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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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land nicht erfolgreich kontnrrirt, und daß England weniger Armenunterstützung
zu zahlen braucht. Da jedoch, allgemeiner Erfahrung gemäß, gewöhnlich nicht
die Arme" und Schwachen, sondern die relativ Wohlhabenden und Starken aus¬
wandern, so ist diese Entlastung sehr unwahrscheinlich.

Großbrittanicn mit Indien und seinen Kolonien bildet ein Staatswesen,
das sich uoch jetzt allein geniigen könnte. Röscher bestreite dies in seinem Buche
über "Kolonien und Kolonialpolitik." Es ist hier nicht der Ort, ans diesen
Punkt näher einzugehen. Vielleicht war vor mehr als 26 Jahren, als Röscher
sein Werk schrieb, die Entwicklung der Kolonien, welche England nach dem Ab¬
falle Nordamerikas blieben, nicht vorauszusehen. Denn das ungeheuere Reich
hat alles: reichen Boden, hochentwickelte Industrie, einen wohlgegliedcrten
Handel, Schiffe, Geld und vor allem thätige Menschen. Aber diese Güter liegen
zerstreut über den Erdball. Würden aber die Glieder zusammengefügt zu einem
lebendigen Ganzen, welches freieste Zirkulation gestattete und sich gegen alle
fremden Völker durch hohe Schutzzölle abschlösse, dau" müßte sein Wohlstand
in großartiger Weise steigen. Der Auswanderer, der sich in Canada oder Neu¬
seeland niederläßt, wäre nicht länger für England verloren, er wäre ebensogut
ein englischer Bauer wie der Freehvldcr in Suffolk, die englischen Manufakturen
hätten einen weiten, unbestrittenen Markt in den Kolonien, und der englische
Handel wäre mit dem Binnenhandel zwischen Erdteilen reichlich beschäftigt. Die
Kolonien trügen die Lasten des Mutterlandes, und dafür schickten sie ihre Ab¬
geordneten in den Reichstag zu Westminster. England träte dann in die dritte
Phase seiner Kolonialpolitik.

(Schluß folgt.)




Friedrich List und die thüringische Eisenbahn.

er Übergang der Thüringer Eisenbahn in den Besitz des preußischen
Staates steht nahe bevor. Der zwischen der preußischen Regierung
und der Direktion der Gesellschaft abgeschlossene Vertrag wurde
von der Generalversammlung bereits im vorigen Herbst mit großer
Mehrheit angenommen, die Landtage der drei beteiligten thürin¬
gischen Staaten haben ihn vor kurzem genehmigt, so daß zur Vollziehung nur
noch die Zustimmung Hes preußischen Landtags fehlt, die selbst bei der augen¬
blicklichen Lage der politischen Dinge schwerlich versagt werden wird.

In der Geschichte der deutschen Eisenbahnen nimmt die Thüringer eine be¬
deutende und eigentümliche Stellung ein. Nicht deshalb, weil sie zu den ersten


land nicht erfolgreich kontnrrirt, und daß England weniger Armenunterstützung
zu zahlen braucht. Da jedoch, allgemeiner Erfahrung gemäß, gewöhnlich nicht
die Arme» und Schwachen, sondern die relativ Wohlhabenden und Starken aus¬
wandern, so ist diese Entlastung sehr unwahrscheinlich.

Großbrittanicn mit Indien und seinen Kolonien bildet ein Staatswesen,
das sich uoch jetzt allein geniigen könnte. Röscher bestreite dies in seinem Buche
über „Kolonien und Kolonialpolitik." Es ist hier nicht der Ort, ans diesen
Punkt näher einzugehen. Vielleicht war vor mehr als 26 Jahren, als Röscher
sein Werk schrieb, die Entwicklung der Kolonien, welche England nach dem Ab¬
falle Nordamerikas blieben, nicht vorauszusehen. Denn das ungeheuere Reich
hat alles: reichen Boden, hochentwickelte Industrie, einen wohlgegliedcrten
Handel, Schiffe, Geld und vor allem thätige Menschen. Aber diese Güter liegen
zerstreut über den Erdball. Würden aber die Glieder zusammengefügt zu einem
lebendigen Ganzen, welches freieste Zirkulation gestattete und sich gegen alle
fremden Völker durch hohe Schutzzölle abschlösse, dau» müßte sein Wohlstand
in großartiger Weise steigen. Der Auswanderer, der sich in Canada oder Neu¬
seeland niederläßt, wäre nicht länger für England verloren, er wäre ebensogut
ein englischer Bauer wie der Freehvldcr in Suffolk, die englischen Manufakturen
hätten einen weiten, unbestrittenen Markt in den Kolonien, und der englische
Handel wäre mit dem Binnenhandel zwischen Erdteilen reichlich beschäftigt. Die
Kolonien trügen die Lasten des Mutterlandes, und dafür schickten sie ihre Ab¬
geordneten in den Reichstag zu Westminster. England träte dann in die dritte
Phase seiner Kolonialpolitik.

