Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

größeren Unternehmungen gehört -- das ist von geringem Belang --, sondern
weil sie das erste und leider fast das einzige Unternehmen war, das durch Ver¬
träge zwischen mehreren deutschen Staaten zustande kam und bei denen nicht örtliche
und einzclstaatliche, sondern deutsch-nationale Gesichtspunkte und Interessen be¬
stimmend waren. Nicht ohne Grund erinnerte man zu jener Zeit, als es sich
um die Verträge zwischen Preußen, deu thüringische" Staaten und Hessen-Kassel
zur Gründung einer deutschen Centralbahn handelte, vielfach daran, daß ein
einheitliches deutsches Eisenbahnsystem, für welche die Thüringer Bahn die Grund¬
lage bilde, ein notwendiges Seitenstück zu dem von Preußen gestifteten großen
deutschen Zollverein und ein unzerreißbares Bindemittel der deutschen Staaten
und Stämme sei. In der That, jede Verbesserung des Verkehrs kettet zusammen¬
gehörige Stämme und Völker fester aneinander. Nirgends hat sich diese Kraft
der Eisenbahnen mehr geltend gemacht als in deutschen Landen, obgleich nur
ein kleiner Teil derselben sich entfalten konnte, nicht mehr als sich unbedingt
entfalten mußte. Jene Hoffnungen, die sich ein die Thüringer Eisenbahn knüpften,
sollen größtenteils in der Zukunft noch in Erfüllung gehen.

Für kein Land der Welt waren die Eisenbahnen eine so nützliche Erfindung
wie für Deutschland. Hier allein hatten sie außer ihrer wirtschaftlichen Aufgabe
uoch eine politische. Und schon die erste war hier größer und wichtiger als
anderswo; denn in keinem Kultnrlande waren die Verkehrsmittel, vor allem die
Wasserstraßen so gering an Zahl und dazu so mangelhaft. Politisch aber waren
die Eisenbahnen berufen, dem größten deutschen Staate ein.bedeutendes Über¬
gewicht zu geben, wenn er bei der Anlage seinen Einfluß und Ein- und Umsicht
so weit als möglich geltend machte und den Bau entweder selbst in die Hand
nahm oder sich die Möglichkeit offenhielt, den Betrieb der Hauptlinien nach
kurzer Zeit selbst zu leiten. Schon eine starke Landesverteidigung machte dies
zu einer gebieterischen Forderung.

Allein die preußischen Staatsmänner jener Zeit hatten für die politische
Macht der Eisenbahnen kein Verständnis. Wie sehr sie auch durch den Zoll¬
verein der nationalen Politik eine feste Grundlage schufen, so waren sie sich
ihrer Ziele doch so wenig bewußt, daß sie den mächtigsten Hebel für dieselben
unbenutzt liegen ließen und ihn wohl gar mit Mißtrauen betrachteten. In den
kleineren deutschen Staaten hatte man, wir wollen nicht sagen mehr Verständnis,
aber doch jedenfalls mehr Instinkt für die Sache. Sie alle förderten nicht nur
die Eisenbahnunternehmungen, sondern zielten auch von vorn herein auf die Staats¬
bahn. Sie fühlten, daß hier ein Mittel gegeben sei, um deu durch deu Zoll¬
verein verlorenen Boden wiederzugewinnen, oder wenn dies nicht, daß man sich
vorzusehen habe, wenn man nicht noch mehr an Macht und Bedeutung ein¬
büßen wolle.

Friedrich List war es, der den nationalen Gesichtspunkt an die Spitze aller
seiner Eiscnbahnpläne stellte. Bereits in seinen Schriften und Agitationen


größeren Unternehmungen gehört — das ist von geringem Belang —, sondern
weil sie das erste und leider fast das einzige Unternehmen war, das durch Ver¬
träge zwischen mehreren deutschen Staaten zustande kam und bei denen nicht örtliche
und einzclstaatliche, sondern deutsch-nationale Gesichtspunkte und Interessen be¬
stimmend waren. Nicht ohne Grund erinnerte man zu jener Zeit, als es sich
um die Verträge zwischen Preußen, deu thüringische» Staaten und Hessen-Kassel
zur Gründung einer deutschen Centralbahn handelte, vielfach daran, daß ein
einheitliches deutsches Eisenbahnsystem, für welche die Thüringer Bahn die Grund¬
lage bilde, ein notwendiges Seitenstück zu dem von Preußen gestifteten großen
deutschen Zollverein und ein unzerreißbares Bindemittel der deutschen Staaten
und Stämme sei. In der That, jede Verbesserung des Verkehrs kettet zusammen¬
gehörige Stämme und Völker fester aneinander. Nirgends hat sich diese Kraft
der Eisenbahnen mehr geltend gemacht als in deutschen Landen, obgleich nur
ein kleiner Teil derselben sich entfalten konnte, nicht mehr als sich unbedingt
entfalten mußte. Jene Hoffnungen, die sich ein die Thüringer Eisenbahn knüpften,
sollen größtenteils in der Zukunft noch in Erfüllung gehen.

