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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Barchen und Thyrsosträger.

viel besser. Wen" wir alle nach Verdienst behandelt würden, wer entginge der
Peitsche?

So also, wie ich sagte, wird es dem Gerechten ergehen. Er wird jäm¬
merlich zu Gründe gehen, völlig verachtet. Der Ungerechte aber wird in seiner
Stadt und seinem Staate das gebietende Wort führen, er wird heiraten, welches
Mädchen er will, wird Allianzen schließen, mit welchem Hanse er Lust hat, in
persönlichen und politischen Streitigkeiten die Oberhand behalten, reich werden,
seinen Freunden nützen, den Armen wohlthun, die Kirche" beschenken, fromme
Stiftungen gründe" "ut nach einem glücklichen Leben unter Segnungen sterbe",
betrauert und belobt "ut nicht nur bei den Mensche", sondern bei Gott selbst
angenehm.

Willst du aber noch deutlicher sehen, daß dies die Wahrheit ist, so sich
nur gerade die Darstellungen an, welche das Gegenteil behaupten, daß nämlich
die Gerechtigkeit der Ungerechtigkeit vorzuziehen sei. Zuerst sind da die Eltern
und die Lehrer, die schon den Kindern sagen und sie ermahne", ja el" gerechtes
Leben zu führen, da ihnen dies Ehre und Vorteil bringen würde. An der
Spitze steht da das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, ans daß
dirs wohl gehe und du lange lebest ans Erden. Es ist also von der Gerech¬
tigkeit selbst gar uicht die Rede, sondern mir von dem Lohne der Gerechtigkeit.
Und noch weiter gehen die Religionslehrer und Prediger, indem sie der Jugend
und dem Alter Ermahnungen zur Tugend und Frömmigkeit und zum Glauben
geben, damit sie dereinst das Himmelreich erwerbe". Also auch hier sogar redet
niemand von der Schönheit der Gerechtigkeit selbst, sonder" nur von deren
himmlischem Lohn. Hundert Stellen sind im Neuen Testament, die den Sinn
haben: Liebet eure Feinde, thut wohl und leidet, ohne dafür etwas zu hoffen,
so wird euer Lohn im Himmel groß sein. Was sind Himmel und Hölle
andres als der Lohn für das Gute und die Strafe für das Schlechte? Die
Gläubigen und Gerechten erfreuen sich ewiger Seligkeit, die Ungerechten aber
schmachten in einiger Verdammnis, und etwas andres wissen die Priester nicht.

Das stimmt auch ganz damit, was alle Leute, auch die Dichter und auch
die Apostel und auch der Stifter der christlichen Religion selber sagten, das;
nämlich die Gerechtigkeit zwar etwas sehr Schönes, aber auch etwas Schweres
und Mühseliges sei, die Ungerechtigkeit aber angenehm und leicht zu erlangen
und nur der Meinung und dem Gesetze nach etwas Schimpfliches. Schon der
alte Dichter Hesiod singt:


Hin zum Laster vermag man sogar schaarweisc zu komme",
Leichtlich, der Weg ist glatt, und es wohnt gar sehr in der Nähe.
Doch vor die Tugend hin in Schweiß von den Göttern gestellet.

Und ebendasselbe sagt Christus, nämlich:


Die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführet, und ihrer
sind viele, die daraus wandeln! und die Pforte ist enge und der Weg ist schmal,
der zum Leben führet, und wenig sind ihrer, die darauf wandeln.

Barchen und Thyrsosträger.

viel besser. Wen» wir alle nach Verdienst behandelt würden, wer entginge der
Peitsche?

So also, wie ich sagte, wird es dem Gerechten ergehen. Er wird jäm¬
merlich zu Gründe gehen, völlig verachtet. Der Ungerechte aber wird in seiner
Stadt und seinem Staate das gebietende Wort führen, er wird heiraten, welches
Mädchen er will, wird Allianzen schließen, mit welchem Hanse er Lust hat, in
persönlichen und politischen Streitigkeiten die Oberhand behalten, reich werden,
seinen Freunden nützen, den Armen wohlthun, die Kirche» beschenken, fromme
Stiftungen gründe» »ut nach einem glücklichen Leben unter Segnungen sterbe»,
betrauert und belobt »ut nicht nur bei den Mensche», sondern bei Gott selbst
angenehm.

Willst du aber noch deutlicher sehen, daß dies die Wahrheit ist, so sich
nur gerade die Darstellungen an, welche das Gegenteil behaupten, daß nämlich
die Gerechtigkeit der Ungerechtigkeit vorzuziehen sei. Zuerst sind da die Eltern
und die Lehrer, die schon den Kindern sagen und sie ermahne», ja el» gerechtes
Leben zu führen, da ihnen dies Ehre und Vorteil bringen würde. An der
Spitze steht da das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, ans daß
dirs wohl gehe und du lange lebest ans Erden. Es ist also von der Gerech¬
tigkeit selbst gar uicht die Rede, sondern mir von dem Lohne der Gerechtigkeit.
Und noch weiter gehen die Religionslehrer und Prediger, indem sie der Jugend
und dem Alter Ermahnungen zur Tugend und Frömmigkeit und zum Glauben
geben, damit sie dereinst das Himmelreich erwerbe». Also auch hier sogar redet
niemand von der Schönheit der Gerechtigkeit selbst, sonder» nur von deren
himmlischem Lohn. Hundert Stellen sind im Neuen Testament, die den Sinn
haben: Liebet eure Feinde, thut wohl und leidet, ohne dafür etwas zu hoffen,
so wird euer Lohn im Himmel groß sein. Was sind Himmel und Hölle
andres als der Lohn für das Gute und die Strafe für das Schlechte? Die
Gläubigen und Gerechten erfreuen sich ewiger Seligkeit, die Ungerechten aber
schmachten in einiger Verdammnis, und etwas andres wissen die Priester nicht.

