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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Friedrich List und die thüringische Eisenbahn.

während der zwanziger und dreißiger Jahre wurde dieser Gedanke von ihm in
den Vordergrund geschoben. Er nahm stets denselben Rang ein wie sein wirt¬
schaftlicher Hauptgrund für die Eisenbahnen, ihre produktive Kraft. Selbst für
diesen letzten Grund hatte mau aber im Anfang der dreißiger Jahre in Deutsch¬
land wenig Verständnis, und so ging List daran, durch ein Beispiel die Wirkung
der Eisenbahnen jedermann vor Augen zu führen, in dem er die Leipzig-
Dresdener Eisenbahn gründete. Sein Schicksal und die mannigfache Unbill,
die er am Schluß seiner Thätigkeit für dies Unternehmen erfuhr, sind an andrer
Stelle bereits geschildert.*) Er war der Meinung, seinen Worten und Plänen
werde er in Zukunft beim deutschen Publikum mehr Nachdruck verschaffen können,
wenn seiue Person durch eine offizielle Stellung an der Leipzig-Dresdener
Eisenbahn gewissermaßen einen würdigeren und bedeutenderen Rahmen erhalte.
Er hatte geglaubt, daß man die moralische, ja nationale Pflicht habe, dem un¬
ermüdlichen Kämpfer für das deutsche Eisenbahnshstem und dem eigentlichen
Schöpfer des Leipzig-Dresdener Unternehmens diesen Rahmen auf einige Jahre
zu gewähren. Aber in Leipzig wollte man diese Pflicht nicht verstehen, man
hielt sie für ein Opfer, das zu bringen man zu kurzsichtig und zu engherzig
war. Man bezahlte ihm seine Auslagen -- nach einigen Mahnungen -- und
ließ ihn Weiterreisen.

Verstimmt wie einer, dem ein stolzer Bau, dem ein Werk seines Lebens in
einem einzigen Augenblick durch menschlichen Unverstand vernichtet wird, verließ
er Deutschland, um in Paris Erholung zu suchen lind die Wirkungen seiner
Ideen von der Ferne aus abzuwarten. Als er im Frühjahr 1840 zurückkehrte,
war die Lage der Dinge eine ganz andre geworden. Statt der frühern Thaten¬
losigkeit war reges Leben in Deutschland eingekehrt; statt des Mißtrauens gegen
die Eisenbahnen hatte man in weiten Kreisen Vertrauen zu der Zukunft dieser
Art von Unternehmungen gefaßt. Überall wurden Eisenbahnverbindungen ge¬
plant. Auch List hatte die alte Lust, durch seine Ideen und seine Sachkenntnis
dem Baterlande zu nützen, wiedergewonnen und durch Berichte, die er von Paris
an die Augsburger Allgemeine Zeitung gab, bereits bethätigt.

Aus deutscheu Zeitungen hatte List erfahren, daß die preußische Regierung
ihre Stellung zu den Eisenbahnen geändert habe, daß der Minister von Nagler,
früher ein heftiger Gegner dieser Verkehrsmittel, durch die Leipzig-Dresdener
und die Berlin-Potsdamer Bahn von der Niitzlichkeit derselben überzeugt, die neuen
Unternehmungen begünstige und eifrig dazu auffordere, und, was das wichtigste
war, daß Preußen zur Verbindung seiner östlichen und westlichen Staatshälfte
eine Eisenbahnlinie von Zelle durch die goldene Ane nach Kassel vermessen lasse
und die Fortsetzung dieser Bahn bis an den Rhein beabsichtige. Nach Lifts



") Nicdermüller, Die Leipzig-Dresdener Eisenbahn, ein Werk Friedrich Lifts.
Leipzig, F. W. Grunow.
Friedrich List und die thüringische Eisenbahn.

während der zwanziger und dreißiger Jahre wurde dieser Gedanke von ihm in
den Vordergrund geschoben. Er nahm stets denselben Rang ein wie sein wirt¬
schaftlicher Hauptgrund für die Eisenbahnen, ihre produktive Kraft. Selbst für
diesen letzten Grund hatte mau aber im Anfang der dreißiger Jahre in Deutsch¬
land wenig Verständnis, und so ging List daran, durch ein Beispiel die Wirkung
der Eisenbahnen jedermann vor Augen zu führen, in dem er die Leipzig-
Dresdener Eisenbahn gründete. Sein Schicksal und die mannigfache Unbill,
die er am Schluß seiner Thätigkeit für dies Unternehmen erfuhr, sind an andrer
Stelle bereits geschildert.*) Er war der Meinung, seinen Worten und Plänen
werde er in Zukunft beim deutschen Publikum mehr Nachdruck verschaffen können,
wenn seiue Person durch eine offizielle Stellung an der Leipzig-Dresdener
Eisenbahn gewissermaßen einen würdigeren und bedeutenderen Rahmen erhalte.
Er hatte geglaubt, daß man die moralische, ja nationale Pflicht habe, dem un¬
ermüdlichen Kämpfer für das deutsche Eisenbahnshstem und dem eigentlichen
Schöpfer des Leipzig-Dresdener Unternehmens diesen Rahmen auf einige Jahre
zu gewähren. Aber in Leipzig wollte man diese Pflicht nicht verstehen, man
hielt sie für ein Opfer, das zu bringen man zu kurzsichtig und zu engherzig
war. Man bezahlte ihm seine Auslagen — nach einigen Mahnungen — und
ließ ihn Weiterreisen.