Für kein Land der Welt waren die Eisenbahnen eine so nützliche Erfindung
wie für Deutschland. Hier allein hatten sie außer ihrer wirtschaftlichen Aufgabe
uoch eine politische. Und schon die erste war hier größer und wichtiger als
anderswo; denn in keinem Kultnrlande waren die Verkehrsmittel, vor allem die
Wasserstraßen so gering an Zahl und dazu so mangelhaft. Politisch aber waren
die Eisenbahnen berufen, dem größten deutschen Staate ein.bedeutendes Über¬
gewicht zu geben, wenn er bei der Anlage seinen Einfluß und Ein- und Umsicht
so weit als möglich geltend machte und den Bau entweder selbst in die Hand
nahm oder sich die Möglichkeit offenhielt, den Betrieb der Hauptlinien nach
kurzer Zeit selbst zu leiten. Schon eine starke Landesverteidigung machte dies
zu einer gebieterischen Forderung.

Allein die preußischen Staatsmänner jener Zeit hatten für die politische
Macht der Eisenbahnen kein Verständnis. Wie sehr sie auch durch den Zoll¬
verein der nationalen Politik eine feste Grundlage schufen, so waren sie sich
ihrer Ziele doch so wenig bewußt, daß sie den mächtigsten Hebel für dieselben
unbenutzt liegen ließen und ihn wohl gar mit Mißtrauen betrachteten. In den
kleineren deutschen Staaten hatte man, wir wollen nicht sagen mehr Verständnis,
aber doch jedenfalls mehr Instinkt für die Sache. Sie alle förderten nicht nur
die Eisenbahnunternehmungen, sondern zielten auch von vorn herein auf die Staats¬
bahn. Sie fühlten, daß hier ein Mittel gegeben sei, um deu durch deu Zoll¬
verein verlorenen Boden wiederzugewinnen, oder wenn dies nicht, daß man sich
vorzusehen habe, wenn man nicht noch mehr an Macht und Bedeutung ein¬
büßen wolle.