Das stimmt auch ganz damit, was alle Leute, auch die Dichter und auch
die Apostel und auch der Stifter der christlichen Religion selber sagten, das;
nämlich die Gerechtigkeit zwar etwas sehr Schönes, aber auch etwas Schweres
und Mühseliges sei, die Ungerechtigkeit aber angenehm und leicht zu erlangen
und nur der Meinung und dem Gesetze nach etwas Schimpfliches. Schon der
alte Dichter Hesiod singt:


Hin zum Laster vermag man sogar schaarweisc zu komme»,
Leichtlich, der Weg ist glatt, und es wohnt gar sehr in der Nähe.
Doch vor die Tugend hin in Schweiß von den Göttern gestellet.

Und ebendasselbe sagt Christus, nämlich:


Die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführet, und ihrer
sind viele, die daraus wandeln! und die Pforte ist enge und der Weg ist schmal,
der zum Leben führet, und wenig sind ihrer, die darauf wandeln.

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[0198] Barchen und Thyrsosträger. viel besser. Wen» wir alle nach Verdienst behandelt würden, wer entginge der Peitsche? So also, wie ich sagte, wird es dem Gerechten ergehen. Er wird jäm¬ merlich zu Gründe gehen, völlig verachtet. Der Ungerechte aber wird in seiner Stadt und seinem Staate das gebietende Wort führen, er wird heiraten, welches Mädchen er will, wird Allianzen schließen, mit welchem Hanse er Lust hat, in persönlichen und politischen Streitigkeiten die Oberhand behalten, reich werden, seinen Freunden nützen, den Armen wohlthun, die Kirche» beschenken, fromme Stiftungen gründe» »ut nach einem glücklichen Leben unter Segnungen sterbe», betrauert und belobt »ut nicht nur bei den Mensche», sondern bei Gott selbst angenehm. Willst du aber noch deutlicher sehen, daß dies die Wahrheit ist, so sich nur gerade die Darstellungen an, welche das Gegenteil behaupten, daß nämlich die Gerechtigkeit der Ungerechtigkeit vorzuziehen sei. Zuerst sind da die Eltern und die Lehrer, die schon den Kindern sagen und sie ermahne», ja el» gerechtes Leben zu führen, da ihnen dies Ehre und Vorteil bringen würde. An der Spitze steht da das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, ans daß dirs wohl gehe und du lange lebest ans Erden. Es ist also von der Gerech¬ tigkeit selbst gar uicht die Rede, sondern mir von dem Lohne der Gerechtigkeit. Und noch weiter gehen die Religionslehrer und Prediger, indem sie der Jugend und dem Alter Ermahnungen zur Tugend und Frömmigkeit und zum Glauben geben, damit sie dereinst das Himmelreich erwerbe». Also auch hier sogar redet niemand von der Schönheit der Gerechtigkeit selbst, sonder» nur von deren himmlischem Lohn. Hundert Stellen sind im Neuen Testament, die den Sinn haben: Liebet eure Feinde, thut wohl und leidet, ohne dafür etwas zu hoffen, so wird euer Lohn im Himmel groß sein. Was sind Himmel und Hölle andres als der Lohn für das Gute und die Strafe für das Schlechte? Die Gläubigen und Gerechten erfreuen sich ewiger Seligkeit, die Ungerechten aber schmachten in einiger Verdammnis, und etwas andres wissen die Priester nicht. Das stimmt auch ganz damit, was alle Leute, auch die Dichter und auch die Apostel und auch der Stifter der christlichen Religion selber sagten, das; nämlich die Gerechtigkeit zwar etwas sehr Schönes, aber auch etwas Schweres und Mühseliges sei, die Ungerechtigkeit aber angenehm und leicht zu erlangen und nur der Meinung und dem Gesetze nach etwas Schimpfliches. Schon der alte Dichter Hesiod singt: Hin zum Laster vermag man sogar schaarweisc zu komme», Leichtlich, der Weg ist glatt, und es wohnt gar sehr in der Nähe. Doch vor die Tugend hin in Schweiß von den Göttern gestellet. Und ebendasselbe sagt Christus, nämlich: Die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführet, und ihrer sind viele, die daraus wandeln! und die Pforte ist enge und der Weg ist schmal, der zum Leben führet, und wenig sind ihrer, die darauf wandeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/198>, abgerufen am 17.06.2024.