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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Reform des englischen Parlaments.

Grafschaftsverwaltung, daß die Grafschaftssteuern von Beamten ausgeschrieben
werden, ohne daß die Grafschaft die geringste Vertretung und sonnt das geringste
Recht, Einsprache zu erheben, habe. Das letzte Torylabiuet brachte ja auch vor
einigen Jahren eine dahin zielende Vorlage ein, die jedoch nicht den Beifall
des Hauses fand. Uebrigens kehrt mau mit der Bildung eines Grafschaftsparla¬
ments zu dem alten tKirs-ALmotö zurück. Man schafft eine Institution, welche
wir in unsern Kreis- und Provinziallcmdtagen schon besitzen.

Courtney beabsichtigte nicht direkt eine Entlastung des Parlaments. Sein
Plan war auf eine Beseitigung der Homs-Knif-Agitation gerichtet, deren Be¬
rechtigung unter vorurteilsfreien Männern anerkannt wird, vorausgesetzt, daß
sie den Sinn hat, einem irischen Parlamente nur irische Angelegenheiten zuzu¬
weisen und das Parlament in Westmünster für gemeinsame Angelegenheiten fort¬
bestehen zu lassen. Die Uvah-Ruth-Agitation weist auf die allgemein anerkannte
Überladung des Parlaments, auf die schier unendliche Zeit, welche zuweilen
zwischen Bedürfnis und Gesetzgebung verstieße, und auf die Thatsache hin, daß
Irland ja im vorigen Jahrhundert ein Parlament besessen habe, folglich der
Plan selbst kein umstürzendes Element enthalte. Sie führt zu ihren Gunsten
die unleugbare Thatsache an, daß England in seinen irischen Maßnahmen un¬
glücklich gewesen ist, ohne daß man den Unsegen einfach auf Rechnung bös¬
williger Motive setzen könnte. Denn das Schicksal Irlands bewirkten dieselben
Kräfte, welche in England mächtig waren: der Feudalismus, die allmähliche Ent¬
eignung der kleinen Grundbesitzer, der gewaltsame Eingriff Heinrichs VIII. in
das Neformationswerk, die Gegenreformation unter Maria, der Kampf zwischen
Hochkirche und Puritanern, die erdrückende Gewalt Cromwells, Jakobs des
Zweiten katholisirende Tendenzen und endlich die Thronfolge des Oranicrs und
des Hauses Hannover. Erst seit der künstlichen Unterdrückung des irischen Auf¬
schwungs in Ackerbau, Industrie und Handel, in der Herabwürdigung der eng¬
lischen Hochkirche durch Besetzung einflußreicher Stellen mit vornehmen, aber
unwürdigen Engländern und in der Fesselung des irischen Parlaments, lauter
Ereignissen, die im achtzehnten Jahrhundert stattfanden, datirt eine erschreckende
Verschiedenheit zwischen England und Irland, trotz Jahrhunderte langer gleich¬
artiger Geschichte ein greller Kontrast zwischen beiden Ländern! Und warum?
Weil das englische Volk den keltischen Volksgeist nicht verstand und bewunde¬
rungswürdige, England beglückende Institutionen einfach auf einen fremden Boden
übertrug, in dem sie verkümmerten. Wie oft mag das Friedensrichteramt zu
Parteizwecken mißbraucht worden sein, wie viel Gutes mögen die Fi^na M'is8
verhindert haben, und wie häufig die snriss eine Ermunterung zum Verbrechen
gewesen sein!

Jeder, der in der trostlosen Geschichte Irlands das mächtigste Agitations¬
mittel der Koinö-Hulör erkennt, wird die Mißstimmung über Gladstones Reform¬
werk verstehen. Selbst einen gemäßigten Hamv-Rnlor muß es verdrießen, daß


Die Reform des englischen Parlaments.

Grafschaftsverwaltung, daß die Grafschaftssteuern von Beamten ausgeschrieben
werden, ohne daß die Grafschaft die geringste Vertretung und sonnt das geringste
Recht, Einsprache zu erheben, habe. Das letzte Torylabiuet brachte ja auch vor
einigen Jahren eine dahin zielende Vorlage ein, die jedoch nicht den Beifall
des Hauses fand. Uebrigens kehrt mau mit der Bildung eines Grafschaftsparla¬
ments zu dem alten tKirs-ALmotö zurück. Man schafft eine Institution, welche
wir in unsern Kreis- und Provinziallcmdtagen schon besitzen.

