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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Freiligrath offen zu, daß er damit von jener "höhern Warte" ans die "Zinnen
der Partei" herabgestiegen sei. Man muß jedoch anerkennen, das; von alle"
Produktionen der politischen Lyrik, welche die hochgehenden Wogen der damaligen
Zeit emporwarfen, die Freiligraths poetisch am höchsten stehen, daß viele von
ihnen, trotz aller Tendenz, frei von Herweghs banalen Phrasen "ut von Hoff
manus Philistrositnt, Meisterwerke der Dichtkunst sind.

Den Gesinnungswechsel glaubte man sich nicht anders erklären zu können,
als indem man ihn äußern Einflüssen zuschrieb, Hoffmann von Fallersleben
sollte in jener "Nacht im Riesen" zu Koblenz, im August >^l->, wo die beide"
Dichter, aus einer Gesellschaft heimkehrend, "och lange bei einem Glase Wein
im vertraulichen Gespräch ihre Meinungen austauschten, Freiligrath "bekehrt"
haben. Letzterer gab freilich selber Anlaß zu dieser Annahme durch das im
Glaubensbekenntnis veröffentlichte Gedicht an Hoffmali", das sich auf diese Nacht
bezog, Hoffmann hat in seinen Lebenserinnerungen eine derartige Einwirkung
in Abrede gestellt, auch Freiligrath verwahrt sich mehrfach entschieden dagegen,
Bon London ans schreibt er später an Brockhaus: "Nur eine Bemerkung
möchte ich mir erlauben: über die Fabel vou meiner sogenannten -Konversion"
durch Hoffmann von Fallersleben, die zuerst von der reaktionären Presse des
Jahres 1844 erfundene und geschäftig verbreitete. Ich habe es bisher ver-
schmäht, auch nur eine Silbe dagegen zu schreiben, da der Mythus aber in
jüngster Zeit sogar in Anthologie" und Literaturgeschichten Eingang gefunden
hat, so glaube ich eine Gelegenheit, wie sie sich mir eben ungesucht bietet, nicht
versäumen zu dürfen, um der möglichen Wiederholung eines groben Irrtums
elttgegenzuarbeiten. Ich bin weder bekehrt, noch bin ich vollends dnrch Hoff-
mann bekehrt worden. Eine Entwicklung ist leine Bekehrung, eine Entwicklung
geht auch nicht in einer Nacht vor sich; zumal nicht bei mir. Wer mich uciher
keimt, wird wissen, daß ich gegen äußere Einflüsse mich eher spröde verhalte:
daß ich bei allem, was ich angreife, langsam und gründlich und gewissenhaft zu
Werke gehe. Was ich bin, bin ich dnrch mich selbst und durch die Zeit ge¬
worden. Ich habe gearbeitet, gedacht und innere Kämpfe bestanden, ehe ich
Hoffmann kennen lernte, und nachdem ich ihn kennen gelernt. Jene Nacht mit
ihm ist vielleicht mit ein Sandkor" in der Wage meiner Entschlüsse gewesen,
aber auch nichts weiter, Neues hat er mich damals nicht gelehrt; das >Bis
ich alles wußte" in meinem vielfach gemißdeuteten Liede an ihn bezog sich rein
auf seine, mir erst bei dieser Gelegenheit im Detail bekannt gewordenen, persön¬
lichen Schicksale. Ich begreife eigentlich nicht, wie man sich mir wundem mag,
daß ich ein Dichter der Revolution geworden bi"; wie man meinen ganzen
Gang, statt von innen heraus, vou außen herein konstruiren mag. Meine erste
Phase, die Wüsten- und Löweupoefie, war im Grunde auch nur revolutionär;
es war die allerentschiedenste Opposition gegen die zahme Dichtung, wie gegen
die zahme Sozietät."


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Freiligrath offen zu, daß er damit von jener „höhern Warte" ans die „Zinnen
der Partei" herabgestiegen sei. Man muß jedoch anerkennen, das; von alle»
Produktionen der politischen Lyrik, welche die hochgehenden Wogen der damaligen
Zeit emporwarfen, die Freiligraths poetisch am höchsten stehen, daß viele von
ihnen, trotz aller Tendenz, frei von Herweghs banalen Phrasen »ut von Hoff
manus Philistrositnt, Meisterwerke der Dichtkunst sind.

