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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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korrigiren zu können. Ebenso muß er seine Schlechtigkeiten so geschickt und ver¬
steckt ausführen, daß man sie nicht bemerkt, sondern sie im Gegenteile für edle
Thaten hält. Dann offenbar besteht die äußerste Ungerechtigkeit darin, daß
man für gerecht gilt, nährend man es doch nicht ist. Er muß sich also des
besten Rufes wegen seiner Tugend erfreuen, während er die größten Schlechtig¬
keiten begeht, muß die Gesetze genau kennen, um sie ohne Gefahr umgeben zu
können, muß beredt sein, um überzeugend zu reden, wenn ja etwas von seiner
Ungerechtigkeit verlautet, mutig und stark sein, um mit Gewalt seine Feinde
niederzuwerfen, wo deren auftreten sollten, die durch List nicht zu bewältigen
sind. Auf der audern Seite wollen wir deu Gerechten betrachten, einen wirklich
Tugendhaften, der nicht gut scheinen, sondern sein will. Denn das Scheinen
muß man wegnehmen, weil ihm, wenn er für gerecht gilt, Ehre und Vorteile
zufallen und alsdann ungewiß ist, ob er nicht vielleicht deshalb tugendhaft ist.
Man muß ihn also aller Dinge, außer der Tugend, entkleiden und ihn in allen
Punkten dem andern Bilde entgegenstellen, so daß er also für ganz böse gilt,
während er doch keine Schlechtigkeit begeht. Und dann wird das die wahre
Prüfung hinsichtlich seiner Gerechtigkeit sein: ob er sich nicht doch endlich durch
den bösen Leumund und dessen arge Folgen erweichen lasse, sondern unwandelbar
bis zum Tode der Gerechtigkeit treu bleibe, obwohl sein Leben lang für unge¬
recht gehalten.

Sind nun beide so beschaffen, lieber Vater, so ist es wohl nicht schwer,
einzusehen, welches Schicksal ihrer wartet. Der Gerechte wird sein Leben unter
Schmach und Verfolgungen hinbringen, bis er zuletzt ius Gefängnis geworfen
wird und auf dem Schaffot stirbt. Christus ist dafür das Beispiel. Und das
ist in keiner Weise eine Dichtung und Übertreibung, sondern es ist die nackte,
einfache Prosa und Wirklichkeit. Ein wirklich tugendhafter Mensch muß not¬
wendigerweise in der menschlichen Gesellschaft zu Grunde gehen. Ja, wenn
er auch nur eine einzige von allen Tugenden hat, angenommen, es wäre möglich,
daß er nur eine einzige haben könnte, zum Beispiel die, "ur die Wahrheit zu
sprechen, würde er dem edeln Wilde gleichen, dem viele Hunde und Jäger nach¬
jagen. Mirza Schafft) sagt mit völligem Recht:


Wer die Wahrheit liebt, der muß
Schon sein Pferd am Zügel haben --
Wer die Wahrheit denkt, der muß
Schon den Fuß im Bügel haben --
Wer die Wahrheit spricht, der muß
Statt der Arme Flügel haben.

Und doch singt Mirza Schafft): Wer da lügt, muß Prügel haben, warf
der Vater ein.

Ja, erwiederte der Sohn, und deshalb sagt auch Hamlet mit Recht, als
Polonius die Schauspieler nach ihrem Verdienst behandeln will: Viel besser Mann,


Bakchen und Thyrsostmgcr.

korrigiren zu können. Ebenso muß er seine Schlechtigkeiten so geschickt und ver¬
steckt ausführen, daß man sie nicht bemerkt, sondern sie im Gegenteile für edle
Thaten hält. Dann offenbar besteht die äußerste Ungerechtigkeit darin, daß
man für gerecht gilt, nährend man es doch nicht ist. Er muß sich also des
besten Rufes wegen seiner Tugend erfreuen, während er die größten Schlechtig¬
keiten begeht, muß die Gesetze genau kennen, um sie ohne Gefahr umgeben zu
können, muß beredt sein, um überzeugend zu reden, wenn ja etwas von seiner
Ungerechtigkeit verlautet, mutig und stark sein, um mit Gewalt seine Feinde
niederzuwerfen, wo deren auftreten sollten, die durch List nicht zu bewältigen
sind. Auf der audern Seite wollen wir deu Gerechten betrachten, einen wirklich
Tugendhaften, der nicht gut scheinen, sondern sein will. Denn das Scheinen
muß man wegnehmen, weil ihm, wenn er für gerecht gilt, Ehre und Vorteile
zufallen und alsdann ungewiß ist, ob er nicht vielleicht deshalb tugendhaft ist.
Man muß ihn also aller Dinge, außer der Tugend, entkleiden und ihn in allen
Punkten dem andern Bilde entgegenstellen, so daß er also für ganz böse gilt,
während er doch keine Schlechtigkeit begeht. Und dann wird das die wahre
Prüfung hinsichtlich seiner Gerechtigkeit sein: ob er sich nicht doch endlich durch
den bösen Leumund und dessen arge Folgen erweichen lasse, sondern unwandelbar
bis zum Tode der Gerechtigkeit treu bleibe, obwohl sein Leben lang für unge¬
recht gehalten.