Courtney beabsichtigte nicht direkt eine Entlastung des Parlaments. Sein
Plan war auf eine Beseitigung der Homs-Knif-Agitation gerichtet, deren Be¬
rechtigung unter vorurteilsfreien Männern anerkannt wird, vorausgesetzt, daß
sie den Sinn hat, einem irischen Parlamente nur irische Angelegenheiten zuzu¬
weisen und das Parlament in Westmünster für gemeinsame Angelegenheiten fort¬
bestehen zu lassen. Die Uvah-Ruth-Agitation weist auf die allgemein anerkannte
Überladung des Parlaments, auf die schier unendliche Zeit, welche zuweilen
zwischen Bedürfnis und Gesetzgebung verstieße, und auf die Thatsache hin, daß
Irland ja im vorigen Jahrhundert ein Parlament besessen habe, folglich der
Plan selbst kein umstürzendes Element enthalte. Sie führt zu ihren Gunsten
die unleugbare Thatsache an, daß England in seinen irischen Maßnahmen un¬
glücklich gewesen ist, ohne daß man den Unsegen einfach auf Rechnung bös¬
williger Motive setzen könnte. Denn das Schicksal Irlands bewirkten dieselben
Kräfte, welche in England mächtig waren: der Feudalismus, die allmähliche Ent¬
eignung der kleinen Grundbesitzer, der gewaltsame Eingriff Heinrichs VIII. in
das Neformationswerk, die Gegenreformation unter Maria, der Kampf zwischen
Hochkirche und Puritanern, die erdrückende Gewalt Cromwells, Jakobs des
Zweiten katholisirende Tendenzen und endlich die Thronfolge des Oranicrs und
des Hauses Hannover. Erst seit der künstlichen Unterdrückung des irischen Auf¬
schwungs in Ackerbau, Industrie und Handel, in der Herabwürdigung der eng¬
lischen Hochkirche durch Besetzung einflußreicher Stellen mit vornehmen, aber
unwürdigen Engländern und in der Fesselung des irischen Parlaments, lauter
Ereignissen, die im achtzehnten Jahrhundert stattfanden, datirt eine erschreckende
Verschiedenheit zwischen England und Irland, trotz Jahrhunderte langer gleich¬
artiger Geschichte ein greller Kontrast zwischen beiden Ländern! Und warum?
Weil das englische Volk den keltischen Volksgeist nicht verstand und bewunde¬
rungswürdige, England beglückende Institutionen einfach auf einen fremden Boden
übertrug, in dem sie verkümmerten. Wie oft mag das Friedensrichteramt zu
Parteizwecken mißbraucht worden sein, wie viel Gutes mögen die Fi^na M'is8
verhindert haben, und wie häufig die snriss eine Ermunterung zum Verbrechen
gewesen sein!

Jeder, der in der trostlosen Geschichte Irlands das mächtigste Agitations¬
mittel der Koinö-Hulör erkennt, wird die Mißstimmung über Gladstones Reform¬
werk verstehen. Selbst einen gemäßigten Hamv-Rnlor muß es verdrießen, daß


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[0167] Die Reform des englischen Parlaments. Grafschaftsverwaltung, daß die Grafschaftssteuern von Beamten ausgeschrieben werden, ohne daß die Grafschaft die geringste Vertretung und sonnt das geringste Recht, Einsprache zu erheben, habe. Das letzte Torylabiuet brachte ja auch vor einigen Jahren eine dahin zielende Vorlage ein, die jedoch nicht den Beifall des Hauses fand. Uebrigens kehrt mau mit der Bildung eines Grafschaftsparla¬ ments zu dem alten tKirs-ALmotö zurück. Man schafft eine Institution, welche wir in unsern Kreis- und Provinziallcmdtagen schon besitzen. Courtney beabsichtigte nicht direkt eine Entlastung des Parlaments. Sein Plan war auf eine Beseitigung der Homs-Knif-Agitation gerichtet, deren Be¬ rechtigung unter vorurteilsfreien Männern anerkannt wird, vorausgesetzt, daß sie den Sinn hat, einem irischen Parlamente nur irische Angelegenheiten zuzu¬ weisen und das Parlament in Westmünster für gemeinsame Angelegenheiten fort¬ bestehen zu lassen. Die Uvah-Ruth-Agitation weist auf die allgemein anerkannte Überladung des Parlaments, auf die schier unendliche Zeit, welche zuweilen zwischen Bedürfnis und Gesetzgebung verstieße, und auf die Thatsache hin, daß Irland ja im vorigen Jahrhundert ein Parlament besessen habe, folglich der Plan selbst kein umstürzendes Element enthalte. Sie führt zu ihren Gunsten die unleugbare Thatsache an, daß England in seinen irischen Maßnahmen un¬ glücklich gewesen ist, ohne daß man den Unsegen einfach auf Rechnung bös¬ williger Motive setzen könnte. Denn das Schicksal Irlands bewirkten dieselben Kräfte, welche in England mächtig waren: der Feudalismus, die allmähliche Ent¬ eignung der kleinen Grundbesitzer, der gewaltsame Eingriff Heinrichs VIII. in das Neformationswerk, die Gegenreformation unter Maria, der Kampf zwischen Hochkirche und Puritanern, die erdrückende Gewalt Cromwells, Jakobs des Zweiten katholisirende Tendenzen und endlich die Thronfolge des Oranicrs und des Hauses Hannover. Erst seit der künstlichen Unterdrückung des irischen Auf¬ schwungs in Ackerbau, Industrie und Handel, in der Herabwürdigung der eng¬ lischen Hochkirche durch Besetzung einflußreicher Stellen mit vornehmen, aber unwürdigen Engländern und in der Fesselung des irischen Parlaments, lauter Ereignissen, die im achtzehnten Jahrhundert stattfanden, datirt eine erschreckende Verschiedenheit zwischen England und Irland, trotz Jahrhunderte langer gleich¬ artiger Geschichte ein greller Kontrast zwischen beiden Ländern! Und warum? Weil das englische Volk den keltischen Volksgeist nicht verstand und bewunde¬ rungswürdige, England beglückende Institutionen einfach auf einen fremden Boden übertrug, in dem sie verkümmerten. Wie oft mag das Friedensrichteramt zu Parteizwecken mißbraucht worden sein, wie viel Gutes mögen die Fi^na M'is8 verhindert haben, und wie häufig die snriss eine Ermunterung zum Verbrechen gewesen sein! Jeder, der in der trostlosen Geschichte Irlands das mächtigste Agitations¬ mittel der Koinö-Hulör erkennt, wird die Mißstimmung über Gladstones Reform¬ werk verstehen. Selbst einen gemäßigten Hamv-Rnlor muß es verdrießen, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/167>, abgerufen am 17.06.2024.