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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Briefe eines Unbekannten.

einem lustigen Tag. Denn -- so belehrt er uns -- die beiden edlen Veroneser
(Romeo und Julie) hatten oder glaubten mit allem Recht für ihre Liebe nirgend
eine Zuflucht als im Tode; Saly und Vreeui aber, ich kann mir nicht helfen,
will mir auch gar nicht helfe"?, denen beiden aber konnte, mein ich, mit allem
Respekt vor der Poesie, geholfen werden. Sie waren weder Montagne noch
Capulct, noblösizs no l"zö od1igeg.it xa,s, ich sehe wirklich nirgends den tragischen
Grund zum tragischen Ende. Die armen Dinger hatten so schon gar nichts, das wie
Ehre oder Ehrbarkeit aussah" (S. 139). Selten wird die suffisance, der
Hochmut am unrechten Platz, der nörgelnde Dünkel sich so ungeschminkt darstellen
wie in diesem "Urteil." Selbst der hocharistvkratische Spanier Calderon hat in
seinem "Richter von Zalamea" gewußt, daß die vornehmsten Empfindungen der
Seele auch in niedern Hüllen bewußt und unbewußt auftreten können.

Um der Sache die Krone aufzusetzen, nimmt der "Unbekannte" von Wischers
"Auch einer," freilich keinem vollendeten, keinem schönen Buche, Veranlassung,
der gesammten deutschen Literatur das Endurteil zuzuschleuderu: "Der deutsche
Bürgerstand ist ehrenwert, tüchtig, stark, arbeitskräftig aber -- ach! so unheilbar
geschmacklos. Und das spiegelt sich in all den Büchern von all en (!), auch den
ehrenwertesten deutschen Schriftstellern wieder, mit Behagen verweilen sie bei
den triviale" Bildern, bei der Butter, die aufs Brod, bei dem klebrige" Honig,
der auf die Butter gestrichen wird, bei dem Staub, in den das Butterbrod fallen
muß, um noch widerlicher zu werden -- mir vergeht halt der Appetit" (S. 296).

Uns auch! -- Mit einem Leser, der Schiller und Goethe im tiefsten zu ver¬
stehen meint, der uuter deu Neuern Heyse und Scheffel "sehr hoch stellt" und
dann derartige Armseligkeiten, wenn auch nur in einem Briefe niederschreibe, ist
uns nicht geholfen. Wir bleiben dabei: Stimmen ans dein Publikum, dem un¬
befangenen, gebildeten, müssen laut werden, sollen sich vernehmen lassen, wir
haben zu wünschen, daß es das nächstemal harmonischer klingende, klarere, jugeud-
kräftigerc Stimmen sein möchten. Für diesmal aber bitten wir die Fee des
Märchens, die im Unbedacht herbeigewünschte Bratwurst unter der Nase nus
freundlichst wiederum abzunehmen.




Briefe eines Unbekannten.

einem lustigen Tag. Denn — so belehrt er uns — die beiden edlen Veroneser
(Romeo und Julie) hatten oder glaubten mit allem Recht für ihre Liebe nirgend
eine Zuflucht als im Tode; Saly und Vreeui aber, ich kann mir nicht helfen,
will mir auch gar nicht helfe«?, denen beiden aber konnte, mein ich, mit allem
Respekt vor der Poesie, geholfen werden. Sie waren weder Montagne noch
Capulct, noblösizs no l«zö od1igeg.it xa,s, ich sehe wirklich nirgends den tragischen
Grund zum tragischen Ende. Die armen Dinger hatten so schon gar nichts, das wie
Ehre oder Ehrbarkeit aussah" (S. 139). Selten wird die suffisance, der
Hochmut am unrechten Platz, der nörgelnde Dünkel sich so ungeschminkt darstellen
wie in diesem „Urteil." Selbst der hocharistvkratische Spanier Calderon hat in
seinem „Richter von Zalamea" gewußt, daß die vornehmsten Empfindungen der
Seele auch in niedern Hüllen bewußt und unbewußt auftreten können.

