte ich mir immer einen Regenten als einem Schiffskapitän vergleichbar
vorgestellt, der in Stürmen und bei Windstille sein Schiff über das gefährliche
Meer hin dem sichern Hafen zuführt. Aber die Kunst des Kapitäns zeigt sich
doch wohl darin, daß er seine Passagiere glücklich ans Ziel bringt, nicht aber
darin, daß er selber wohlbehalten ankommt, die Kunst des Regenten aber zeigt
sich nach deiner Auffassung darin, daß er Regent bleibt. Und auch mit der
Kunst des Arztes ist das Regieren nicht zu vergleichen, denn für einen guten
Arzt hält mau den, dessen Patienten gesund sind, nicht aber den, der selbst ge¬
sund ist. Du aber meinst, eine gerechte Negierung erkenne man daran, daß sie
stark sei. Freilich stimme ich dir hierin zu. Nur ist eine Regierung deshalb
stark, weil sie gerecht ist, nicht aber gerecht, weil sie stark ist.

Du bist ein Haarspalter und Wortklauber, sagte der Abgeordnete, sich
erhebend, und das hindert dich eben, den Kern der Sache zu durchschauen, denn
undt im kleinlichen und einzelnen und mit kindischen Vergleichen kannst du die
Größe des Gegenstandes erfassen, sondern nur von einem hohen Standpunkte aus,
der einen weiten Überblick gewährt. Laß den diftelndcn Theoretiker einmal bei¬
seite und greif hinein ins volle Menschenleben. Welche Herrscher werden in
Wort und Bild durch alle Geschlechter der Menschheit gefeiert? Es sind die
starken Männer, die ihren Willen zum Gesetz zu machen wußten, aber sich nicht
um das kümmerten, was Stubengelehrte aus ihren Schweinsleder-Folianten als
Recht herausgeklaubt haben. Was hat Alexander berechtigt, sich die halbe Welt
An unterwerfen, oder Julius Cäsar, die republikanische Toga zu einem Königs¬
mantel umzuschncidern, oder Napoleon, Frankreich und Europa zu einem schach¬
telt für seine stolzen Armeen zu machen? Es war ihr überwältigendes Genie,
nichts weiter, und was das Recht war und die Gerechtigkeit, das hatten sie selber
An bestimmen, und niemand zweifelte an einer Auslegung, die das Siegerschwcrt
geschrieben hatte. Denk an das römische Weltreich, denk an England, denk an
^ Staaten, welche groß geworden sind. So lange es eine Geschichte giebt,
'on Menschen aufgezeichnet, so lange wird die Periode ihres Wachstums und
, Macht für glorreich und ruhmwürdig gelten, und lächerlich würde sich der-
lemge machen, der da nachgrübeln wollte, ob sie mit Recht oder mit Unrecht
Swß geworden wären. Der Staat ist groß, und darum ist alles, was er ge-
""n hat, eitel Gerechtigkeit. Niemals entwickeln sich die Machtverhältnisse der
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^Mzbotm I. 1882. 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/153>, abgerufen am 17.06.2024.