(Schluß folgt.)




Friedrich List und die thüringische Eisenbahn.

er Übergang der Thüringer Eisenbahn in den Besitz des preußischen
Staates steht nahe bevor. Der zwischen der preußischen Regierung
und der Direktion der Gesellschaft abgeschlossene Vertrag wurde
von der Generalversammlung bereits im vorigen Herbst mit großer
Mehrheit angenommen, die Landtage der drei beteiligten thürin¬
gischen Staaten haben ihn vor kurzem genehmigt, so daß zur Vollziehung nur
noch die Zustimmung Hes preußischen Landtags fehlt, die selbst bei der augen¬
blicklichen Lage der politischen Dinge schwerlich versagt werden wird.

In der Geschichte der deutschen Eisenbahnen nimmt die Thüringer eine be¬
deutende und eigentümliche Stellung ein. Nicht deshalb, weil sie zu den ersten


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[0171] land nicht erfolgreich kontnrrirt, und daß England weniger Armenunterstützung zu zahlen braucht. Da jedoch, allgemeiner Erfahrung gemäß, gewöhnlich nicht die Arme» und Schwachen, sondern die relativ Wohlhabenden und Starken aus¬ wandern, so ist diese Entlastung sehr unwahrscheinlich. Großbrittanicn mit Indien und seinen Kolonien bildet ein Staatswesen, das sich uoch jetzt allein geniigen könnte. Röscher bestreite dies in seinem Buche über „Kolonien und Kolonialpolitik." Es ist hier nicht der Ort, ans diesen Punkt näher einzugehen. Vielleicht war vor mehr als 26 Jahren, als Röscher sein Werk schrieb, die Entwicklung der Kolonien, welche England nach dem Ab¬ falle Nordamerikas blieben, nicht vorauszusehen. Denn das ungeheuere Reich hat alles: reichen Boden, hochentwickelte Industrie, einen wohlgegliedcrten Handel, Schiffe, Geld und vor allem thätige Menschen. Aber diese Güter liegen zerstreut über den Erdball. Würden aber die Glieder zusammengefügt zu einem lebendigen Ganzen, welches freieste Zirkulation gestattete und sich gegen alle fremden Völker durch hohe Schutzzölle abschlösse, dau» müßte sein Wohlstand in großartiger Weise steigen. Der Auswanderer, der sich in Canada oder Neu¬ seeland niederläßt, wäre nicht länger für England verloren, er wäre ebensogut ein englischer Bauer wie der Freehvldcr in Suffolk, die englischen Manufakturen hätten einen weiten, unbestrittenen Markt in den Kolonien, und der englische Handel wäre mit dem Binnenhandel zwischen Erdteilen reichlich beschäftigt. Die Kolonien trügen die Lasten des Mutterlandes, und dafür schickten sie ihre Ab¬ geordneten in den Reichstag zu Westminster. England träte dann in die dritte Phase seiner Kolonialpolitik. (Schluß folgt.) Friedrich List und die thüringische Eisenbahn. er Übergang der Thüringer Eisenbahn in den Besitz des preußischen Staates steht nahe bevor. Der zwischen der preußischen Regierung und der Direktion der Gesellschaft abgeschlossene Vertrag wurde von der Generalversammlung bereits im vorigen Herbst mit großer Mehrheit angenommen, die Landtage der drei beteiligten thürin¬ gischen Staaten haben ihn vor kurzem genehmigt, so daß zur Vollziehung nur noch die Zustimmung Hes preußischen Landtags fehlt, die selbst bei der augen¬ blicklichen Lage der politischen Dinge schwerlich versagt werden wird. In der Geschichte der deutschen Eisenbahnen nimmt die Thüringer eine be¬ deutende und eigentümliche Stellung ein. Nicht deshalb, weil sie zu den ersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/171>, abgerufen am 17.06.2024.