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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Ansicht wcir eine solche Richtung der Bahn so verfehlt, daß sie das ganze Eisen¬
bahnsystem Deutschlands in Zerrüttung bringen müsse. Er begriff die Besorgnis,
die dies Projekt in deu thüringischen Städten hervorgerufen hatte, er sah, daß
entweder diese Städte dem Ruin anheimfallen oder die Bahn lange Zeit nn-
rentabel bleiben werde. Preußen hatte ausschließlich preußische Staatsinteressen
im Auge. List beschloß diese durch nationale Gesichtspunkte zu ersetzen und
damit sowohl den thüringischen Staaten wie Preußen zu nützen.

Gewissermaßen der Mittelpunkt der Eisenbahnunternehmungen war damals
Leipzig. Es war die einzige deutsche Stadt, die bereits zwei Linien besaß. Seit
Jahresfrist war die Leipzig-Dresdener Bahn in ihrer ganzen Lange in Betrieb, und
die Eröffnung der Magdeburg-Leipziger Bahn stand unmittelbar bevor. Nach
Chemnitz und den Zwickauer Kohlenbecken plante man seit laiige einen Schienenweg,
und dies Projekt wurde jetzt bereits zu eiuer sächsisch-bairischen Bahn erweitert.
Auch dachte man seit Jahren an eine Pferdeeisenbahn nach der Saale, nach
Merseburg und dem Salzwerk Dürrenberg. Auch die sonstigen deutschen Unter¬
nehmungen wurden hier, wo zur Messe die Industriellen und Kaufleute zu¬
sammenströmten, lebhaft besprochen, wieviel Zurückhaltung auch die Bankhäuser
und der größte Teil der Kaufmannschaft Leipzigs sonst diesen Unternehmungen
gegenüber, auf deren Rentabilität sich noch keine Schlösser bauen ließen, be¬
obachten mochten.

Nach Leipzig wandte sich auch List zunächst, um sich über den augenblick¬
lichen Stand der Eisenbahnangclegenheiten und besonders über das Halle-Knsseler
Unternehmen zu orientiren und von neuem Verbindungen anzuknüpfen. Vor
allem that er dies mit Berlin. Der gothaische Gesandte am Berliner Hofe
stellte jedoch alle Bemühungen als hoffnungslos dar. Bereits, sagte er, sei
zwischen Preußen und Hessen ein Vertrag abgeschlossen worden, und Nagler
sei von seinen vorgefaßten Meinungen nicht abzubringen. List entwickelte ihm
seine Ansichten, daß auf diplomatischem Wege gegen die Vorurteile des preu¬
ßischen Ministeriums in der That nichts auszurichten, daß hier die politische
und nationale Seite der Sache herauszukehren, daß Preußen einzig und allein
durch eine öffentliche Verhandlung der Angelegenheit ans den rechten Weg zu
bringen und den Interessen der thüringischen Staaten "ur vermittelst ihrer Ver¬
einigung Gewicht zu verschaffen sei. Der Gesandte stimmte ihm bei und verwies
ihn an den gothaischen Regierungspräsidenten von Stein.

Inzwischen hatte List auch seine alten Verbindungen in Thüringen ans
der Zeit des deutscheu Handelsvereins und seinem ersten Auftreten für ein all¬
gemeines deutsches Eisenbahnsystem zu Ende der zwanziger Jahre, seine Ver¬
bindung mit Erlist Will). Arnoldi in Gotha und Ernst Weber in Gera wieder
angeknüpft. Diese ausgezeichneten Männer, denen Deutschland so manche An¬
regung und mehrere nützliche Institute verdankte, begrüßten List als einen Retter
in der Not. Ihrem Blick war es nicht entgangen, daß, wenn die Bahn nicht


Ansicht wcir eine solche Richtung der Bahn so verfehlt, daß sie das ganze Eisen¬
bahnsystem Deutschlands in Zerrüttung bringen müsse. Er begriff die Besorgnis,
die dies Projekt in deu thüringischen Städten hervorgerufen hatte, er sah, daß
entweder diese Städte dem Ruin anheimfallen oder die Bahn lange Zeit nn-
rentabel bleiben werde. Preußen hatte ausschließlich preußische Staatsinteressen
im Auge. List beschloß diese durch nationale Gesichtspunkte zu ersetzen und
damit sowohl den thüringischen Staaten wie Preußen zu nützen.

Gewissermaßen der Mittelpunkt der Eisenbahnunternehmungen war damals
Leipzig. Es war die einzige deutsche Stadt, die bereits zwei Linien besaß. Seit
Jahresfrist war die Leipzig-Dresdener Bahn in ihrer ganzen Lange in Betrieb, und
die Eröffnung der Magdeburg-Leipziger Bahn stand unmittelbar bevor. Nach
Chemnitz und den Zwickauer Kohlenbecken plante man seit laiige einen Schienenweg,
und dies Projekt wurde jetzt bereits zu eiuer sächsisch-bairischen Bahn erweitert.
Auch dachte man seit Jahren an eine Pferdeeisenbahn nach der Saale, nach
Merseburg und dem Salzwerk Dürrenberg. Auch die sonstigen deutschen Unter¬
nehmungen wurden hier, wo zur Messe die Industriellen und Kaufleute zu¬
sammenströmten, lebhaft besprochen, wieviel Zurückhaltung auch die Bankhäuser
und der größte Teil der Kaufmannschaft Leipzigs sonst diesen Unternehmungen
gegenüber, auf deren Rentabilität sich noch keine Schlösser bauen ließen, be¬
obachten mochten.

