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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Dle Reform dos englischen Parlaments,

Scheidung von Gesetz und Verordnung setzt, wenn sie heilsam wirke" soll, Mi¬
nister voraus, deren Stellung von den Parteischwankungen unabhängig ist. Sie
ist unverträglich mit parlamentarischer Regierung. Daran muß sie scheitern-
Die englischen Gesetze werden so umfangreich bleiben, wie sie sind -- oder die
Verordnungsgewalt müßte den ständigen Staatssekretären verliehen werden.
Schließlich mögen noch die Politiker erwähnt sein, welche die Wiedererweckung
der unschuldig gemordeten "Bethlemctischeu Kindlein" befürworten, und zwar so,
daß jede Vorlage auf der Stufe wieder ins Hans eingebracht werden darf, auf
welcher sie ihr Leben ließ.

Wenn man bedenkt, daß das englische Parlament, so unabhängig auch die
brittischen Kolonien gestellt sind, doch genug Gelegenheit hat, sich mit ihnen zu
beschäftigen, wäre es auch nur in der Form von Interpellationen, die zuweilen
stundenlang der Diskussion einer Vorlage vorangehen, und die deshalb Parla-
lmnentsrefvrmen entweder beschränken oder einer späteren Stunde der Sitzung
zuweisen möchten, wenn man erwägt, daß das Parlament das ganze Kon¬
zessionswesen für Eisenbahnen und Kanäle an sich gerissen hat, daß es einen
großen Teil der Lvlalverwaltnng besorgt, daß z. B. jede Session das Schau¬
spiel zeigt, wie eine Anzahl Städte um die Erlaubnis bitten, Gasfabriken, Brücken ?c-
anzulegen, so muß mau zu dem Schlüsse gelangen, daß die größte Vereinfachung
der Geschäftsordnung machtlos sein wird, wenn das Parlament nicht einen
großen Teil seiner Geschäfte andren Körpern überträgt. Es wird kaum mög¬
lich sein, daß das Parlament alle private vitis aus der Hand giebt, aber in vielen
Fällen kann es in eine Appell- und Aufsichtsinstanz umgewandelt werden. Man
hat z. B. vorgeschlagen, daß sich Kommissäre mit den Lokalbehörden und Eisen-
bahugründern in Verbindung setzen sollten. Der Geschäftsgang würde sich ein¬
facher und auch billiger gestalten, da es überflüssig werden würde, schwer zu
bezahlende Zeugen vor die Ausschüsse zu laden. Der Entlastung des Parlaments
müßte die Verleihung einer ausgedehntere Kompetenzen enthaltenden Städte-
ordnung an eine größere Anzahl von Orten vorangehen. Dann ließen sich
Normativbestimmungcn für die Thätigkeit der Selbstverwaltuugskörper feststellen,
über deren Beobachtung die Parlamente wachten.

Ob die Parlamentsreform eine Umgestaltung der Grafschaftsverwaltung zur
Folge haben wird, ist zweifelhafter, so sehr auch dieser Gedanke Wurzel gefaßt
hat. Herr Courtuey, der gegenwärtige Untcrstaatssekretär im Ministerium des
Innern, machte vor etwa zwei Jahren den Vorschlag, in jeder Grafschaft, zunächst
in Irland, einen aus Wahlen hervorgehenden Landtag einzurichten, der die
irischen Ar^na Juries ersetzen und die Arbeiten der englischen cinarwr sessions
und des Parlaments erleichtern würde.

Nicht als ob man erst seit einigen Jahren an die Vertretung der Graf¬
schaften gedacht hätte. Schon seit dem Anfange der vierziger Jahre lenkten
englische Politiker die Aufmerksamkeit auf den großen Mangel in der englischen


Dle Reform dos englischen Parlaments,

Scheidung von Gesetz und Verordnung setzt, wenn sie heilsam wirke» soll, Mi¬
nister voraus, deren Stellung von den Parteischwankungen unabhängig ist. Sie
ist unverträglich mit parlamentarischer Regierung. Daran muß sie scheitern-
Die englischen Gesetze werden so umfangreich bleiben, wie sie sind — oder die
Verordnungsgewalt müßte den ständigen Staatssekretären verliehen werden.
Schließlich mögen noch die Politiker erwähnt sein, welche die Wiedererweckung
der unschuldig gemordeten „Bethlemctischeu Kindlein" befürworten, und zwar so,
daß jede Vorlage auf der Stufe wieder ins Hans eingebracht werden darf, auf
welcher sie ihr Leben ließ.

Wenn man bedenkt, daß das englische Parlament, so unabhängig auch die
brittischen Kolonien gestellt sind, doch genug Gelegenheit hat, sich mit ihnen zu
beschäftigen, wäre es auch nur in der Form von Interpellationen, die zuweilen
stundenlang der Diskussion einer Vorlage vorangehen, und die deshalb Parla-
lmnentsrefvrmen entweder beschränken oder einer späteren Stunde der Sitzung
zuweisen möchten, wenn man erwägt, daß das Parlament das ganze Kon¬
zessionswesen für Eisenbahnen und Kanäle an sich gerissen hat, daß es einen
großen Teil der Lvlalverwaltnng besorgt, daß z. B. jede Session das Schau¬
spiel zeigt, wie eine Anzahl Städte um die Erlaubnis bitten, Gasfabriken, Brücken ?c-
anzulegen, so muß mau zu dem Schlüsse gelangen, daß die größte Vereinfachung
der Geschäftsordnung machtlos sein wird, wenn das Parlament nicht einen
großen Teil seiner Geschäfte andren Körpern überträgt. Es wird kaum mög¬
lich sein, daß das Parlament alle private vitis aus der Hand giebt, aber in vielen
Fällen kann es in eine Appell- und Aufsichtsinstanz umgewandelt werden. Man
hat z. B. vorgeschlagen, daß sich Kommissäre mit den Lokalbehörden und Eisen-
bahugründern in Verbindung setzen sollten. Der Geschäftsgang würde sich ein¬
facher und auch billiger gestalten, da es überflüssig werden würde, schwer zu
bezahlende Zeugen vor die Ausschüsse zu laden. Der Entlastung des Parlaments
müßte die Verleihung einer ausgedehntere Kompetenzen enthaltenden Städte-
ordnung an eine größere Anzahl von Orten vorangehen. Dann ließen sich
Normativbestimmungcn für die Thätigkeit der Selbstverwaltuugskörper feststellen,
über deren Beobachtung die Parlamente wachten.

