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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bcckchen und Thyrsosträgcr,

Ihre Meinung war doch, sagte Dr. Stahlhardt, daß wir die Begriffe der
Gerechtigkeit, der Schönheit, der Gleichheit und so weiter in unserm Gehirn
infolge der Wahrnehmungen konstruirten, welche wir mittels unsrer Sinne
machten, indem wir nämlich gerechte Handlungen, schöne oder gleiche Gegen¬
stände beobachteten und uns darnach Ideen bildeten.

Ganz recht, sagte der Professor, auf andre Weise ist es nicht möglich, denn
die Sinne sind unsre einzige Vermittlung mit der Außenwelt.

Bleiben wir beispielsweise jetzt bei dem Begriff der Gleichheit stehen, fuhr
Dr. Stahlhardt fort. Wir haben also diesen Begriff erhalten, indem wir gleiche
Dinge sehen, etwa gleiche Bäume, gleiche Steine, gleiche Tiere und so weiter.

Ganz recht.

Diese gleichen Dinge können nun unter Umständen auch ungleich erscheinen.
Selbst solche, die sich in hohem Maße gleich sind, wie etwa zwei Meterstäbe,
können sehr ungleich aussehen, wenn der eine auf fünf Schritt, der andre auf
fünfzig Schritt Entfernung aufgestellt wird.

Gewiß, sagte der Professor, und es läßt sich sogar, abgesehen von schein¬
baren Ungleichheiten, behaupten, daß es absolut gleiche Dinge gar nicht giebt.
Ein größerer oder geringerer Unterschied findet sich immer, und selbst die beiden
Meterstäbe, nebeneinander beobachtet, werden stets eine minimale Differenz in
der Länge ergeben.

Sehr schön, sagte der andre. Wie ist es nun aber mit dem Begriff der
Gleichheit? Können wir uns wohl vorstellen, daß es Umstände gäbe, unter
welchen sie selbst ungleich sei? Ist unser Gehirn imstande, den Begriff der
Gleichheit als Ungleichheit aufzufassen?

Entschieden nicht. Der vollkommene Widerspruch ist undenkbar, für Weise
wie für Thoren, wie auch Mephistopheles meinte.

Also ist die Gleichheit an sich wohl etwas andres als die gleichen Gegen¬
stände, obwohl diese uns jenen Begriff zum Bewußtsein gebracht haben.

Sicherlich.

Wie aber kommt es, daß wir doch den Begriff der absoluten Gleichheit gelernt
haben, obwohl die Dinge, durch welche wir ihn lernten, selbst nicht absolut gleich sind?

Das kommt dadurch, sagte der Professor, daß wir Schlüsse ziehen können.
Sowohl die Ähnlichkeit der Dinge unter sich als mich ihre Unähnlichkeit macht
uns aufmerksam auf das, was sie Gleiches, als auch auf das, was sie Ungleiches
haben. So können wir sehr wohl eben durch das, was einem Gegenstande ab¬
geht, auf dessen ideale Vollkommenheit gelenkt werden. Ich kann zum Beispiel,
wenn ich ein Porträt sehe, dessen Mängel bemerken und doch, wenn es nicht
gar zu schlecht ist, die Person erkennen, welche es darstellt; ich kann mir sagen,
das ist gleich und das ist ungleich, und aus solcher Vergleichung den Begriff
absoluter Gleichheit lernen, indem ich mir sage: so müßte es sein, um vollkommen
dem Originale gleich zu sein..


Bcckchen und Thyrsosträgcr,

Ihre Meinung war doch, sagte Dr. Stahlhardt, daß wir die Begriffe der
Gerechtigkeit, der Schönheit, der Gleichheit und so weiter in unserm Gehirn
infolge der Wahrnehmungen konstruirten, welche wir mittels unsrer Sinne
machten, indem wir nämlich gerechte Handlungen, schöne oder gleiche Gegen¬
stände beobachteten und uns darnach Ideen bildeten.

Ganz recht, sagte der Professor, auf andre Weise ist es nicht möglich, denn
die Sinne sind unsre einzige Vermittlung mit der Außenwelt.

Bleiben wir beispielsweise jetzt bei dem Begriff der Gleichheit stehen, fuhr
Dr. Stahlhardt fort. Wir haben also diesen Begriff erhalten, indem wir gleiche
Dinge sehen, etwa gleiche Bäume, gleiche Steine, gleiche Tiere und so weiter.

Ganz recht.

Diese gleichen Dinge können nun unter Umständen auch ungleich erscheinen.
Selbst solche, die sich in hohem Maße gleich sind, wie etwa zwei Meterstäbe,
können sehr ungleich aussehen, wenn der eine auf fünf Schritt, der andre auf
fünfzig Schritt Entfernung aufgestellt wird.

Gewiß, sagte der Professor, und es läßt sich sogar, abgesehen von schein¬
baren Ungleichheiten, behaupten, daß es absolut gleiche Dinge gar nicht giebt.
Ein größerer oder geringerer Unterschied findet sich immer, und selbst die beiden
Meterstäbe, nebeneinander beobachtet, werden stets eine minimale Differenz in
der Länge ergeben.