Nach Leipzig wandte sich auch List zunächst, um sich über den augenblick¬
lichen Stand der Eisenbahnangclegenheiten und besonders über das Halle-Knsseler
Unternehmen zu orientiren und von neuem Verbindungen anzuknüpfen. Vor
allem that er dies mit Berlin. Der gothaische Gesandte am Berliner Hofe
stellte jedoch alle Bemühungen als hoffnungslos dar. Bereits, sagte er, sei
zwischen Preußen und Hessen ein Vertrag abgeschlossen worden, und Nagler
sei von seinen vorgefaßten Meinungen nicht abzubringen. List entwickelte ihm
seine Ansichten, daß auf diplomatischem Wege gegen die Vorurteile des preu¬
ßischen Ministeriums in der That nichts auszurichten, daß hier die politische
und nationale Seite der Sache herauszukehren, daß Preußen einzig und allein
durch eine öffentliche Verhandlung der Angelegenheit ans den rechten Weg zu
bringen und den Interessen der thüringischen Staaten »ur vermittelst ihrer Ver¬
einigung Gewicht zu verschaffen sei. Der Gesandte stimmte ihm bei und verwies
ihn an den gothaischen Regierungspräsidenten von Stein.

Inzwischen hatte List auch seine alten Verbindungen in Thüringen ans
der Zeit des deutscheu Handelsvereins und seinem ersten Auftreten für ein all¬
gemeines deutsches Eisenbahnsystem zu Ende der zwanziger Jahre, seine Ver¬
bindung mit Erlist Will). Arnoldi in Gotha und Ernst Weber in Gera wieder
angeknüpft. Diese ausgezeichneten Männer, denen Deutschland so manche An¬
regung und mehrere nützliche Institute verdankte, begrüßten List als einen Retter
in der Not. Ihrem Blick war es nicht entgangen, daß, wenn die Bahn nicht


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[0174] Ansicht wcir eine solche Richtung der Bahn so verfehlt, daß sie das ganze Eisen¬ bahnsystem Deutschlands in Zerrüttung bringen müsse. Er begriff die Besorgnis, die dies Projekt in deu thüringischen Städten hervorgerufen hatte, er sah, daß entweder diese Städte dem Ruin anheimfallen oder die Bahn lange Zeit nn- rentabel bleiben werde. Preußen hatte ausschließlich preußische Staatsinteressen im Auge. List beschloß diese durch nationale Gesichtspunkte zu ersetzen und damit sowohl den thüringischen Staaten wie Preußen zu nützen. Gewissermaßen der Mittelpunkt der Eisenbahnunternehmungen war damals Leipzig. Es war die einzige deutsche Stadt, die bereits zwei Linien besaß. Seit Jahresfrist war die Leipzig-Dresdener Bahn in ihrer ganzen Lange in Betrieb, und die Eröffnung der Magdeburg-Leipziger Bahn stand unmittelbar bevor. Nach Chemnitz und den Zwickauer Kohlenbecken plante man seit laiige einen Schienenweg, und dies Projekt wurde jetzt bereits zu eiuer sächsisch-bairischen Bahn erweitert. Auch dachte man seit Jahren an eine Pferdeeisenbahn nach der Saale, nach Merseburg und dem Salzwerk Dürrenberg. Auch die sonstigen deutschen Unter¬ nehmungen wurden hier, wo zur Messe die Industriellen und Kaufleute zu¬ sammenströmten, lebhaft besprochen, wieviel Zurückhaltung auch die Bankhäuser und der größte Teil der Kaufmannschaft Leipzigs sonst diesen Unternehmungen gegenüber, auf deren Rentabilität sich noch keine Schlösser bauen ließen, be¬ obachten mochten. Nach Leipzig wandte sich auch List zunächst, um sich über den augenblick¬ lichen Stand der Eisenbahnangclegenheiten und besonders über das Halle-Knsseler Unternehmen zu orientiren und von neuem Verbindungen anzuknüpfen. Vor allem that er dies mit Berlin. Der gothaische Gesandte am Berliner Hofe stellte jedoch alle Bemühungen als hoffnungslos dar. Bereits, sagte er, sei zwischen Preußen und Hessen ein Vertrag abgeschlossen worden, und Nagler sei von seinen vorgefaßten Meinungen nicht abzubringen. List entwickelte ihm seine Ansichten, daß auf diplomatischem Wege gegen die Vorurteile des preu¬ ßischen Ministeriums in der That nichts auszurichten, daß hier die politische und nationale Seite der Sache herauszukehren, daß Preußen einzig und allein durch eine öffentliche Verhandlung der Angelegenheit ans den rechten Weg zu bringen und den Interessen der thüringischen Staaten »ur vermittelst ihrer Ver¬ einigung Gewicht zu verschaffen sei. Der Gesandte stimmte ihm bei und verwies ihn an den gothaischen Regierungspräsidenten von Stein. Inzwischen hatte List auch seine alten Verbindungen in Thüringen ans der Zeit des deutscheu Handelsvereins und seinem ersten Auftreten für ein all¬ gemeines deutsches Eisenbahnsystem zu Ende der zwanziger Jahre, seine Ver¬ bindung mit Erlist Will). Arnoldi in Gotha und Ernst Weber in Gera wieder angeknüpft. Diese ausgezeichneten Männer, denen Deutschland so manche An¬ regung und mehrere nützliche Institute verdankte, begrüßten List als einen Retter in der Not. Ihrem Blick war es nicht entgangen, daß, wenn die Bahn nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/174>, abgerufen am 17.06.2024.