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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Aber am stärksten ist das, daß allgemein gesagt und zugegeben wird, daß Gott
selbst schon vielen guten Menschen Unglück nud ein trauriges Leben zugemessen
habe, den Bösen aber häufig ein großes Glück und fröhliches Dasein.

Dazu machen die Priester aller Religionen den Reichen und Vornehmen
den Hof und reden ihnen vor, daß sie ihre begangenen Sünden wieder gut
machen könnten durch Reue nud Buße und ein frommes Leben. Ja sie be¬
haupten geradezu, sie, die Priester, hätten die Macht zu binden und zu lösen,
Sunden zu behalten und Sünden zu vergeben, und sie bereiten so dem Unge¬
rechten ein bequemes Sündcnbett, von dem aus sie ihn zuletzt doch in den
Himmel schmuggeln. Und ich muß gestehein Dem vorurteilsfreien Blick giebt
unsre christliche Lehre, wie sie von der Kirche gepredigt wird, ein Bild, welches
solche Behauptungen rechtfertigt. Es scheint mir in der That so zu sein, daß
das Christentum eine Erlösung von der Strafe der Sünde zum Inhalte hat.
Unsre Voreltern opferten einen Bock als Sühne für ihre Ungerechtigkeit, und
in der christlichen Religion hat nun Christus selbst sich zum Opferlamm gegeben.
Also handelt es sich nur darum, von den Übeln Folgen des Bösen loszukommen,
aber uicht darum, das Böse selbst zu überwinden. Es scheint mir wenigstens
wiederum auch hier die Voraussetzung zu gelten, das Laster sei angenehm, die
Tugend aber bitter. Ja, wenn eine Prämie darauf gesetzt wäre, möglichst laster¬
haft zu leben, da läge die Sache anders. Wenn die ewige Seligkeit demjenigen
zum Lohne verheißen würde, der hier auf Erden in Hoffart, Fleischeslust und
Bosheit gelebt hätte, da würde es klar hervortreten, daß die Ungerechtigkeit
etwas Schlimmes und Schweres sei, wozu die Menschen erst dnrch Lohn ver¬
lockt werden müßten. Aber nun, wo die Tugend auf Erde" deu himmlischen
Lohn finden soll, ist es doch wohl klar, daß sie selbst für sauer und unangenehm
gehalten wird, und daß die Annahme gilt, es gebühre dem, welcher es auf
Erden infolge seiner Gerechtigkeit schlecht gehabt habe, dort oben eine Ent¬
schädigung.

Was sollen nun junge Leute denken und thun, wenn sie, in solchen Lehren
unterrichtet, in eine Welt kommen, die von solchen Anschüttungen erfüllt ist?
Wird nicht auch der beste die Überzeugung gewinnen, daß es ihm nichts nützt,
tugendhaft zu sein, wenn er nicht zugleich auch für tugendhaft gehalten wird?
Daß er vielmehr lauter Beschwerden und offenbare Nachteile davon hat? Und
muß er nicht dann die Tugend selbst hinter den Schein der Tugend immer mehr
zurücksetzen? Wer sollte wohl noch Lust haben die Gerechtigkeit zu ehren, der
irgend Kraft des Leibes oder des Geistes oder Geld hat, um seinen Neigungen
zu folgen? Ein jeder Starke wird lachen, wenn er die Tugend loben hört.. Denn
gewiß, wenn sich auch jemand fände, der das, was ich gesagt habe, als unrichtig
zu erweisen imstande wäre, und der ganz überzeugt wäre, die Tugend sei besser
als die Ungerechtigkeit, so würde er doch, wie die Welt einmal geht und steht,
große Nachsicht mit dein Sünder haben, weil er weiß, daß, mit Ansnnhme einiger


Bakchen und Thyrsosträger.

Aber am stärksten ist das, daß allgemein gesagt und zugegeben wird, daß Gott
selbst schon vielen guten Menschen Unglück nud ein trauriges Leben zugemessen
habe, den Bösen aber häufig ein großes Glück und fröhliches Dasein.

Dazu machen die Priester aller Religionen den Reichen und Vornehmen
den Hof und reden ihnen vor, daß sie ihre begangenen Sünden wieder gut
machen könnten durch Reue nud Buße und ein frommes Leben. Ja sie be¬
haupten geradezu, sie, die Priester, hätten die Macht zu binden und zu lösen,
Sunden zu behalten und Sünden zu vergeben, und sie bereiten so dem Unge¬
rechten ein bequemes Sündcnbett, von dem aus sie ihn zuletzt doch in den
Himmel schmuggeln. Und ich muß gestehein Dem vorurteilsfreien Blick giebt
unsre christliche Lehre, wie sie von der Kirche gepredigt wird, ein Bild, welches
solche Behauptungen rechtfertigt. Es scheint mir in der That so zu sein, daß
das Christentum eine Erlösung von der Strafe der Sünde zum Inhalte hat.
Unsre Voreltern opferten einen Bock als Sühne für ihre Ungerechtigkeit, und
in der christlichen Religion hat nun Christus selbst sich zum Opferlamm gegeben.
Also handelt es sich nur darum, von den Übeln Folgen des Bösen loszukommen,
aber uicht darum, das Böse selbst zu überwinden. Es scheint mir wenigstens
wiederum auch hier die Voraussetzung zu gelten, das Laster sei angenehm, die
Tugend aber bitter. Ja, wenn eine Prämie darauf gesetzt wäre, möglichst laster¬
haft zu leben, da läge die Sache anders. Wenn die ewige Seligkeit demjenigen
zum Lohne verheißen würde, der hier auf Erden in Hoffart, Fleischeslust und
Bosheit gelebt hätte, da würde es klar hervortreten, daß die Ungerechtigkeit
etwas Schlimmes und Schweres sei, wozu die Menschen erst dnrch Lohn ver¬
lockt werden müßten. Aber nun, wo die Tugend auf Erde» deu himmlischen
Lohn finden soll, ist es doch wohl klar, daß sie selbst für sauer und unangenehm
gehalten wird, und daß die Annahme gilt, es gebühre dem, welcher es auf
Erden infolge seiner Gerechtigkeit schlecht gehabt habe, dort oben eine Ent¬
schädigung.