Ob die Parlamentsreform eine Umgestaltung der Grafschaftsverwaltung zur
Folge haben wird, ist zweifelhafter, so sehr auch dieser Gedanke Wurzel gefaßt
hat. Herr Courtuey, der gegenwärtige Untcrstaatssekretär im Ministerium des
Innern, machte vor etwa zwei Jahren den Vorschlag, in jeder Grafschaft, zunächst
in Irland, einen aus Wahlen hervorgehenden Landtag einzurichten, der die
irischen Ar^na Juries ersetzen und die Arbeiten der englischen cinarwr sessions
und des Parlaments erleichtern würde.

Nicht als ob man erst seit einigen Jahren an die Vertretung der Graf¬
schaften gedacht hätte. Schon seit dem Anfange der vierziger Jahre lenkten
englische Politiker die Aufmerksamkeit auf den großen Mangel in der englischen


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[0166] Dle Reform dos englischen Parlaments, Scheidung von Gesetz und Verordnung setzt, wenn sie heilsam wirke» soll, Mi¬ nister voraus, deren Stellung von den Parteischwankungen unabhängig ist. Sie ist unverträglich mit parlamentarischer Regierung. Daran muß sie scheitern- Die englischen Gesetze werden so umfangreich bleiben, wie sie sind — oder die Verordnungsgewalt müßte den ständigen Staatssekretären verliehen werden. Schließlich mögen noch die Politiker erwähnt sein, welche die Wiedererweckung der unschuldig gemordeten „Bethlemctischeu Kindlein" befürworten, und zwar so, daß jede Vorlage auf der Stufe wieder ins Hans eingebracht werden darf, auf welcher sie ihr Leben ließ. Wenn man bedenkt, daß das englische Parlament, so unabhängig auch die brittischen Kolonien gestellt sind, doch genug Gelegenheit hat, sich mit ihnen zu beschäftigen, wäre es auch nur in der Form von Interpellationen, die zuweilen stundenlang der Diskussion einer Vorlage vorangehen, und die deshalb Parla- lmnentsrefvrmen entweder beschränken oder einer späteren Stunde der Sitzung zuweisen möchten, wenn man erwägt, daß das Parlament das ganze Kon¬ zessionswesen für Eisenbahnen und Kanäle an sich gerissen hat, daß es einen großen Teil der Lvlalverwaltnng besorgt, daß z. B. jede Session das Schau¬ spiel zeigt, wie eine Anzahl Städte um die Erlaubnis bitten, Gasfabriken, Brücken ?c- anzulegen, so muß mau zu dem Schlüsse gelangen, daß die größte Vereinfachung der Geschäftsordnung machtlos sein wird, wenn das Parlament nicht einen großen Teil seiner Geschäfte andren Körpern überträgt. Es wird kaum mög¬ lich sein, daß das Parlament alle private vitis aus der Hand giebt, aber in vielen Fällen kann es in eine Appell- und Aufsichtsinstanz umgewandelt werden. Man hat z. B. vorgeschlagen, daß sich Kommissäre mit den Lokalbehörden und Eisen- bahugründern in Verbindung setzen sollten. Der Geschäftsgang würde sich ein¬ facher und auch billiger gestalten, da es überflüssig werden würde, schwer zu bezahlende Zeugen vor die Ausschüsse zu laden. Der Entlastung des Parlaments müßte die Verleihung einer ausgedehntere Kompetenzen enthaltenden Städte- ordnung an eine größere Anzahl von Orten vorangehen. Dann ließen sich Normativbestimmungcn für die Thätigkeit der Selbstverwaltuugskörper feststellen, über deren Beobachtung die Parlamente wachten. Ob die Parlamentsreform eine Umgestaltung der Grafschaftsverwaltung zur Folge haben wird, ist zweifelhafter, so sehr auch dieser Gedanke Wurzel gefaßt hat. Herr Courtuey, der gegenwärtige Untcrstaatssekretär im Ministerium des Innern, machte vor etwa zwei Jahren den Vorschlag, in jeder Grafschaft, zunächst in Irland, einen aus Wahlen hervorgehenden Landtag einzurichten, der die irischen Ar^na Juries ersetzen und die Arbeiten der englischen cinarwr sessions und des Parlaments erleichtern würde. Nicht als ob man erst seit einigen Jahren an die Vertretung der Graf¬ schaften gedacht hätte. Schon seit dem Anfange der vierziger Jahre lenkten englische Politiker die Aufmerksamkeit auf den großen Mangel in der englischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/166>, abgerufen am 17.06.2024.