Sind nun beide so beschaffen, lieber Vater, so ist es wohl nicht schwer,
einzusehen, welches Schicksal ihrer wartet. Der Gerechte wird sein Leben unter
Schmach und Verfolgungen hinbringen, bis er zuletzt ius Gefängnis geworfen
wird und auf dem Schaffot stirbt. Christus ist dafür das Beispiel. Und das
ist in keiner Weise eine Dichtung und Übertreibung, sondern es ist die nackte,
einfache Prosa und Wirklichkeit. Ein wirklich tugendhafter Mensch muß not¬
wendigerweise in der menschlichen Gesellschaft zu Grunde gehen. Ja, wenn
er auch nur eine einzige von allen Tugenden hat, angenommen, es wäre möglich,
daß er nur eine einzige haben könnte, zum Beispiel die, »ur die Wahrheit zu
sprechen, würde er dem edeln Wilde gleichen, dem viele Hunde und Jäger nach¬
jagen. Mirza Schafft) sagt mit völligem Recht:


Wer die Wahrheit liebt, der muß
Schon sein Pferd am Zügel haben —
Wer die Wahrheit denkt, der muß
Schon den Fuß im Bügel haben —
Wer die Wahrheit spricht, der muß
Statt der Arme Flügel haben.

Und doch singt Mirza Schafft): Wer da lügt, muß Prügel haben, warf
der Vater ein.

Ja, erwiederte der Sohn, und deshalb sagt auch Hamlet mit Recht, als
Polonius die Schauspieler nach ihrem Verdienst behandeln will: Viel besser Mann,


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[0197] Bakchen und Thyrsostmgcr. korrigiren zu können. Ebenso muß er seine Schlechtigkeiten so geschickt und ver¬ steckt ausführen, daß man sie nicht bemerkt, sondern sie im Gegenteile für edle Thaten hält. Dann offenbar besteht die äußerste Ungerechtigkeit darin, daß man für gerecht gilt, nährend man es doch nicht ist. Er muß sich also des besten Rufes wegen seiner Tugend erfreuen, während er die größten Schlechtig¬ keiten begeht, muß die Gesetze genau kennen, um sie ohne Gefahr umgeben zu können, muß beredt sein, um überzeugend zu reden, wenn ja etwas von seiner Ungerechtigkeit verlautet, mutig und stark sein, um mit Gewalt seine Feinde niederzuwerfen, wo deren auftreten sollten, die durch List nicht zu bewältigen sind. Auf der audern Seite wollen wir deu Gerechten betrachten, einen wirklich Tugendhaften, der nicht gut scheinen, sondern sein will. Denn das Scheinen muß man wegnehmen, weil ihm, wenn er für gerecht gilt, Ehre und Vorteile zufallen und alsdann ungewiß ist, ob er nicht vielleicht deshalb tugendhaft ist. Man muß ihn also aller Dinge, außer der Tugend, entkleiden und ihn in allen Punkten dem andern Bilde entgegenstellen, so daß er also für ganz böse gilt, während er doch keine Schlechtigkeit begeht. Und dann wird das die wahre Prüfung hinsichtlich seiner Gerechtigkeit sein: ob er sich nicht doch endlich durch den bösen Leumund und dessen arge Folgen erweichen lasse, sondern unwandelbar bis zum Tode der Gerechtigkeit treu bleibe, obwohl sein Leben lang für unge¬ recht gehalten. Sind nun beide so beschaffen, lieber Vater, so ist es wohl nicht schwer, einzusehen, welches Schicksal ihrer wartet. Der Gerechte wird sein Leben unter Schmach und Verfolgungen hinbringen, bis er zuletzt ius Gefängnis geworfen wird und auf dem Schaffot stirbt. Christus ist dafür das Beispiel. Und das ist in keiner Weise eine Dichtung und Übertreibung, sondern es ist die nackte, einfache Prosa und Wirklichkeit. Ein wirklich tugendhafter Mensch muß not¬ wendigerweise in der menschlichen Gesellschaft zu Grunde gehen. Ja, wenn er auch nur eine einzige von allen Tugenden hat, angenommen, es wäre möglich, daß er nur eine einzige haben könnte, zum Beispiel die, »ur die Wahrheit zu sprechen, würde er dem edeln Wilde gleichen, dem viele Hunde und Jäger nach¬ jagen. Mirza Schafft) sagt mit völligem Recht: Wer die Wahrheit liebt, der muß Schon sein Pferd am Zügel haben — Wer die Wahrheit denkt, der muß Schon den Fuß im Bügel haben — Wer die Wahrheit spricht, der muß Statt der Arme Flügel haben. Und doch singt Mirza Schafft): Wer da lügt, muß Prügel haben, warf der Vater ein. Ja, erwiederte der Sohn, und deshalb sagt auch Hamlet mit Recht, als Polonius die Schauspieler nach ihrem Verdienst behandeln will: Viel besser Mann,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/197>, abgerufen am 17.06.2024.