Was sollen nun junge Leute denken und thun, wenn sie, in solchen Lehren
unterrichtet, in eine Welt kommen, die von solchen Anschüttungen erfüllt ist?
Wird nicht auch der beste die Überzeugung gewinnen, daß es ihm nichts nützt,
tugendhaft zu sein, wenn er nicht zugleich auch für tugendhaft gehalten wird?
Daß er vielmehr lauter Beschwerden und offenbare Nachteile davon hat? Und
muß er nicht dann die Tugend selbst hinter den Schein der Tugend immer mehr
zurücksetzen? Wer sollte wohl noch Lust haben die Gerechtigkeit zu ehren, der
irgend Kraft des Leibes oder des Geistes oder Geld hat, um seinen Neigungen
zu folgen? Ein jeder Starke wird lachen, wenn er die Tugend loben hört.. Denn
gewiß, wenn sich auch jemand fände, der das, was ich gesagt habe, als unrichtig
zu erweisen imstande wäre, und der ganz überzeugt wäre, die Tugend sei besser
als die Ungerechtigkeit, so würde er doch, wie die Welt einmal geht und steht,
große Nachsicht mit dein Sünder haben, weil er weiß, daß, mit Ansnnhme einiger


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[0199] Bakchen und Thyrsosträger. Aber am stärksten ist das, daß allgemein gesagt und zugegeben wird, daß Gott selbst schon vielen guten Menschen Unglück nud ein trauriges Leben zugemessen habe, den Bösen aber häufig ein großes Glück und fröhliches Dasein. Dazu machen die Priester aller Religionen den Reichen und Vornehmen den Hof und reden ihnen vor, daß sie ihre begangenen Sünden wieder gut machen könnten durch Reue nud Buße und ein frommes Leben. Ja sie be¬ haupten geradezu, sie, die Priester, hätten die Macht zu binden und zu lösen, Sunden zu behalten und Sünden zu vergeben, und sie bereiten so dem Unge¬ rechten ein bequemes Sündcnbett, von dem aus sie ihn zuletzt doch in den Himmel schmuggeln. Und ich muß gestehein Dem vorurteilsfreien Blick giebt unsre christliche Lehre, wie sie von der Kirche gepredigt wird, ein Bild, welches solche Behauptungen rechtfertigt. Es scheint mir in der That so zu sein, daß das Christentum eine Erlösung von der Strafe der Sünde zum Inhalte hat. Unsre Voreltern opferten einen Bock als Sühne für ihre Ungerechtigkeit, und in der christlichen Religion hat nun Christus selbst sich zum Opferlamm gegeben. Also handelt es sich nur darum, von den Übeln Folgen des Bösen loszukommen, aber uicht darum, das Böse selbst zu überwinden. Es scheint mir wenigstens wiederum auch hier die Voraussetzung zu gelten, das Laster sei angenehm, die Tugend aber bitter. Ja, wenn eine Prämie darauf gesetzt wäre, möglichst laster¬ haft zu leben, da läge die Sache anders. Wenn die ewige Seligkeit demjenigen zum Lohne verheißen würde, der hier auf Erden in Hoffart, Fleischeslust und Bosheit gelebt hätte, da würde es klar hervortreten, daß die Ungerechtigkeit etwas Schlimmes und Schweres sei, wozu die Menschen erst dnrch Lohn ver¬ lockt werden müßten. Aber nun, wo die Tugend auf Erde» deu himmlischen Lohn finden soll, ist es doch wohl klar, daß sie selbst für sauer und unangenehm gehalten wird, und daß die Annahme gilt, es gebühre dem, welcher es auf Erden infolge seiner Gerechtigkeit schlecht gehabt habe, dort oben eine Ent¬ schädigung. Was sollen nun junge Leute denken und thun, wenn sie, in solchen Lehren unterrichtet, in eine Welt kommen, die von solchen Anschüttungen erfüllt ist? Wird nicht auch der beste die Überzeugung gewinnen, daß es ihm nichts nützt, tugendhaft zu sein, wenn er nicht zugleich auch für tugendhaft gehalten wird? Daß er vielmehr lauter Beschwerden und offenbare Nachteile davon hat? Und muß er nicht dann die Tugend selbst hinter den Schein der Tugend immer mehr zurücksetzen? Wer sollte wohl noch Lust haben die Gerechtigkeit zu ehren, der irgend Kraft des Leibes oder des Geistes oder Geld hat, um seinen Neigungen zu folgen? Ein jeder Starke wird lachen, wenn er die Tugend loben hört.. Denn gewiß, wenn sich auch jemand fände, der das, was ich gesagt habe, als unrichtig zu erweisen imstande wäre, und der ganz überzeugt wäre, die Tugend sei besser als die Ungerechtigkeit, so würde er doch, wie die Welt einmal geht und steht, große Nachsicht mit dein Sünder haben, weil er weiß, daß, mit Ansnnhme einiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/199>, abgerufen am 17.06.2024.