Den Gesinnungswechsel glaubte man sich nicht anders erklären zu können,
als indem man ihn äußern Einflüssen zuschrieb, Hoffmann von Fallersleben
sollte in jener „Nacht im Riesen" zu Koblenz, im August >^l->, wo die beide»
Dichter, aus einer Gesellschaft heimkehrend, »och lange bei einem Glase Wein
im vertraulichen Gespräch ihre Meinungen austauschten, Freiligrath „bekehrt"
haben. Letzterer gab freilich selber Anlaß zu dieser Annahme durch das im
Glaubensbekenntnis veröffentlichte Gedicht an Hoffmali», das sich auf diese Nacht
bezog, Hoffmann hat in seinen Lebenserinnerungen eine derartige Einwirkung
in Abrede gestellt, auch Freiligrath verwahrt sich mehrfach entschieden dagegen,
Bon London ans schreibt er später an Brockhaus: „Nur eine Bemerkung
möchte ich mir erlauben: über die Fabel vou meiner sogenannten -Konversion«
durch Hoffmann von Fallersleben, die zuerst von der reaktionären Presse des
Jahres 1844 erfundene und geschäftig verbreitete. Ich habe es bisher ver-
schmäht, auch nur eine Silbe dagegen zu schreiben, da der Mythus aber in
jüngster Zeit sogar in Anthologie» und Literaturgeschichten Eingang gefunden
hat, so glaube ich eine Gelegenheit, wie sie sich mir eben ungesucht bietet, nicht
versäumen zu dürfen, um der möglichen Wiederholung eines groben Irrtums
elttgegenzuarbeiten. Ich bin weder bekehrt, noch bin ich vollends dnrch Hoff-
mann bekehrt worden. Eine Entwicklung ist leine Bekehrung, eine Entwicklung
geht auch nicht in einer Nacht vor sich; zumal nicht bei mir. Wer mich uciher
keimt, wird wissen, daß ich gegen äußere Einflüsse mich eher spröde verhalte:
daß ich bei allem, was ich angreife, langsam und gründlich und gewissenhaft zu
Werke gehe. Was ich bin, bin ich dnrch mich selbst und durch die Zeit ge¬
worden. Ich habe gearbeitet, gedacht und innere Kämpfe bestanden, ehe ich
Hoffmann kennen lernte, und nachdem ich ihn kennen gelernt. Jene Nacht mit
ihm ist vielleicht mit ein Sandkor» in der Wage meiner Entschlüsse gewesen,
aber auch nichts weiter, Neues hat er mich damals nicht gelehrt; das >Bis
ich alles wußte« in meinem vielfach gemißdeuteten Liede an ihn bezog sich rein
auf seine, mir erst bei dieser Gelegenheit im Detail bekannt gewordenen, persön¬
lichen Schicksale. Ich begreife eigentlich nicht, wie man sich mir wundem mag,
daß ich ein Dichter der Revolution geworden bi»; wie man meinen ganzen
Gang, statt von innen heraus, vou außen herein konstruiren mag. Meine erste
Phase, die Wüsten- und Löweupoefie, war im Grunde auch nur revolutionär;
es war die allerentschiedenste Opposition gegen die zahme Dichtung, wie gegen
die zahme Sozietät."


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[0657] .sreiligmch i» seine» Lriefcn, Freiligrath offen zu, daß er damit von jener „höhern Warte" ans die „Zinnen der Partei" herabgestiegen sei. Man muß jedoch anerkennen, das; von alle» Produktionen der politischen Lyrik, welche die hochgehenden Wogen der damaligen Zeit emporwarfen, die Freiligraths poetisch am höchsten stehen, daß viele von ihnen, trotz aller Tendenz, frei von Herweghs banalen Phrasen »ut von Hoff manus Philistrositnt, Meisterwerke der Dichtkunst sind. Den Gesinnungswechsel glaubte man sich nicht anders erklären zu können, als indem man ihn äußern Einflüssen zuschrieb, Hoffmann von Fallersleben sollte in jener „Nacht im Riesen" zu Koblenz, im August >^l->, wo die beide» Dichter, aus einer Gesellschaft heimkehrend, »och lange bei einem Glase Wein im vertraulichen Gespräch ihre Meinungen austauschten, Freiligrath „bekehrt" haben. Letzterer gab freilich selber Anlaß zu dieser Annahme durch das im Glaubensbekenntnis veröffentlichte Gedicht an Hoffmali», das sich auf diese Nacht bezog, Hoffmann hat in seinen Lebenserinnerungen eine derartige Einwirkung in Abrede gestellt, auch Freiligrath verwahrt sich mehrfach entschieden dagegen, Bon London ans schreibt er später an Brockhaus: „Nur eine Bemerkung möchte ich mir erlauben: über die Fabel vou meiner sogenannten -Konversion« durch Hoffmann von Fallersleben, die zuerst von der reaktionären Presse des Jahres 1844 erfundene und geschäftig verbreitete. Ich habe es bisher ver- schmäht, auch nur eine Silbe dagegen zu schreiben, da der Mythus aber in jüngster Zeit sogar in Anthologie» und Literaturgeschichten Eingang gefunden hat, so glaube ich eine Gelegenheit, wie sie sich mir eben ungesucht bietet, nicht versäumen zu dürfen, um der möglichen Wiederholung eines groben Irrtums elttgegenzuarbeiten. Ich bin weder bekehrt, noch bin ich vollends dnrch Hoff- mann bekehrt worden. Eine Entwicklung ist leine Bekehrung, eine Entwicklung geht auch nicht in einer Nacht vor sich; zumal nicht bei mir. Wer mich uciher keimt, wird wissen, daß ich gegen äußere Einflüsse mich eher spröde verhalte: daß ich bei allem, was ich angreife, langsam und gründlich und gewissenhaft zu Werke gehe. Was ich bin, bin ich dnrch mich selbst und durch die Zeit ge¬ worden. Ich habe gearbeitet, gedacht und innere Kämpfe bestanden, ehe ich Hoffmann kennen lernte, und nachdem ich ihn kennen gelernt. Jene Nacht mit ihm ist vielleicht mit ein Sandkor» in der Wage meiner Entschlüsse gewesen, aber auch nichts weiter, Neues hat er mich damals nicht gelehrt; das >Bis ich alles wußte« in meinem vielfach gemißdeuteten Liede an ihn bezog sich rein auf seine, mir erst bei dieser Gelegenheit im Detail bekannt gewordenen, persön¬ lichen Schicksale. Ich begreife eigentlich nicht, wie man sich mir wundem mag, daß ich ein Dichter der Revolution geworden bi»; wie man meinen ganzen Gang, statt von innen heraus, vou außen herein konstruiren mag. Meine erste Phase, die Wüsten- und Löweupoefie, war im Grunde auch nur revolutionär; es war die allerentschiedenste Opposition gegen die zahme Dichtung, wie gegen die zahme Sozietät."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/657>, abgerufen am 17.06.2024.