Friedrich List war es, der den nationalen Gesichtspunkt an die Spitze aller
seiner Eiscnbahnpläne stellte. Bereits in seinen Schriften und Agitationen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86293"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_706" prev="#ID_705"> größeren Unternehmungen gehört &#x2014; das ist von geringem Belang &#x2014;, sondern<lb/>
weil sie das erste und leider fast das einzige Unternehmen war, das durch Ver¬<lb/>
träge zwischen mehreren deutschen Staaten zustande kam und bei denen nicht örtliche<lb/>
und einzclstaatliche, sondern deutsch-nationale Gesichtspunkte und Interessen be¬<lb/>
stimmend waren. Nicht ohne Grund erinnerte man zu jener Zeit, als es sich<lb/>
um die Verträge zwischen Preußen, deu thüringische» Staaten und Hessen-Kassel<lb/>
zur Gründung einer deutschen Centralbahn handelte, vielfach daran, daß ein<lb/>
einheitliches deutsches Eisenbahnsystem, für welche die Thüringer Bahn die Grund¬<lb/>
lage bilde, ein notwendiges Seitenstück zu dem von Preußen gestifteten großen<lb/>
deutschen Zollverein und ein unzerreißbares Bindemittel der deutschen Staaten<lb/>
und Stämme sei. In der That, jede Verbesserung des Verkehrs kettet zusammen¬<lb/>
gehörige Stämme und Völker fester aneinander. Nirgends hat sich diese Kraft<lb/>
der Eisenbahnen mehr geltend gemacht als in deutschen Landen, obgleich nur<lb/>
ein kleiner Teil derselben sich entfalten konnte, nicht mehr als sich unbedingt<lb/>
entfalten mußte. Jene Hoffnungen, die sich ein die Thüringer Eisenbahn knüpften,<lb/>
sollen größtenteils in der Zukunft noch in Erfüllung gehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_707"> Für kein Land der Welt waren die Eisenbahnen eine so nützliche Erfindung<lb/>
wie für Deutschland. Hier allein hatten sie außer ihrer wirtschaftlichen Aufgabe<lb/>
uoch eine politische. Und schon die erste war hier größer und wichtiger als<lb/>
anderswo; denn in keinem Kultnrlande waren die Verkehrsmittel, vor allem die<lb/>
Wasserstraßen so gering an Zahl und dazu so mangelhaft. Politisch aber waren<lb/>
die Eisenbahnen berufen, dem größten deutschen Staate ein.bedeutendes Über¬<lb/>
gewicht zu geben, wenn er bei der Anlage seinen Einfluß und Ein- und Umsicht<lb/>
so weit als möglich geltend machte und den Bau entweder selbst in die Hand<lb/>
nahm oder sich die Möglichkeit offenhielt, den Betrieb der Hauptlinien nach<lb/>
kurzer Zeit selbst zu leiten. Schon eine starke Landesverteidigung machte dies<lb/>
zu einer gebieterischen Forderung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_708"> Allein die preußischen Staatsmänner jener Zeit hatten für die politische<lb/>
Macht der Eisenbahnen kein Verständnis. Wie sehr sie auch durch den Zoll¬<lb/>
verein der nationalen Politik eine feste Grundlage schufen, so waren sie sich<lb/>
ihrer Ziele doch so wenig bewußt, daß sie den mächtigsten Hebel für dieselben<lb/>
unbenutzt liegen ließen und ihn wohl gar mit Mißtrauen betrachteten. In den<lb/>
kleineren deutschen Staaten hatte man, wir wollen nicht sagen mehr Verständnis,<lb/>
aber doch jedenfalls mehr Instinkt für die Sache. Sie alle förderten nicht nur<lb/>
die Eisenbahnunternehmungen, sondern zielten auch von vorn herein auf die Staats¬<lb/>
bahn. Sie fühlten, daß hier ein Mittel gegeben sei, um deu durch deu Zoll¬<lb/>
verein verlorenen Boden wiederzugewinnen, oder wenn dies nicht, daß man sich<lb/>
vorzusehen habe, wenn man nicht noch mehr an Macht und Bedeutung ein¬<lb/>
büßen wolle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_709" next="#ID_710"> Friedrich List war es, der den nationalen Gesichtspunkt an die Spitze aller<lb/>
seiner Eiscnbahnpläne stellte. Bereits in seinen Schriften und Agitationen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0172] größeren Unternehmungen gehört — das ist von geringem Belang —, sondern weil sie das erste und leider fast das einzige Unternehmen war, das durch Ver¬ träge zwischen mehreren deutschen Staaten zustande kam und bei denen nicht örtliche und einzclstaatliche, sondern deutsch-nationale Gesichtspunkte und Interessen be¬ stimmend waren. Nicht ohne Grund erinnerte man zu jener Zeit, als es sich um die Verträge zwischen Preußen, deu thüringische» Staaten und Hessen-Kassel zur Gründung einer deutschen Centralbahn handelte, vielfach daran, daß ein einheitliches deutsches Eisenbahnsystem, für welche die Thüringer Bahn die Grund¬ lage bilde, ein notwendiges Seitenstück zu dem von Preußen gestifteten großen deutschen Zollverein und ein unzerreißbares Bindemittel der deutschen Staaten und Stämme sei. In der That, jede Verbesserung des Verkehrs kettet zusammen¬ gehörige Stämme und Völker fester aneinander. Nirgends hat sich diese Kraft der Eisenbahnen mehr geltend gemacht als in deutschen Landen, obgleich nur ein kleiner Teil derselben sich entfalten konnte, nicht mehr als sich unbedingt entfalten mußte. Jene Hoffnungen, die sich ein die Thüringer Eisenbahn knüpften, sollen größtenteils in der Zukunft noch in Erfüllung gehen. Für kein Land der Welt waren die Eisenbahnen eine so nützliche Erfindung wie für Deutschland. Hier allein hatten sie außer ihrer wirtschaftlichen Aufgabe uoch eine politische. Und schon die erste war hier größer und wichtiger als anderswo; denn in keinem Kultnrlande waren die Verkehrsmittel, vor allem die Wasserstraßen so gering an Zahl und dazu so mangelhaft. Politisch aber waren die Eisenbahnen berufen, dem größten deutschen Staate ein.bedeutendes Über¬ gewicht zu geben, wenn er bei der Anlage seinen Einfluß und Ein- und Umsicht so weit als möglich geltend machte und den Bau entweder selbst in die Hand nahm oder sich die Möglichkeit offenhielt, den Betrieb der Hauptlinien nach kurzer Zeit selbst zu leiten. Schon eine starke Landesverteidigung machte dies zu einer gebieterischen Forderung. Allein die preußischen Staatsmänner jener Zeit hatten für die politische Macht der Eisenbahnen kein Verständnis. Wie sehr sie auch durch den Zoll¬ verein der nationalen Politik eine feste Grundlage schufen, so waren sie sich ihrer Ziele doch so wenig bewußt, daß sie den mächtigsten Hebel für dieselben unbenutzt liegen ließen und ihn wohl gar mit Mißtrauen betrachteten. In den kleineren deutschen Staaten hatte man, wir wollen nicht sagen mehr Verständnis, aber doch jedenfalls mehr Instinkt für die Sache. Sie alle förderten nicht nur die Eisenbahnunternehmungen, sondern zielten auch von vorn herein auf die Staats¬ bahn. Sie fühlten, daß hier ein Mittel gegeben sei, um deu durch deu Zoll¬ verein verlorenen Boden wiederzugewinnen, oder wenn dies nicht, daß man sich vorzusehen habe, wenn man nicht noch mehr an Macht und Bedeutung ein¬ büßen wolle. Friedrich List war es, der den nationalen Gesichtspunkt an die Spitze aller seiner Eiscnbahnpläne stellte. Bereits in seinen Schriften und Agitationen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/172
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/172>, abgerufen am 17.06.2024.