Um der Sache die Krone aufzusetzen, nimmt der „Unbekannte" von Wischers
„Auch einer," freilich keinem vollendeten, keinem schönen Buche, Veranlassung,
der gesammten deutschen Literatur das Endurteil zuzuschleuderu: „Der deutsche
Bürgerstand ist ehrenwert, tüchtig, stark, arbeitskräftig aber — ach! so unheilbar
geschmacklos. Und das spiegelt sich in all den Büchern von all en (!), auch den
ehrenwertesten deutschen Schriftstellern wieder, mit Behagen verweilen sie bei
den triviale» Bildern, bei der Butter, die aufs Brod, bei dem klebrige» Honig,
der auf die Butter gestrichen wird, bei dem Staub, in den das Butterbrod fallen
muß, um noch widerlicher zu werden — mir vergeht halt der Appetit" (S. 296).

Uns auch! — Mit einem Leser, der Schiller und Goethe im tiefsten zu ver¬
stehen meint, der uuter deu Neuern Heyse und Scheffel „sehr hoch stellt" und
dann derartige Armseligkeiten, wenn auch nur in einem Briefe niederschreibe, ist
uns nicht geholfen. Wir bleiben dabei: Stimmen ans dein Publikum, dem un¬
befangenen, gebildeten, müssen laut werden, sollen sich vernehmen lassen, wir
haben zu wünschen, daß es das nächstemal harmonischer klingende, klarere, jugeud-
kräftigerc Stimmen sein möchten. Für diesmal aber bitten wir die Fee des
Märchens, die im Unbedacht herbeigewünschte Bratwurst unter der Nase nus
freundlichst wiederum abzunehmen.




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[0194] Briefe eines Unbekannten. einem lustigen Tag. Denn — so belehrt er uns — die beiden edlen Veroneser (Romeo und Julie) hatten oder glaubten mit allem Recht für ihre Liebe nirgend eine Zuflucht als im Tode; Saly und Vreeui aber, ich kann mir nicht helfen, will mir auch gar nicht helfe«?, denen beiden aber konnte, mein ich, mit allem Respekt vor der Poesie, geholfen werden. Sie waren weder Montagne noch Capulct, noblösizs no l«zö od1igeg.it xa,s, ich sehe wirklich nirgends den tragischen Grund zum tragischen Ende. Die armen Dinger hatten so schon gar nichts, das wie Ehre oder Ehrbarkeit aussah" (S. 139). Selten wird die suffisance, der Hochmut am unrechten Platz, der nörgelnde Dünkel sich so ungeschminkt darstellen wie in diesem „Urteil." Selbst der hocharistvkratische Spanier Calderon hat in seinem „Richter von Zalamea" gewußt, daß die vornehmsten Empfindungen der Seele auch in niedern Hüllen bewußt und unbewußt auftreten können. Um der Sache die Krone aufzusetzen, nimmt der „Unbekannte" von Wischers „Auch einer," freilich keinem vollendeten, keinem schönen Buche, Veranlassung, der gesammten deutschen Literatur das Endurteil zuzuschleuderu: „Der deutsche Bürgerstand ist ehrenwert, tüchtig, stark, arbeitskräftig aber — ach! so unheilbar geschmacklos. Und das spiegelt sich in all den Büchern von all en (!), auch den ehrenwertesten deutschen Schriftstellern wieder, mit Behagen verweilen sie bei den triviale» Bildern, bei der Butter, die aufs Brod, bei dem klebrige» Honig, der auf die Butter gestrichen wird, bei dem Staub, in den das Butterbrod fallen muß, um noch widerlicher zu werden — mir vergeht halt der Appetit" (S. 296). Uns auch! — Mit einem Leser, der Schiller und Goethe im tiefsten zu ver¬ stehen meint, der uuter deu Neuern Heyse und Scheffel „sehr hoch stellt" und dann derartige Armseligkeiten, wenn auch nur in einem Briefe niederschreibe, ist uns nicht geholfen. Wir bleiben dabei: Stimmen ans dein Publikum, dem un¬ befangenen, gebildeten, müssen laut werden, sollen sich vernehmen lassen, wir haben zu wünschen, daß es das nächstemal harmonischer klingende, klarere, jugeud- kräftigerc Stimmen sein möchten. Für diesmal aber bitten wir die Fee des Märchens, die im Unbedacht herbeigewünschte Bratwurst unter der Nase nus freundlichst wiederum abzunehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/194>, abgerufen am 17.06.2024.