Verstimmt wie einer, dem ein stolzer Bau, dem ein Werk seines Lebens in
einem einzigen Augenblick durch menschlichen Unverstand vernichtet wird, verließ
er Deutschland, um in Paris Erholung zu suchen lind die Wirkungen seiner
Ideen von der Ferne aus abzuwarten. Als er im Frühjahr 1840 zurückkehrte,
war die Lage der Dinge eine ganz andre geworden. Statt der frühern Thaten¬
losigkeit war reges Leben in Deutschland eingekehrt; statt des Mißtrauens gegen
die Eisenbahnen hatte man in weiten Kreisen Vertrauen zu der Zukunft dieser
Art von Unternehmungen gefaßt. Überall wurden Eisenbahnverbindungen ge¬
plant. Auch List hatte die alte Lust, durch seine Ideen und seine Sachkenntnis
dem Baterlande zu nützen, wiedergewonnen und durch Berichte, die er von Paris
an die Augsburger Allgemeine Zeitung gab, bereits bethätigt.

Aus deutscheu Zeitungen hatte List erfahren, daß die preußische Regierung
ihre Stellung zu den Eisenbahnen geändert habe, daß der Minister von Nagler,
früher ein heftiger Gegner dieser Verkehrsmittel, durch die Leipzig-Dresdener
und die Berlin-Potsdamer Bahn von der Niitzlichkeit derselben überzeugt, die neuen
Unternehmungen begünstige und eifrig dazu auffordere, und, was das wichtigste
war, daß Preußen zur Verbindung seiner östlichen und westlichen Staatshälfte
eine Eisenbahnlinie von Zelle durch die goldene Ane nach Kassel vermessen lasse
und die Fortsetzung dieser Bahn bis an den Rhein beabsichtige. Nach Lifts



») Nicdermüller, Die Leipzig-Dresdener Eisenbahn, ein Werk Friedrich Lifts.
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[0173] Friedrich List und die thüringische Eisenbahn. während der zwanziger und dreißiger Jahre wurde dieser Gedanke von ihm in den Vordergrund geschoben. Er nahm stets denselben Rang ein wie sein wirt¬ schaftlicher Hauptgrund für die Eisenbahnen, ihre produktive Kraft. Selbst für diesen letzten Grund hatte mau aber im Anfang der dreißiger Jahre in Deutsch¬ land wenig Verständnis, und so ging List daran, durch ein Beispiel die Wirkung der Eisenbahnen jedermann vor Augen zu führen, in dem er die Leipzig- Dresdener Eisenbahn gründete. Sein Schicksal und die mannigfache Unbill, die er am Schluß seiner Thätigkeit für dies Unternehmen erfuhr, sind an andrer Stelle bereits geschildert.*) Er war der Meinung, seinen Worten und Plänen werde er in Zukunft beim deutschen Publikum mehr Nachdruck verschaffen können, wenn seiue Person durch eine offizielle Stellung an der Leipzig-Dresdener Eisenbahn gewissermaßen einen würdigeren und bedeutenderen Rahmen erhalte. Er hatte geglaubt, daß man die moralische, ja nationale Pflicht habe, dem un¬ ermüdlichen Kämpfer für das deutsche Eisenbahnshstem und dem eigentlichen Schöpfer des Leipzig-Dresdener Unternehmens diesen Rahmen auf einige Jahre zu gewähren. Aber in Leipzig wollte man diese Pflicht nicht verstehen, man hielt sie für ein Opfer, das zu bringen man zu kurzsichtig und zu engherzig war. Man bezahlte ihm seine Auslagen — nach einigen Mahnungen — und ließ ihn Weiterreisen. Verstimmt wie einer, dem ein stolzer Bau, dem ein Werk seines Lebens in einem einzigen Augenblick durch menschlichen Unverstand vernichtet wird, verließ er Deutschland, um in Paris Erholung zu suchen lind die Wirkungen seiner Ideen von der Ferne aus abzuwarten. Als er im Frühjahr 1840 zurückkehrte, war die Lage der Dinge eine ganz andre geworden. Statt der frühern Thaten¬ losigkeit war reges Leben in Deutschland eingekehrt; statt des Mißtrauens gegen die Eisenbahnen hatte man in weiten Kreisen Vertrauen zu der Zukunft dieser Art von Unternehmungen gefaßt. Überall wurden Eisenbahnverbindungen ge¬ plant. Auch List hatte die alte Lust, durch seine Ideen und seine Sachkenntnis dem Baterlande zu nützen, wiedergewonnen und durch Berichte, die er von Paris an die Augsburger Allgemeine Zeitung gab, bereits bethätigt. Aus deutscheu Zeitungen hatte List erfahren, daß die preußische Regierung ihre Stellung zu den Eisenbahnen geändert habe, daß der Minister von Nagler, früher ein heftiger Gegner dieser Verkehrsmittel, durch die Leipzig-Dresdener und die Berlin-Potsdamer Bahn von der Niitzlichkeit derselben überzeugt, die neuen Unternehmungen begünstige und eifrig dazu auffordere, und, was das wichtigste war, daß Preußen zur Verbindung seiner östlichen und westlichen Staatshälfte eine Eisenbahnlinie von Zelle durch die goldene Ane nach Kassel vermessen lasse und die Fortsetzung dieser Bahn bis an den Rhein beabsichtige. Nach Lifts ») Nicdermüller, Die Leipzig-Dresdener Eisenbahn, ein Werk Friedrich Lifts. Leipzig, F. W. Grunow.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/173>, abgerufen am 17.06.2024.