Sehr schön, sagte der andre. Wie ist es nun aber mit dem Begriff der
Gleichheit? Können wir uns wohl vorstellen, daß es Umstände gäbe, unter
welchen sie selbst ungleich sei? Ist unser Gehirn imstande, den Begriff der
Gleichheit als Ungleichheit aufzufassen?

Entschieden nicht. Der vollkommene Widerspruch ist undenkbar, für Weise
wie für Thoren, wie auch Mephistopheles meinte.

Also ist die Gleichheit an sich wohl etwas andres als die gleichen Gegen¬
stände, obwohl diese uns jenen Begriff zum Bewußtsein gebracht haben.

Sicherlich.

Wie aber kommt es, daß wir doch den Begriff der absoluten Gleichheit gelernt
haben, obwohl die Dinge, durch welche wir ihn lernten, selbst nicht absolut gleich sind?

Das kommt dadurch, sagte der Professor, daß wir Schlüsse ziehen können.
Sowohl die Ähnlichkeit der Dinge unter sich als mich ihre Unähnlichkeit macht
uns aufmerksam auf das, was sie Gleiches, als auch auf das, was sie Ungleiches
haben. So können wir sehr wohl eben durch das, was einem Gegenstande ab¬
geht, auf dessen ideale Vollkommenheit gelenkt werden. Ich kann zum Beispiel,
wenn ich ein Porträt sehe, dessen Mängel bemerken und doch, wenn es nicht
gar zu schlecht ist, die Person erkennen, welche es darstellt; ich kann mir sagen,
das ist gleich und das ist ungleich, und aus solcher Vergleichung den Begriff
absoluter Gleichheit lernen, indem ich mir sage: so müßte es sein, um vollkommen
dem Originale gleich zu sein..


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[0676] Bcckchen und Thyrsosträgcr, Ihre Meinung war doch, sagte Dr. Stahlhardt, daß wir die Begriffe der Gerechtigkeit, der Schönheit, der Gleichheit und so weiter in unserm Gehirn infolge der Wahrnehmungen konstruirten, welche wir mittels unsrer Sinne machten, indem wir nämlich gerechte Handlungen, schöne oder gleiche Gegen¬ stände beobachteten und uns darnach Ideen bildeten. Ganz recht, sagte der Professor, auf andre Weise ist es nicht möglich, denn die Sinne sind unsre einzige Vermittlung mit der Außenwelt. Bleiben wir beispielsweise jetzt bei dem Begriff der Gleichheit stehen, fuhr Dr. Stahlhardt fort. Wir haben also diesen Begriff erhalten, indem wir gleiche Dinge sehen, etwa gleiche Bäume, gleiche Steine, gleiche Tiere und so weiter. Ganz recht. Diese gleichen Dinge können nun unter Umständen auch ungleich erscheinen. Selbst solche, die sich in hohem Maße gleich sind, wie etwa zwei Meterstäbe, können sehr ungleich aussehen, wenn der eine auf fünf Schritt, der andre auf fünfzig Schritt Entfernung aufgestellt wird. Gewiß, sagte der Professor, und es läßt sich sogar, abgesehen von schein¬ baren Ungleichheiten, behaupten, daß es absolut gleiche Dinge gar nicht giebt. Ein größerer oder geringerer Unterschied findet sich immer, und selbst die beiden Meterstäbe, nebeneinander beobachtet, werden stets eine minimale Differenz in der Länge ergeben. Sehr schön, sagte der andre. Wie ist es nun aber mit dem Begriff der Gleichheit? Können wir uns wohl vorstellen, daß es Umstände gäbe, unter welchen sie selbst ungleich sei? Ist unser Gehirn imstande, den Begriff der Gleichheit als Ungleichheit aufzufassen? Entschieden nicht. Der vollkommene Widerspruch ist undenkbar, für Weise wie für Thoren, wie auch Mephistopheles meinte. Also ist die Gleichheit an sich wohl etwas andres als die gleichen Gegen¬ stände, obwohl diese uns jenen Begriff zum Bewußtsein gebracht haben. Sicherlich. Wie aber kommt es, daß wir doch den Begriff der absoluten Gleichheit gelernt haben, obwohl die Dinge, durch welche wir ihn lernten, selbst nicht absolut gleich sind? Das kommt dadurch, sagte der Professor, daß wir Schlüsse ziehen können. Sowohl die Ähnlichkeit der Dinge unter sich als mich ihre Unähnlichkeit macht uns aufmerksam auf das, was sie Gleiches, als auch auf das, was sie Ungleiches haben. So können wir sehr wohl eben durch das, was einem Gegenstande ab¬ geht, auf dessen ideale Vollkommenheit gelenkt werden. Ich kann zum Beispiel, wenn ich ein Porträt sehe, dessen Mängel bemerken und doch, wenn es nicht gar zu schlecht ist, die Person erkennen, welche es darstellt; ich kann mir sagen, das ist gleich und das ist ungleich, und aus solcher Vergleichung den Begriff absoluter Gleichheit lernen, indem ich mir sage: so müßte es sein, um vollkommen dem Originale gleich zu sein..

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/676>, abgerufen am 17.06.2024.